Florian-SpieLama hat geschrieben:Dann fang ich mal mit zwei Fragen an:
1. Wie stehst du zum "Kulturgut (Brett-) Spiel"? Dafür, dagegen oder egal und warum?
2. Gibt es ein Spiel (oder Spiele) bei denen du objektiv keine Mängel feststellen konntest und es dir auch subjektiv gefallen müsste (Thema und Mechanismen gefallen dir eigentlich), es dir aber trotzdem absolut nicht gefällt/keinen Spaß macht? Wenn ja, würdest du über so ein Spiel eine Rezension machen und wie gehst du damit um, dass du deinen Missmut nicht erklären kannst?
Hallo Florian,
die erste Frage ist für mich eine sehr knifflige. Ich habe das Thema in meiner Abschlussarbeit an der Uni durchaus gestreift, bin mir aber selbst noch nicht ganz einig. Ich schätze die Bemühungen der Kollegen und der Branche, sehe aber auch darin den Willen ein "Stück vom Kuchen" abzubekommen. Seien es Fördergelder oder Aufmerksamkeit. Ich sehe aber auch, dass wir an vielen Stellen noch weit davon weg sind, was ich als Kulturgut verstehe. Ein Kulturgut, rezipiert auch die eigene Kultur, setzt sich mit dieser Auseinander, ist ein Spiegel der Gesellschaft. In der Literatur, dem Film und der Musik, aber auch mittlerweile in Computerspielen wird das immer wieder sehr deutlich. Das fehlt mir bei Spielen noch. Spiele wie This War of Mine oder Billy Kerr (beide übrigens von asmodee auf deutsch) gehen in diese Richtung - This War of Mine sogar sehr gut. Billy Kerr vergisst bei dem ganzen "serious" sein, dass es auch ein Spiel sein muss. Spielen hingegen ist dem Menschen immanent und in jeder Ausprägung teil seiner Kultur, es ist aber kein "Gut". Denn um spielen zu können, brauche ich keine Güter - Kinder zeigen das im kindlichen Rollenspiel sehr deutlich. Ich sehe das Brettspiel also eher als Erfüllungsgehilfen einer kulturellen Tätigkeit. Daher aber auch: Erwachsene die nicht mehr spielen, haben für mich ein Stück Kultur verloren.
Zur zweiten Frage, die mindestens genauso knifflig ist: Ja, die Situation gibt es, gab es und wird es immer wieder geben und meine Maßstäbe ändern sich auch immer wieder. Am deutlichsten wurde mir das bei dem Spiel "Tides of Time" von Pegasus Spiele. (
https://boardgamejunkies.de/tides-of-time-test/) Da wurde ich damals auch ziemlich für kritisiert. Umreißen wir das Problem kurz: Das Spiel wurde vielfach bejubelt. Ich kenne Menschen denen es wirklich Spaß macht. Ich habe gesehen - ganz objektiv - was es leistet und das es funktioniert. Es wollte mir nur auf Teufel komm raus keinen Spaß machen. Das sind dann die Momente als Rezensent, wo man genau hinterfragen muss. Sich selbst, das Spiel, die Spielgruppe / Mitspieler und die Situationen in denen ich es gespielt habe. War ich schlecht drauf? Müde? Krank? Angeschlagen? All das konnte ich bei Tides of Time verneinen. Es waren unterschiedliche Situationen und ich war eigentlich immer recht "normal" drauf. Irgendwann dämmerte mir: Draften an sich. Nur reduziert auf das Draften, kombiniert mit etwas Merkfähigkeit, das macht mir keinen Spaß. Ich mag den Draft Mechanismus als Erfüllungsgehilfen - wenn er in etwas größeres eingebunden ist. Tides of Time ist aber draften in Reinform. Ist es deswegen ein schlechteres Spiel? Nein, ganz sicher nicht. Und da dämmerte mir auch wie dämlich "Tests" sind und wie subjektiv Rezensionen eigentlich sind. Klar, es gibt objektive Kriterien wie Layout, Anleitung etc. (und selbst da gibt es keine Standards bei Brettspielen), aber Spielspaß ist am Ende höchst situativ und subjektiv. Also war ich feige. Ich hab dem Spiel zwei Noten gegeben und gehofft, damit meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Obs geklappt hat? Das müssen die Leser entscheiden
.
Heute rezensiere ich übrigens sehr subjektiv. Wer mich liest oder schaut, dem geht es darum wie ICH das Spiel finde.
Ich danke dir für deine tollen Fragen!