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Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 23. Oktober 2005, 11:04
von Heinrich Glumpler
Hi,

vor kurzem habe ich im Radio mitbekommen, dass unsere Regierung derzeit angeblich in einem "Gefangenendilemma" steckt - einem Begriff aus der Spieltheorie, der z.B. hier erläutert wird:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenendilemma

Die Argumentation ging - soweit ich es noch im Kopf habe - etwa so:

Die Regierung muss sparen. Im Falle einer großen Koalition liegen einer jeden Partei aber auch ihre eigenen Budgets (ich vermute mal, die Budgets der jeweiligen Ministerien) am Herzen.

Wenn beide Parteien tatsächlich sparen, gewinnen beide (und wir alle).
Wenn nur eine Partei spart, gewinnt die andere (bewahrt ihr hohes Budget).
Wenn keiner spart, verliere beide (und wir alle).

Ts Ts - wollen mal hoffen, dass das gut ausgeht - oder male ich da schwarz? äh schwarz-rot? ;-)

In dem Zusammenhang:
Welche Brettspiele nutzen das Gefangenendilemma als "formale" Regel?
"formal" heißt, ich würde Spiele mit starkem Verhandlungscharakter außen vor lassen, die solch ein Element immer bis zu einem gewissen Maß enthalten können ("Diplomacy").

Grüße
Heinrich

Re: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 23. Oktober 2005, 11:14
von Peter Gustav Bartschat
Ein elementarer Bestandteil des Gefangenendilemmas ist es ja, dass die beiden Gefangenen sich nicht miteinander besprechen können.

Das können die Koalitionsparteien aber durchaus.

Daher wird die Lösung vermutlich sein: Die Parteien sparen bei allem außer bei sich selbst und dem Einkommen ihrer Abgeordneten. Was dazu führt, dass DIE gewinnen und WIR verlieren. Wie immer, eigentlich.

Bemerkenswert ist allerdings, dass es bei Regierungsmitgliedern tatsächlich eine Art "Gefangenengefühl" zu geben scheint: Wie anders soll man erklären, dass du und ich und die wir alle so oft als "die Wählerinnen und Wähler DRAUSSEN im Land" bezeichnet werden?

Mit einem lieben Gruß
Gustav

Re: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 23. Oktober 2005, 12:46
von Heinrich Glumpler
Hehe,

dieser Unterschied fiel mir auch ins Auge - allerdings musste ich dabei sofort an ein Grossgruppenspiel denken, bei dem eine Partei (ich rede jetzt von einer Gruppe von Spielern) einer anderen Partei immer wieder ganz fest versprochen hat, mit ihr zu kooperieren - letztlich aber das gesamte Spiel gewann, indem es genau die versprochenen Vereinbarungen nicht einhielt.

Koalition heißt wohl nicht immer Kooperation :LOL:

Wobei mir der Humor schon manchmal in der Kehle stecken bleibt, wenn ich sehe, wofür alles Geld aus dem Fenster geworfen wird - uff ... aber hier verlassen wir das Thema Spiel ja endgültig, denn:

für ein wirklich gutes Spiel
zahlt man - nie - zuviel ;-)

Grüße
Heinrich

Re: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 23. Oktober 2005, 13:14
von Berthold Heß
Heinrich Glumpler schrieb:
> Welche Brettspiele nutzen das Gefangenendilemma als "formale"
> Regel?

Wolfgang Kramer hat sein Spiel Check-Point (Spear 1978), später als Duell der Schamanan (Amigo 1995) explizit auf dem Gefangenendilemma aufgebaut.

Gruß
Bert

Re: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 23. Oktober 2005, 13:48
von Frank Schaubrenner
Politik lass ich mal aussen vor,

zum Spielen,

wenn man das Gefangenendilema etwas umformt (wissenschaftlich gesehen hier wohl absoluter quatsch, aber egal *g*)
und auf ein Mehrpersonenspiel überträgt.
Hat fast jedes Spiel mit Kampf/Störelement diesen Effekt
A greift B an, trifft B nicht ernsthaft, B greift dann A an um etwas zurückzuerhalten,... voraussichtlich gewinnt c oder d
A greift B an, erwischt diesen auf dem falschen Fuss B nun zahnlos, A hat gute Gewinnchancen.

Sicher nicht unbedingt die genaue Aussage des "Gefangenendilemmas", aber eben ein immer wieder auftauchender ähnlicher Effekt.

alternativ bei Dreierspielen(vereinfacht)
A führt, B stört, C gewinnt, bzw. voraussichtlich gewinnt nicht B, ausser B hätte den Zug eh Vorteile gebracht auch ohne dass A führt.
A führt keiner macht was, A gewinnt, hat zumindest gute Chancen
A führt B und C unternehmen etwas, alle haben Gewinnchancen, nur wenn sich B und C nicht absprechen können (und sei es nur wegen fehlendem Vertrauen), wer soll den ersten Schritt unternehmen .

wieder ein Beispiel, in dem hier eben A im übertragenen Sinn das Spiel hinter dem Dilemma ist und die Gefangenen wären B und C

evtl. alles Quatsch, aber irgendwie haben die Beispiele gewisse Ähnlichkeit zum besagten Dilemma.

doch noch kurz zum Dillema und Politik, klar können sie besprechen, nur wie sehen die "Bestrafungen" aus wenn sich wer nicht dran hält, bräuchte man evtl. einen sog. Moderator, welcher das ganze "kontrolliert" und die Rechte verteilt,.. was aber politisch wohl Unsinn wäre.
Schwer hier, denke mal da haben einige heute schon die nächsten Wahlen im Hinterkopf, ergo geht alles gut gewinnen beide(nur wer mehr? ), geht etwas schief heisst es profilieren auf Kosten des Partners... aber das ist wohl nicht Gefangenendillemma :-)

gruss
Frank

RE: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 23. Oktober 2005, 14:59
von Marten Holst
Moin,

> Ein elementarer Bestandteil des Gefangenendilemmas ist es
> ja, dass die beiden Gefangenen sich nicht miteinander
> besprechen können.

Im originalen "Beispiel" nach Luce und Raiffa ja, aber eine allgemeinere Definition schließt das nicht unbedingt aus, ohne den Effekt zu vermindern. Entscheidend ist allerdings, dass es keine [i]verbindlichen[/i] Vereinbarungen geben darf. Genau solche Gefangenendilemmata sind (neben Monopolproblemen) ja auch ein Grund für Wirtschaftswissenschaftler, eine Möglichkeit, Abmachungen exogen durchzusetzen (vulgo: Staatliche Gewalt) als nötig anzusehen. Ein Wirtschaftssystem ganz ohne Staat wäre uneffizient.

Zurück zum Beispiel hieße das aber auch, dass die Analogie zumindest ein wenig hinkt, denn mit Veröffentlichung einer Abmachung ist diese zumindest ein wenig durchsetzbar (Medien, öffentliche Meinung, bei fixiertem Vertrag sogar Gerichte).

Des weiteren ist es beim Gefangenendilemma allerdings auch so, dass es für beide beteiligten Seiten am Ende besser wäre, sie verhielten sich kooperativ als beide auf Konfrontation zu gehen. Das heißt, "die gewinnen, wir verlieren" hat mit einem Gefangenendilemma im spieltheoretischen Sinne nichts mehr zu tun :-)

Tschüß
Marten

RE: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 23. Oktober 2005, 17:33
von Peter Gustav Bartschat
Marten Holst schrieb:
> Das heißt, "die gewinnen, wir verlieren" hat mit einem
> Gefangenendilemma im spieltheoretischen Sinne nichts mehr zu
> tun :-)

Das ist freilich wahr. Das gehört eher in das Kapitel: "Ich finde es gar nicht schlimm, dass es so viel Korruption gibt, sondern nur, dass die mich nicht richtig mitmachen lassen." :-)

Liebe Grüße
Gustav

RE: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 24. Oktober 2005, 15:37
von peer
Hi,
Marten Holst schrieb:
>
> Zurück zum Beispiel hieße das aber auch, dass die Analogie
> zumindest ein wenig hinkt, denn mit Veröffentlichung einer
> Abmachung ist diese zumindest ein wenig durchsetzbar (Medien,
> öffentliche Meinung, bei fixiertem Vertrag sogar Gerichte).

Die Frage ist wie wenig (oder viel) "ein wenig" ist - gerade bei geheimen Abstimmungen - frag mal die SPD in Schleswig Holstein ;-)

> Des weiteren ist es beim Gefangenendilemma allerdings auch
> so, dass es für beide beteiligten Seiten am Ende besser wäre,
> sie verhielten sich kooperativ als beide auf Konfrontation zu
> gehen.

Ich glaube die beste Taktik ist i.A. "Tic for tac", also "wie du mir, so ich dir" - wer verraten wurde, wird in Zukunft auch verraten und wer sich kooperativ verhalten hat, mit dme arbeitet man zusammen. Freilich ist das Problem, dass man für die initiale Handlung noch keine Daten hat...

ciao
peer (gleich wieder mit dem Südpol beschäftigt)

Re: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 24. Oktober 2005, 15:38
von peer
Hi,
Berthold Heß schrieb:
>
> Heinrich Glumpler schrieb:
> > Welche Brettspiele nutzen das Gefangenendilemma als "formale"
> > Regel?
>
> Wolfgang Kramer hat sein Spiel Check-Point (Spear 1978),
> später als Duell der Schamanan (Amigo 1995) explizit auf dem
> Gefangenendilemma aufgebaut.

Dilemma von Alex Randolph (keine Ruhmestat ürbigens) fällt mir noch ein. Africa 1880 (Tilsit) und Flusspiraten (Walter Müller) haben ähnliche Mechanismen.

ciao
peer

RE: Regierung im Gefangenendilemma

Verfasst: 24. Oktober 2005, 17:50
von Marten Holst
Moin,

>> Zurück zum Beispiel hieße das aber auch, dass die Analogie
>> zumindest ein wenig hinkt, denn mit Veröffentlichung einer
>> Abmachung ist diese zumindest ein wenig durchsetzbar (Medien,
>> öffentliche Meinung, bei fixiertem Vertrag sogar Gerichte).
>
> Die Frage ist wie wenig (oder viel) "ein wenig" ist -
> gerade bei geheimen Abstimmungen - frag mal die SPD in
> Schleswig Holstein ;-)

Daran mag ich nicht denken, das bringt mich aus anderen Gründen (als den "Abweicher") auf die Palme ;-)

>> Des weiteren ist es beim Gefangenendilemma allerdings auch
>> so, dass es für beide beteiligten Seiten am Ende besser wäre,
>> sie verhielten sich kooperativ als beide auf Konfrontation zu
>> gehen.
>
> Ich glaube die beste Taktik ist i.A. "Tic for tac", also
> "wie du mir, so ich dir" - wer verraten wurde, wird in
> Zukunft auch verraten und wer sich kooperativ verhalten
> hat, mit dme arbeitet man zusammen. Freilich ist das
> Problem, dass man für die initiale Handlung noch keine
> Daten hat...

Bei Computersimulationen diverser Strategien hat sich tatsächlich "Tit for Tat" mit initialer Kooperation als "am Erfolgreichsten" erwiesen - allerdings gilt das zunächst erst einmal für die probierte experimentelle Quantifizierung (wenn ich mich nicht täusche ((2;2) (0;3)); (3;0); (1;1)). Wohl auch für andere, aber müsste man halt mal durchrechnen :-) Das alles gilt allerdings nur bei einem Spiel mit unendlicher Wiederholung (und der "Abstrafung durch andere Spieler" als Kontrollinstanz). Für das einfache Spiel lohnt es sich hier eben, ein Nichtkooperativer zu sein. Frage ist, wie die gegenwärtige politische, allerdings tut das gerade nichts zur Sache :-)

Tschüß
Marten

Variante Gefangenendilemma

Verfasst: 24. Oktober 2005, 20:50
von Siegfried Kurz
Darum wäre eine Dreier-Koalition auch so witzig: Dann verlieren nämlich zwei Parteien und eine Partei gewinnt. Also alles wie im richtigen Spiel.