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Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Allgemeine Spiele-Themen
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SpieLama
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Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon SpieLama » 31. Oktober 2017, 13:54

Für alle, die unser Format “Thema des Monats” noch nicht kennen, unter viewtopic.php?f=63&t=391131 gibt es mehr Informationen dazu.

Nachdem wir im vergangenen Monat über Neuheiten und Klassiker diskutiert haben, möchte ich diesen Monat gerne nicht über ein, sondern gleich über mehrere Tabus sprechen.

Es gab in unserem Forum schon oft Diskussionen über einzelne Spiele, zum Beispiel über die Schachtelgrafik von Mombasa, die (vermeintlichen) Sklaven in Puerto Rico oder Frauen in Conan. Ich habe diese Diskussionen begeistert verfolgt und frage mich schon länger: Gibt es ganz allgemein gesprochen Themen, die Spiele nicht thematisieren sollten, zum Beispiel Krieg, häusliche Gewalt oder Vergewaltigungen?

Ich bin der Meinung: Spiele sollten jedes Thema thematisieren. Wenn ich diese These vortrage, kommt in der Regel die Anschlussfrage, ob solche Tabu-Themen in Spielen auf eine bestimmte Art und Weise umgesetzt werden müssten, zum Beispiel auf eine besonders sensible oder wissensvermittelnde Art und Weise. Ein Spiel, das dies macht ist zum Beispiel “Sei stark. Sag nein!” von Pegasus Spiele, http://www.pegasus.de/detailansicht/182 ... aengeoese/. Das Spiel thematisiert Gewalt gegen Kinder.

Pegasus Spiele hat geschrieben:Sei stark. Sag Nein! ist das erste, innovative Gewaltpräventionsspiel für die ganze Familie. Gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern werden Kinder spielerisch für den Umgang mit fremden Personen sensibilisiert. Die verschiedenen Kartensorten stellen unterschiedliche Aufgaben, die das Gedächtnis fördern und mit kleinen sportlichen Übungen auch den Körper nicht zu kurz kommen lassen. Die Kinder steigern ihr Selbstvertrauen und lernen mit Gefahren im Alltag umzugehen.

Hättest Du mich vor einigen Jahren gefragt, hätte ich gesagt: Ja, Spiele müssen bestimmte Themen auf eine besonders sensible oder wissensvermittelnde Art und Weise umsetzen. Inzwischen vertrete ich eine andere Meinung. Spiele sollten jedes Thema auf jede Art und Weise umsetzen. Einzige Voraussetzung: Gesetzliche Vorgaben müssen eingehalten werden.

Warum ich diese Meinung vertrete, verrate ich in einem der folgenden Beiträge. Vorher würde mich aber eure Meinung dazu interessieren.

Findet ihr, es gibt Themen, die Spiele nicht thematisieren sollten? Falls ja, welche sind das? Falls nein, sollten Spiele bestimmte Themen nur auf eine besonders sensible oder wissensvermittelnde Art und Weise thematisieren?

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ulrichblum
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon ulrichblum » 31. Oktober 2017, 13:56

Hallo Sebastian

In der Theorie würde ich dir gerne Recht geben. In der Praxis würde ich deine sehr umfassenden These doch etwas begrenzen wollen.

Zunächst: Ja, Spiele dürfen natürlich innerhalb der gesetzlichen Vorgaben erst mal alles in jeder Form thematisieren, das verlangt die Meinungsfreiheit. Bei der Frage ob sie dies auch sollen würde ich aber Einschränkungen setzen.

Konkretes Beispiel: Ich habe keinerlei Lust in “Manhattan Project” die Bombe zu bauen.
Zum folgenden muss ich anmerken, dass ich das Spiel nicht gespielt habe und meine Aussagen auf sekundären Eindrücken durch Rezensionen etc. beruhen. Man darf mich hier also gerne korrigieren.

Mein Unbehagen mit dem Spiel beruht vor allem auf 2 Faktoren:
Zum ersten glaube ich nicht, dass man über Atombomben reden kann ohne über Opfer und Zerstörung zu reden. Ich habe nicht den Eindruck, dass das Spiel dies tut oder überhaupt will. Vielmehr scheint es sich um ein Spiel um Optimierung und Effizienz zu handeln. Dazu ein Zitat aus der Beschreibung von BGG:
“The Manhattan Project is a low-luck, mostly open information efficiency game in which players compete to build and operate the most effective atomic bomb program.”
Es geht also primär darum sein Atomwaffen-Programm effizienter und effektiver zu steuern. Opfer und Zerstörung oder ein moralisches Dilemma der Akteure finden (so scheint es mir) nicht statt.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass das Atomare Wettrüsten eine historische Realität ist. Es gibt sicher auch Historiker, welche die These vertreten, dass gerade das Gleichgewicht des Schreckens während des kalten Kriegs den Ausbruch eines weiteren Weltkriegs verhindert hat.

Ja, diesen Standpunkt kann man vertreten und ja, darüber darf man ein Spiel machen. Doch es bringt mich zu meinem zweiten, für mich zentralen Punkt, wenn es um "Tabuthemen" geht:

Welche Rolle nehme ich als Spieler ein?
In “Manhattan Project” ist es meine Aufgabe das Atomwaffen-Programm möglichst effektiv zu leiten. Will ich das? Ich persönlich nicht.

Ich kann mir gut vorstellen, dass ich mit einer anderen Rolle für mich als Spieler und damit einem anderen Fokus des Spiels kein Problem mit dem Thema hätte. Die Rolle müsste dann aber auch Dilemmata enthalten wieso ich die Bombe bauen und/oder einsetzen will oder nicht. Und ich meine das nicht (nur) auf der thematischen Seite, ich will das auch mechanisch spüren, sonst ist es kein wirkliches Dilemma. Wenn schon dieses Thema, dann will ich als Spieler erleben, wieso das bauen der Bombe notwendig war und/oder welche Alternativen es dazu gegeben hätte. Wenn ich die Bombe dann sogar einsetzen will, muss das für mich als Spieler auch negative Konsequenzen haben oder das Spiel braucht einen anderen Mechanismus um das Zurückschrecken vor dem Einsatz erlebbar zu machen.
Mir ist bewusst, dass man die Bombe in Manhattan Project nicht zündet, ich spinne nur das Thema weiter um verständlich zu machen was ich meine. Es geht auch gar nicht nur um Manhattan Project, es dient hier nur als Beispiel welches mir persönlich nicht behagt. Andere Menschen haben andere Grenzen und ich verurteile niemanden, der das Spiel mag.

Zusammengefasst: Tabuthemen sind für mich keine Frage des Dürfens. Was man darf und was nicht geben Gesetze vor. Für mich als Spieler gibt es aber eine Frage des Wollens.

Ja, ich will ungewöhnliche und auch heikle Themen spielen. Aber ich will dann auch eine ernsthafte auseinandersetzung des Spiels mit diesem Thema. Dazu gehört für mich vor allem eine Rolle welche die Dilemmata der Akteure erlebbar macht. Denn hier liegt für mich genau die Chance von Spielen: Ich bin nicht nur Zuschauer sondern erlebe und entscheide aktiv. Hier hat das Spiel die Möglichkeit Menschen auf einer anderen Ebene zu erreichen als andere Medien.

Jetzt bin ich aber erst mal sehr gespannt was ihr dazu meint!

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ErichZann
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon ErichZann » 31. Oktober 2017, 14:30

Schwieriges Thema, erstmal muss im Grunde alles gehen jedoch mit Einschränkungen...wenn ein Spiel ein sehr heikles Thema bearbeitet dann muss es entweder Satire ( z.B. Manhattan Project) sein oder das Thema kritisch, geschichtlich betrachten und wenn möglich auf der "richtigen" Seite spielen oder dem Spieler beim bösen Spielen auch Nachteile zu geben (z.B. Sklaverei in Magister Navis)...dann habe ich mit kritischen Themen kein Problem.

In der Diskussion die sich hier ergibt muss man aber auch zwei Aspekte unterscheiden, Thema des Spiels und evtl. grafische Gestaltung...soll heißen, das Thema eines X-beliebigen Dungeon Crawlers im Fantasysetting ist ja jetzt nichts kritisches...ABER man kann immer in Frage stellen warum Frauen dort meistens als Sexbomben in seltsamen Posen dargestellt werden und ob das wohl auf die meist männliche Zielgruppe abgestimmt ist, sowas kann man gerne kritisieren, verbieten kann man es natürlich nicht und das will auch keiner...es geht nur um kritische Reflektion (lange rede kurzer Sinn...hat das Fantasyspiel X einen Mehrwert für mich wenn der Heldin die T***en raushängen oder nicht, meist kann man die Frage mit "Nope" beantworten.)

Themen die für mich nicht gehen (zumindest in einem Spiel das unkritisch damit umgeht) wären Spiele mit Thema Holocaust, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch und generell ein unkritisches Spiel mit rassistischen oder sexistischen Inhalten.
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Nafets
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Nafets » 1. November 2017, 01:00

ErichZann hat geschrieben:Themen die für mich nicht gehen (zumindest in einem Spiel das unkritisch damit umgeht) wären Spiele mit Thema Holocaust, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch und generell ein unkritisches Spiel mit rassistischen oder sexistischen Inhalten.


So. Allerdings halte ich auch Spiele die mit den angesprochenen Themen (Holocaust, Vergewaltigung...) tatsächlich kritisch und ernsthaft umgehen für nicht spielenswert, Da spiele ich ein Spiel mit lockererem Umgang mit dem Thema WMD ("Aber meine Bombe ist viel größer als Deine! Ätsch!") wie Manhattan Project schon viel, viel lieber und mit Begeisterung. Aber auch hier gibt es ein Art "uncanny valley" bzw. einen Abstrahierungsgrad der nötig ist. Lockeres Bomben bauen und sogar der Gebrauch solcher Bomben geht (Nuclear War, Supremacy) geht, eine Art Cosim z.B. die Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten gegen die atomare Aufrüstung haben ist schon eher over the top.

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ErichZann
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon ErichZann » 1. November 2017, 02:40

Persönlich würde ich so etwas auch nicht spielen wollen, ich finde es gibt Themen die man auf 1000 andere und bessere Arten thematisieren kann als mit einem Gesellschaftsspiel.
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Fang » 1. November 2017, 17:11

ulrichblum hat geschrieben:Zusammengefasst: Tabuthemen sind für mich keine Frage des Dürfens. Was man darf und was nicht geben Gesetze vor. Für mich als Spieler gibt es aber eine Frage des Wollens.

Das sehe ich auch so. Ich spiele auch keine Spiele die mir Unbehagen bereiten, habe aber kein Problem damit wenn andere die gut finden. Generell meide ich meist Spiele die mir zu realitätsnah sind und ziehe Fantasy oder Science-Fiction Szenarien vor.

Ein Beispiel bei mir wäre Pandemie. Als die Schweinegrippe vor ein paar Jahren grassierte habe ich es durchaus mit der Angst zu tun bekommen, sowas muss ich nicht als Brettspiel haben. Mit einer Zombieseuche in Winter der Toten habe ich aber kein Problem.
Konfliktsimulationen würde ich auch nie spielen, mich mit anderen in Kemet oder ähnlichem prügeln aber sehr wohl.

Wir hatten vor einiger Zeit auch eine kleine Diskussion bei Age of Empires III. Und zwar kann man in dem Spiel ein "Gebäude" namens Plague bauen das den Widerstand der Eingeborenen bei Erkundungen senkt. Generell meinten die meisten es wäre eben nur ein Spiel und die Ereignisse sind Jahrhunderte her und ob man jetzt ein Spiel mit dem Thema spielt spielt nun auch keine Rolle mehr.
Ich habe mich aber schon gefragt ob sowas wirklich sein muss.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon TomTom-spielbox » 2. November 2017, 14:07

Interessantes Thema.

Ich selbst mag auch Spiele wie Black Orchestra, Secret Hitler oder Les Poilus - alles Spiele, die sich mit geschichtlichen Ereignissen der nicht all zu fernen Vergangenheit auseinander setzen.
Dabei führen Spiele, die sehr stark in der Realität verankert sind, bei mir zu dem Effekt, dass ich mich eingehender mit der Geschichte befasse - so gab es bei mir auch eine "napoleonische Phase".

Ich persönlich habe wenig Interesse an flachen Partyspielen wie Schlongo, Titty Grab oder Don't drop the Soap - aber ein "No Go" für eine spielerische Umsetzung ist das für mich nicht. Ich kaufe es halt nicht und würde nur mit hochgezogenen Augenbrauen mitspielen.

Aber ich denke, so hat jeder persönliche Tabu-Themen, die er oder sie nicht spielen möchte. Ich auch. Aber da sage ich noch lange nicht: Das sollte nicht in einem Spiel thematisiert werden.

Denn: Alles, was in einem Spiel thematisiert wird, wird damit auch diskutiert. Und eine Auseinandersetzung - auch mit schwierigen Themen! - halte ich immer für gut! Totschweigen hat noch niemandem geholfen; drüber reden und reflektieren schon.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Jester_dt » 2. November 2017, 20:47

Ich finde es darf und sollte Spiele zu jedem Thema geben, jedoch finde ich es grenzwertig was als Erfolg in den Spielen belohnt wird. Beispielsweise kann ich mir vorstellen ein "Kriegsspiel" zu spielen, in dem auch Atombomben vorkommen. Ein No-Go wäre aber für mich, wenn es mit Punkten oder sonstwie belohnt werden würde, möglichst viele Zivilisten zu damit töten. Da hört der Spaß auf.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Nafets » 2. November 2017, 21:06

Auch bei offensichtlich satirischen Spielen wie z.B. "Nuclear War"?

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SpieLama
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon SpieLama » 3. November 2017, 06:55

ulrichblum hat geschrieben:In “Manhattan Project” ist es meine Aufgabe das Atomwaffen-Programm möglichst effektiv zu leiten. Will ich das? Ich persönlich nicht.

Es steht natürlich jedem frei, Spiele auszusortieren, weil das Thema einen nicht anspricht. Mir gefallen zum Beispiel keine Zombie-Spiele. Trotzdem finde ich es wichtig, dass es zu möglichst vielen Themen Spiele gibt.

richZann hat geschrieben:Persönlich würde ich so etwas auch nicht spielen wollen, ich finde es gibt Themen die man auf 1000 andere und bessere Arten thematisieren kann als mit einem Gesellschaftsspiel.

Viele in der Branche machen sich stark für das Kulturgut Spiel. Meines Erachtens ist der Einsatz dafür aber nur berechtigt, wenn Spiele – so wie andere Kulturgüter – auch schwierige Themen aufgreifen. Es gibt zum Beispiel zahlreiche Bücher über Konzentrationslager, Vergewaltigungen oder Sklaven. Das Buch „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ von Mark Twain gilt laut Wikipedia als Schlüsselwerk der US-amerikanischen Literatur. Der Film Schindlers Liste erhielt 1994 sieben Oscars und war für fünf weitere nominiert. Ich kenne kein Brettspiel, das solche Themen aufgreift und solch eine Bedeutung erlangt hat. Stattdessen spielen die meisten Brettspiele in Fantasywelten, in einem weichgespülten Mittelalter oder anderen historischen Epochen und Schauplätzen (Western, Industrialisierung, Renaissance, …).

Nun stellt sich mir die Frage: Warum ist das so? Vermutlich, weil sich nach Meinung der Verlage weichgespülte Themen besser verkaufen. Zweitens, weil meiner Meinung nach die Verlage in der Regel nicht mutig genug sind. Und wenn ein Verlag mal Mut beweist, dann ist es sehr wahrscheinlich kein deutscher Verlag. Pandemie kommt von Z-Man Games, Freedom: The Underground Railroad von Academy Games, Manhattan Project von Minion Games, War on Terror von Terrorbull Games und so weiter und so fort. Es könnte natürlich noch einen dritten Grund geben: Spiele sind so wie Du geschrieben hat, einfach kein geeignetes Medium für bestimmte Themen. Das sehe ich jedoch anders.

Ich weiß, dass Computerspiele sich von Brettspielen deutlich unterscheiden, aber trotzdem machen diese vor, wie es auch gehen kann. This War of Mine thematisiert Krieg, Hatred insziniert Amokläufe und Emotional Games lassen Spieler eine emotionale Achterbahnfahrt erleben. Unter http://www.emotionalgamesawards.com/ steht dazu:

emotionalgamesawards.com hat geschrieben:It is always difficult to talk about emotions, most people say that they know what they are until you ask them to actually define them. Video games try one way or other to manipulate the emotions of the player, but all not emotions leave a permanent memory. Fear can be a strong emotion but it generally leaves few traces in the memories of the player; luckily so because when it does it's became a pathology. However the emotions considered as being complex (sympathy, compassion) can leave us, for many years, with the memory of a movie or a book.

[...] In video games the complexity and the quality of the emotions that we feel, more or less set our memories . You can be frightened twenty times by an alien, lost alone in space and not even keep any memories of this three months after playing this game on your favorite console. But you will never forget the sadness you felt and the context of the day where in a video game, your friend, or your pet disappeared, or the joy you felt when you finally found him alive. Many scientific researches show how the emotional feeling of the players influences the quality of the immersion and the feeling of presence in the video games. It is to this end, to improve, to question and also to highlight emotional experiences of quality, that we humbly give out these awards

Das ist es, was ich mir auch von Brettspielen wünschen würde. Ich wünsche mir ein Spiel, an das ich mich auch noch nach Monaten und Jahren erinnere, weil es mich berührt, schockiert oder fasziniert hat. Das schafft aber höchst wahrscheinlich nie ein Spiel mit einem weichgespülten Thema. (Ein Brettspiel, das ich nie gespielt habe, das das aber anscheined schafft, ist übrigens Trains, siehe dazu viewtopic.php?f=5&t=390400).

Jester_dt hat geschrieben:Ich finde es darf und sollte Spiele zu jedem Thema geben, jedoch finde ich es grenzwertig was als Erfolg in den Spielen belohnt wird. Beispielsweise kann ich mir vorstellen ein "Kriegsspiel" zu spielen, in dem auch Atombomben vorkommen. Ein No-Go wäre aber für mich, wenn es mit Punkten oder sonstwie belohnt werden würde, möglichst viele Zivilisten zu damit töten. Da hört der Spaß auf.

Richtig, da hört der Spaß auf. Aber wäre nicht gerade so ein Spiel Auslöser einer Debatte? Ich denke schon und sehe es wie TomTom-spielbox.

TomTom-spielbox hat geschrieben:Denn: Alles, was in einem Spiel thematisiert wird, wird damit auch diskutiert. Und eine Auseinandersetzung - auch mit schwierigen Themen! - halte ich immer für gut! Totschweigen hat noch niemandem geholfen; drüber reden und reflektieren schon.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon TomTom-spielbox » 3. November 2017, 09:23

zuspieler hat geschrieben:Das ist es, was ich mir auch von Brettspielen wünschen würde. Ich wünsche mir ein Spiel, an das ich mich auch noch nach Monaten und Jahren erinnere, weil es mich berührt, schockiert oder fasziniert hat. Das schafft aber höchst wahrscheinlich nie ein Spiel mit einem weichgespülten Thema. (Ein Brettspiel, das ich nie gespielt habe, das das aber anscheined schafft, ist übrigens Trains, siehe dazu viewtopic.php?f=5&t=390400).

...wobei The Train ein Kunstprojekt ist und kein produziertes Brettspiel!
Ich hätte es sehr spannend gefunden, wenn ein Spiel wie The Train produziert worden wäre und an die verschiedenen Redaktionen, Blogger und Reviewer versandt worden wäre, um zu sehen, was die Reaktion darauf ist.
Wird darüber berichtet? WIE wird darüber berichtet? Führt es zu Denkprozessen? Usw, Usw...

Conflict Simulations distanzieren sich ja idR vom politischen Hintergrund und betrachten das rein technische Problem eines Krieges: Wie ist die Ausgangslage? Was ist das Ziel? Wie kann ich es erreichen?
WIESO denn eigentlich die russischen Soldaten diese finnische Stadt erobern wollen, die Frage wird an sich nicht gestellt. Das passt aber auch zu dem Spiel: Ein Soldat hinterfragt sein Ziel nicht, er führt die Befehle aus - im Zweifel auf Kosten seines Lebens (im Krieg!). Alleine das könnte man schon als Anlass zur Diskussion nehmen:
Sind die Cosim-Spieler quasi auch nur Soldaten, weil sie den "Befehl" des Missionsbuchs ohne zu Hinterfragen ausführen? Diese Frage stelle ich natürlich mit einem Augenzwinkern, denn ich selbst spiele gerne Cosims... ;-)

Übrigens, auf der Messe gab es das vermeintlich niedliche Spiel "Rescue Polar Bears" (https://www.boardgamegeek.com/boardgame/229370) - ich bringe es nicht über das Herz, es zu spielen! Man muss die Klimaerwärmung stoppen und die Eisbären aus der Arktis retten. Wenn einer ins Wasser fällt, dann ertrinkt er und alle Spieler haben verloren. Sorry, ich kann keine Eisbärenbabies ertrinken lassen, auch nicht im Spiel... :.(
Das Cover gibt mir übrigens dann den Rest...

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Fang
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Fang » 3. November 2017, 10:15

zuspieler hat geschrieben:Das ist es, was ich mir auch von Brettspielen wünschen würde. Ich wünsche mir ein Spiel, an das ich mich auch noch nach Monaten und Jahren erinnere, weil es mich berührt, schockiert oder fasziniert hat. Das schafft aber höchst wahrscheinlich nie ein Spiel mit einem weichgespülten Thema.

Sehe ich anders. Für mich sind Brettspiele reine Unterhaltung. Mir ernsten Themen wird man so schon ständig konfrontiert, sowas brauche ich nicht in jedem Medium.
Brettspiele finde ich dafür auch ungeeignet. Bücher bringen sowas meiner Meinung nach am besten rüber und über die unterhalte ich mich sehr gern.

Denkwürdige Momente bescheren mir Spiele wie Mage Knight oder SW: Rebellion jedenfalls mehr als Twilight Struggle, Nur weil letzteres ein ernstes Thema hat fasziniert es mich kein Stück mehr.

Übrigens schön dass du auch mal mitdiskutierst. Sonst bestehen deine Beiträge ja meist nur aus irgendwelchen Links.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Florian-SpieLama » 3. November 2017, 12:09

Auch wenn es Videospiele vor machen sehe ich doch einen Unterschied zwischen Spielen und Büchern/Filmen.
Bei Spielen bin ich die handelnde Person. Es gibt keine Figur/Schauspieler den ich eklig finden kann, denn ich bin es der für Siegpunkte Juden verbrennt oder was weiß ich.
Und liegt einfach der Hauptunterschied, der is in Spielen für die meisten deutlich unangenehmer macht, als bei Filmen oder Büchern.

Trotzdem glaube ich, dass alles gehen sollte und man muss selber entscheiden, ob man sich dem Unbehagen stellt.

So wie es kontroverse Filme gibt, kann ich auch nur Popcorn-Kino konsumieren.
Deswegen darf es auch kontroverse Spiele geben, aber man kann dann auch nur weichgespülte Spiele konsumieren.

Entschärfen lässt sich das ganze durch die Perspektive. Freedom The Underground Railroad kann dich gar kein Tabu-Thema sein, weil wir doch Helden sind und die Sklaven retten.

Jeder sollte selbst seine Linie ziehen, was er spielt. Gemacht werden sollte alles was legal ist und wenn es dann nur auf das Thema aufmerksam macht ist schon viel gewonnen.

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Peterlerock
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Peterlerock » 3. November 2017, 12:27

Früher hätte ich es an einer Jahreszahl festgemacht (1914):
Was davor an Kriegen passiert ist, war natürlich ebenfalls fürchterlich, aber ich kann bei Römern & Barbaren, Rittern & Sarazenen irgendwie noch abstrahieren, und das in eine verklärte "Fantasy"-Umgebung transferieren.

Ich habe in der Zwischenzeit aber einige Spiele gespielt, die imho sehr gut mit ihrem (schrecklichen) Thema umgehen. Les Poilus / The Grizzled, in dem man den Krieg als einfacher Soldat einfach nur "überstehen" muss, aber auch Simulationen, etwa Titel aus der COIN-Serie (zB Fire in the Lake in Vietnam), Labyrinth (US und Islamisten spielen Tauziehen im Nahen Osten) oder Churchill (die Siegermächte des zweiten Weltkriegs streiten, wer Erster unter Gleichen ist). Diese Titel arbeiten ihr Thema sehr interessant auf, sind lehr- und facettenreich.
Ich würde inzwischen vermutlich auch den "Nazi" in Rise of Totalitarism oder Triumph and Tragedy spielen, ohne schreiend wegzurennen.

Was mich nach wie vor gar nicht interessiert, sind Kriegsspiele auf der taktischen Ebene. Da kann sich die Cosim-Szene noch so aufgeklärt präsentieren, irgendwas schmeckt mir da gar nicht dran, SS-Schwadronen und Tigerpanzer auf einer Landkarte rumzuschieben.

Bei Conan stört mich mehr die geringe Anzahl der weiblichen Figuren (2?), die sexualisierte Darstellung beider Geschlchter gehört einfach zum Genre.
Secret Hitler liegt für mich irgendwo im Bereich "lehrreiche Satire", hab ich kein Problem mit.
Bei Mombasa schmecken mir das Titelbild und die "Entschuldigung" in der Spielregel nicht so recht. Ich täte es aber spielen. Ähnlich bei Age of Empires.
Sowas wie Don't drop the soap (gab's auf der Messe) fällt für mich einfach nur unter "geschmacklos". Und vor allem sah das Spiel dahinter völlig langweilig aus.
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Lomopolar » 3. November 2017, 18:07

Wahrscheinlich ist erstmal jedes Thema erlaubt. Die Frage ist halt, wie wird es umgesetzt und wie gehen die Spieler mit dem Thema um.
Ich persönlich hätte aber kein Interesse an einem Spiel mit zu ernstem Thema. Ein Spieleabend mit Freunden soll für mich reine Unterhaltung sein und ich möchte danach kein ungutes Gefühl.
Spiele mit zu ernstem Thema wären wohl eher Spiele in einer Niesche mit geringer Auflage.

Es gibt aber sicher Dinge die eine Grenze überschreiten: Exit-Fritzledition oder so (also ernste Themen zu sehr aktuellen Ereignissen).

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon SpieLama » 5. November 2017, 15:23

TomTom-spielbox hat geschrieben:...wobei The Train ein Kunstprojekt ist und kein produziertes Brettspiel!
Ich hätte es sehr spannend gefunden, wenn ein Spiel wie The Train produziert worden wäre und an die verschiedenen Redaktionen, Blogger und Reviewer versandt worden wäre, um zu sehen, was die Reaktion darauf ist.
Wird darüber berichtet? WIE wird darüber berichtet? Führt es zu Denkprozessen? Usw, Usw...

Stimmt, es handelt sich eher um ein Kunstprojekt. In diesem Zusammenhang musste ich spontan auch an das Spiel „Secret Hitler“ denken. Meine These. Ohne das H-Wort im Titel, hätte es sich nie so gut verkauft oder diese Aufmerksamkeit bekommen. Apropos Hitler. Auch das aktuelle Editorial der spielbox widmet sich dem Thema. Matthias Hardel schreibt dort unter anderem:

spielbox hat geschrieben:[...] Die internationale Spielergemeinde verspürt derartige Regungen [Berührungsängste beim Spielthema Kalter Krieg] ohnehin kaum, wofür 28.593 Bewertungen von Twillight Struggle alias Gleichgewicht des Schreckens sprechen. Dass in Deutschland historisch begründete Vorbehalte existieren, mag man kaum glauben, ist es doch möglich, sich 24 Stunden am Tag mit Dokumentationen über die Feldzüge der Wehrmacht oder militärtechnische Hardware berieseln zu lassen. Auch Buch- und Computerspielemarkt lassen in dieser Hinsicht keine Wünsche offen. Anders bei Brettspielen. [...]

Illustriert ist der Artike mit einem braunen Pöppel, der einen schwarzen Bart trägt. Ist das auch schon ein Tabubruch? Falls nein, wäre es das, wenn dieser Pöppel in einem Spiel enthalten wäre?

spielbox.jpg
spielbox.jpg (538.07 KiB) 25243 mal betrachtet

Wer das komplette Editorial lesen möchte, findet es unter http://www.nostheide.de/downloads/spiel ... Seiten.pdf.

Florian-SpieLama hat geschrieben:Auch wenn es Videospiele vor machen sehe ich doch einen Unterschied zwischen Spielen und Büchern/Filmen.
Bei Spielen bin ich die handelnde Person. Es gibt keine Figur/Schauspieler den ich eklig finden kann, denn ich bin es der für Siegpunkte Juden verbrennt oder was weiß ich.
Und liegt einfach der Hauptunterschied, der is in Spielen für die meisten deutlich unangenehmer macht, als bei Filmen oder Büchern.

Natürlich hat jedes Medium seine Vor- und Nachteile. Aber ist es nicht gerade ein Vorteil von Spielen gegenüber Büchern und Filmen, dass der Spieler selbst der handelnde Akteur ist, Entscheidungen treffen muss und mit den Folgen/Konsequenzen aus seinen Entscheidungen im Idealfall wieder konfrontiert wird? Ich finde schon.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Peterlerock » 5. November 2017, 16:58

zuspieler hat geschrieben:Natürlich hat jedes Medium seine Vor- und Nachteile. Aber ist es nicht gerade ein Vorteil von Spielen gegenüber Büchern und Filmen, dass der Spieler selbst der handelnde Akteur ist, Entscheidungen treffen muss und mit den Folgen/Konsequenzen aus seinen Entscheidungen im Idealfall wieder konfrontiert wird? Ich finde schon.

Oft ja, hier halt nicht.
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon ulrichblum » 7. November 2017, 19:01

Peterlerock hat geschrieben:
zuspieler hat geschrieben:Natürlich hat jedes Medium seine Vor- und Nachteile. Aber ist es nicht gerade ein Vorteil von Spielen gegenüber Büchern und Filmen, dass der Spieler selbst der handelnde Akteur ist, Entscheidungen treffen muss und mit den Folgen/Konsequenzen aus seinen Entscheidungen im Idealfall wieder konfrontiert wird? Ich finde schon.

Oft ja, hier halt nicht.


Ich möchte die Rolle des Spielers hier nochmals aufgreifen. Ja, Spiele sind insofern besonders, dass man als Spieler aktiv handelt. Das bringt einige Probleme mit sich, ist aber meiner Meinung nach gerade die Chance von Spielen, wenn man es geschickt macht. Vielleicht ist "Probleme" auch das falsch Wort, vielmehr ist es so, dass bestimmte Muster im Umgang mit kritischen Themen nicht einfach aus anderen Medien übernommen werden können.

In Filmen und Büchern ist es beispielsweise ein beliebtes Stilmittel, dass man schreckliche oder abstoßende Dinge einfach vorgeführt bekommt und als Rezipient eine Haltung gegenüber diesen Dingen einnehmen muß. Zum Beispiel sehen wir in "Full Metal Jacket" erst mal etwa eine Stunde lang einfach den Alltag von Soldaten in der Grundausbildung. Wir sind als Zuschauer Zeugen des Drills, der Erniedrigung und der Entmenschlichung der Soldaten. Kaum jemand wird dem nur mit einem Schulterzucken zuschauen können. Fast automatisch entwickle ich als Zuschauer eine Haltung zu dem gezeigten, finde es abstoßend, widerlich, oder was auch immer. Es läßt mich aber kaum kalt. Sprich Ablehnung ist auch eine mögliche Emotion mit der ich auf das gezeigte reagieren kann, es muß nicht immer einen sympathischen Protagonisten geben.

Hier wird sich das Spiel tatsächlich schwerer tun. Ich will meine Spielfigur ja erst mal nicht ablehnen, schließlich repräsentiert sie mich innerhalb der Spielhandlung. Aber gäbe es trotzdem Möglichkeiten die oben beschriebene Technik im Spiel einzusetzen, oder kennt ihr sogar ein Spiel, welches dies tut?

Wenn man es etwas weiter fasst, wird es einfacher: Oft liest man zwischen den Zeilen eine Haltung des Buches oder des Filmes zu dem gezeigten heraus. In vielen Anti-Kriegs-Filmen sehen wir beispielsweise auf den ersten Blick ähnliche Darstellungen wie in irgendwelchen Splatter- und Actionfilmen. Durch die Art und Weise wie diese Darstellungen aber eingebettet sind und durch die Zwischentöne ist uns klar, welche Haltung der Film selbst zu diesen Handlungen einnimmt.

Hier sehe ich weniger Probleme diese Technik im Spiel zu übernehmen, da sie nicht auf eine Figur sondern auf das ganze bezogen ist. Das halte ich für leichter umsetzbar als eine ablehnende Haltung gegenüber einer Figur einzunehmen. "Les Poilus" macht ja auch nichts anderes. Es thematisiert Krieg, aber eben nicht als Heldenepos sondern als eine Geschichte des blossen Überlebens. Der Fokus wird so verschoben, dass ich als Spieler die Menschliche Dimension des 1. Weltkriegs erlebe, dabei wird eine klare Haltung des Spiels zu dem Thema spürbar.

Kennt ihr noch andere Beispiele für diese beiden Techniken?

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon Peterlerock » 8. November 2017, 09:32

ulrichblum hat geschrieben:"Les Poilus" macht ja auch nichts anderes. Es thematisiert Krieg, aber eben nicht als Heldenepos sondern als eine Geschichte des blossen Überlebens. Der Fokus wird so verschoben, dass ich als Spieler die Menschliche Dimension des 1. Weltkriegs erlebe, dabei wird eine klare Haltung des Spiels zu dem Thema spürbar.

...wobei wir bei "Les Poilus" die Rolle der "Guten" einnehmen. Und wir sind alle auf einer Seite.
Das Spiel würde genausogut im zweiten Weltkrieg funktionieren, weil niemand den Nazi spielen muss.

Außerdem wird hier alles komplett ausgeklammert, was wirklich "Krieg" oder "Kampf" ist, es geht nur darum, dieses unmenschliche Szenario zu "überstehen".
Es bleibt dem Leser selbst überlassen, die Lücke zu füllen, was diese sympathisch dreinblickenden Franzosen im Laufe des Spiels aktiv getan haben: Saßen die einfach nur frierend im Schützengraben und hofften, keiner bemerkt, dass sie nie einen Schuss abgegeben haben? Haben sie überhaupt getötet?

---

Medien, die nicht interaktiv sind, lassen völlig andere Szenarien zu. Weil die Distanz klar ist: Das bin nicht ich.
Wenn ich im Spiel die Rolle des Bösen einnehmen soll, sieht das ganz anders aus, die Grenzen verschwimmen.

Für mich funktionierende Wege, den "Bösen" zu spielen:
1. als eindeutig definierter Antagonist, der den anderen eine "Show" liefert. Sowas wie ein Rollenspielleiter, oder der Gegenspieler in einem Dungeon Crawler, der die Monster steuert.
2. in einem völlig entfremdeten Fantasy-Universum. Ich habe kein Problem damit, einen Chaosgott zu spielen, der die alte Welt vernichten will. Oder das Imperium bei Star Wars. Weil das keinen direkten, realen Bezug hat.
3. In einem klar satirischen Szenario wie etwa "Junta".
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PeterHaag
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon PeterHaag » 10. November 2017, 11:55

Vorweg:
Ich finde den Reiz am Spielen, gerade darin, dass ich auch Sachen machen "darf", die ich im echten Leben nicht machen würde. z.B. nur an das eigene Wohl denken, andere ausstechen oder austricksen, bluffen, schwindeln, böse sein, Ellbogen ausfahren etc.

Achtung: Ich meine nicht schummeln, (außer der Regeln erlauben es). Das ist ein Taboo auf der Metaebene, dass ich nicht abkann. Die Regeln des Spiels sollten schon von allen Mitspielern akzeptiert und eingehalten werden.

Grundsätzlich:
Zunächst muss man sich die Frage stellen, ob Gesellschaftsspiele nur ein Hobby oder spaßiger Zeitvertreib oder ein Kulturgut sein wollen.

Werden Gesellschaftsspiele nur zum Spaß gedankenlos konsumiert und gespielt, halte ich gewissen Taboothemen für ungeeignet. weil sie Haltungen unbewusst beeinflussen können.

Wollen Gesellschaftspiele Kulturgut sein, dann sollte sie gerade Taboos, Gesellschaftkritik und Anstößiges thematisieren. Ja es wäre ja geradezu ihre Aufgabe.

Das Schwierige ist jedoch, dass die Frage ob ein Spiel Kulturgut ist oder nicht, sehr stark vom Konsumenten, sprich von den Spielern abhängt. Man kann ein Spiel nicht einfach zum Kulturgut erklären, denn man hat nicht in der Hand wie es rezipiert wird.

Will man mit einem Spiel einen kulturellen und gesellschaftkritischen Blick auf aktuelle oder vergangene Ereignisse ermöglichen, bedarf es natürlich aber auch einer sensiblen Bearbeitung des Themas.

Im Spiel "Freedom the Underground Railroad" gelingt das recht gut. Allerdings kann die Spielmechanik recht anstößig sein, wenn man sein Spielziel erreichen will. Hier muss man nämlich unter Umständen eine Gruppe von Sklaven aufgeben / "opfern" um eine andere zu retten. Hier kommt man leicht in den Bereich des ethisch Fragwürdigen. Das muss jedoch nicht schlecht sein, denn wenn den Spielern dieses ethische Problem beim Spielen auffällt oder aufstößt, kann es ja gerade dazu führen, dass sich Spieler mit dieser Problemstellung auch außerhalb des Spiels aktiv auseinander setzen.

Oder wenn ein Spiel wie "Black Orchestra" das Attentat auf Hitler thematisiert, kommt man in dieselbe Situation. Wir planen und führen einen Mord durch. Jedoch um das Gute erreichen zu wollen, nämlich die Zerstörung einer Diktatur, welche das Leben vieler Menschen gefordert hat und noch fordern wird. Ist das verwerflich oder nicht? Wie war das damals? Würde ich das auch tun? Ist das klug/richtig/falsch?
Darf man in solch einem Spiel nationalsozialistische Symbole in die graphische Gestaltung einbeziehen? rechtlich nicht. Aber macht das Sinn? Warum tabooisieren wir diese Symbole? Um sie gedankenlos zu verdrängen und uns nicht damit auseinandersetzen zu müssen? Oder um nicht als verfassungsfeindlich angesehen zu werden?

Viele spannende Fragen, die auf Themen aufmerksam machen, jedoch unterliegt die gedankliche und spielerische Auseinandersetzung mit solchen Themen nicht in der Hand der Entwickler. Es können nur Angebote sein. Was die Spieler daraus machen, oder ob sie diese gar missbrauchen werden, ist fraglich.

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PeterHaag
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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon PeterHaag » 10. November 2017, 15:42

ulrichblum hat geschrieben:In Filmen und Büchern ist es beispielsweise ein beliebtes Stilmittel, dass man schreckliche oder abstoßende Dinge einfach vorgeführt bekommt und als Rezipient eine Haltung gegenüber diesen Dingen einnehmen muß. Zum Beispiel sehen wir in "Full Metal Jacket" erst mal etwa eine Stunde lang einfach den Alltag von Soldaten in der Grundausbildung. Wir sind als Zuschauer Zeugen des Drills, der Erniedrigung und der Entmenschlichung der Soldaten. Kaum jemand wird dem nur mit einem Schulterzucken zuschauen können. Fast automatisch entwickle ich als Zuschauer eine Haltung zu dem gezeigten, finde es abstoßend, widerlich, oder was auch immer. Es läßt mich aber kaum kalt. Sprich Ablehnung ist auch eine mögliche Emotion mit der ich auf das gezeigte reagieren kann, es muß nicht immer einen sympathischen Protagonisten geben.


Es kann aber auch Zuschauer geben, die sich am gezeigten Ergötzen oder es nachmachen wollen. Wie der Konsument darauf reagiert und wie er damit umgeht, hast du weder als Filmemacher noch als Spielemacher in der Hand.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon 7029 » 10. November 2017, 18:30

Peterlerock hat geschrieben:
ulrichblum hat geschrieben:"Les Poilus" macht ja auch nichts anderes. Es thematisiert Krieg, aber eben nicht als Heldenepos sondern als eine Geschichte des blossen Überlebens. Der Fokus wird so verschoben, dass ich als Spieler die Menschliche Dimension des 1. Weltkriegs erlebe, dabei wird eine klare Haltung des Spiels zu dem Thema spürbar.

...wobei wir bei "Les Poilus" die Rolle der "Guten" einnehmen. Und wir sind alle auf einer Seite.
Das Spiel würde genausogut im zweiten Weltkrieg funktionieren, weil niemand den Nazi spielen muss.


Ich stimme nicht überein, dass man "die Guten" spielt in Les Poilus. Es geht nicht um gute und böse Menschen. Die einzige Wertung die das Spiel vornimmt: Krieg ist böse. Deswegen ist Ziel auch "Frieden" und nicht "Sieg". Welche Seite man spielt ist dabei völlig egal für das Elend das man erlebt. Tatsächlich gibt es für Les Poilus Promos in denen man eine Gruppe Amerikanischer oder auch Deutscher Soldaten spielen kann.

Ich habe mich von dem Spiel übrigens sehr an "Im Westen nichts Neues" erinnert gefühlt. Obwohl das Buch von der deutschen Seite statt von der französischen berichtet, sagt es für mich das selbe aus wie das Spiel.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon SpieLama » 12. November 2017, 23:57

ulrichblum hat geschrieben:In Filmen und Büchern ist es beispielsweise ein beliebtes Stilmittel, dass man schreckliche oder abstoßende Dinge einfach vorgeführt bekommt und als Rezipient eine Haltung gegenüber diesen Dingen einnehmen muß. Zum Beispiel sehen wir in "Full Metal Jacket" erst mal etwa eine Stunde lang einfach den Alltag von Soldaten in der Grundausbildung. Wir sind als Zuschauer Zeugen des Drills, der Erniedrigung und der Entmenschlichung der Soldaten. Kaum jemand wird dem nur mit einem Schulterzucken zuschauen können. Fast automatisch entwickle ich als Zuschauer eine Haltung zu dem gezeigten, finde es abstoßend, widerlich, oder was auch immer. Es läßt mich aber kaum kalt. Sprich Ablehnung ist auch eine mögliche Emotion mit der ich auf das gezeigte reagieren kann, es muß nicht immer einen sympathischen Protagonisten geben.

Hier wird sich das Spiel tatsächlich schwerer tun. Ich will meine Spielfigur ja erst mal nicht ablehnen, schließlich repräsentiert sie mich innerhalb der Spielhandlung. Aber gäbe es trotzdem Möglichkeiten die oben beschriebene Technik im Spiel einzusetzen, oder kennt ihr sogar ein Spiel, welches dies tut?

In einem Spiel ist es meines Erachtens nur bedingt möglich, Figuren auf diese Art und Weise einzuführen. Ein Spiel kann zwar einen Prolog haben, der die Spielwelt/Figuren beschreibt (zum Beispiel in der Anleitung oder aber auch im Spiel), aber ein Spiel lebt per Definition davon, dass der Spieler im Rahmen der vorgegebenen Grenzen (Regeln) aktiv wird und die Welt nach seinen Vorstellungen gestaltet. Das stellt Spieleautoren und Redakteure vor ganz andere Herausforderungen als Buchautoren oder Regisseure. Bücher und Filme sind linear, es lässt sich exakt festlegen, was wann wie passieren soll. In einem Spiel ist das nicht möglich.

ulrichblum hat geschrieben:Wenn man es etwas weiter fasst, wird es einfacher: Oft liest man zwischen den Zeilen eine Haltung des Buches oder des Filmes zu dem gezeigten heraus. In vielen Anti-Kriegs-Filmen sehen wir beispielsweise auf den ersten Blick ähnliche Darstellungen wie in irgendwelchen Splatter- und Actionfilmen. Durch die Art und Weise wie diese Darstellungen aber eingebettet sind und durch die Zwischentöne ist uns klar, welche Haltung der Film selbst zu diesen Handlungen einnimmt.

Hier sehe ich weniger Probleme diese Technik im Spiel zu übernehmen, da sie nicht auf eine Figur sondern auf das ganze bezogen ist. Das halte ich für leichter umsetzbar als eine ablehnende Haltung gegenüber einer Figur einzunehmen. "Les Poilus" macht ja auch nichts anderes. Es thematisiert Krieg, aber eben nicht als Heldenepos sondern als eine Geschichte des blossen Überlebens. Der Fokus wird so verschoben, dass ich als Spieler die Menschliche Dimension des 1. Weltkriegs erlebe, dabei wird eine klare Haltung des Spiels zu dem Thema spürbar.

Eine beliebte Frage an Autoren ist: Wie entwickelst Du Deine Spiele? Fängst Du mit einem Thema oder einem Mechanismus an? Meines Erachtens ist das die falsche Frage. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Autor auf diese Frage mit "Weder noch" geantwortet hat. Ich wünsche mir, dass Autoren sich zu Beginn der Spieleentwicklung fragen: Welche Erfahrung beziehungsweise welches Erlebnis will ich vermitteln? Beispiel Zweiter Weltkrieg. In einem ersten Schritt müsste das Thema eingegrenzt werden, zum Beispiel auf den Luftkrieg. In einem zweiten Schritt müsste man nun eine Erfahrung beziehungsweise ein Erlebnis rund um den Luftkrieg definieren, zum Beispiel, die Euphorie der Jagd auf feindliche Flieger und die Freude, wenn man diese erwischt. Oder die panische Angst, wenn ein feindlicher Flieger an meinem Heck hängt. Oder ...

Jesse Schell schreibt dazu in seinem Buch "The Art of Game Design"

Jesse Schell hat geschrieben:Lens #1: The Lens of Essential Experience
To use this lens, you stop thinking about your game and start thinking about the experience of the player. Ask yourself these questions:
  • What experience do I want the player to have?
  • What is essential to that experience?
  • How can my game capture that essence?
If there is a big difference between the experience you want to create and the one you are actually creating, your game needs to change: You need to clearly state the essential experience you desire, and find as many ways as possible to instil this essence into your game.


Ich möchte noch einen weiteren Aspekt in die Runde werfen. Wenn wir über Tabu-Themen sprechen, haben wir bisher immer nur von Krieg, Gewalt und Sex gesprochen. Es gibt aber in unserer Gesellschaft viel mehr Tabu-Themen, zum Beispiel Tod, Armut, Depressionen, Unfruchtbarkeit, Analphabetismus und so weiter und so fort. Auch diese Themen könnten Spielen aufgreifen, tun es aber in der Regel eher nicht.

PeterHaag hat geschrieben:Wollen Gesellschaftspiele Kulturgut sein, dann sollte sie gerade Taboos, Gesellschaftkritik und Anstößiges thematisieren. Ja es wäre ja geradezu ihre Aufgabe.

Volle Zustimmung. Leider thematisieren Spiele in der Regel weder Gesellschaftskritik noch anstößige Themen. Das bedeutet, dass zwar alle möglichen Institutionen wie zum Beispiel die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ), der Verein Spiel des Jahres oder das Spielearchiv in Nürnberg immer wieder vom Kulturgut Spiel sprechen, es defacto aber gar nicht existiert. Oder um es mit einer Buchmetapher zu sagen: Spiele sind keine Hochliteratur, sondern lediglich Trivialliteratur. Siehe dazu auch die Erläuterungen in der Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Trivialliteratur.

Wikipedia hat geschrieben:[...] Trivialliteratur widmet sich meist großen Themen wie Liebe, Tod, Abenteuer, Verbrechen, Familie oder Krieg, behandelt diese aber in einer vereinfachenden, klischeehaften und oftmals die Vorstellung einer „heilen Welt“ verklärenden Weise. Triviale Texte sind in Sprache, Verständlichkeit und Emotionalität so strukturiert, dass sie den Erwartungen einer möglichst großen Leserschaft gerecht werden (indem sie dieser eine oftmals schöne, durchweg gerechte Welt mit klaren Unterscheidungen zwischen Gut und Böse vermitteln). Wesentliches Merkmal der Trivialliteratur ist – anders als die eher auf kritische Reflexion gängiger Vorstellungen und etablierter Denkweisenden setzende Hochliteratur – den Erwartungshorizont des Lesers nicht zu durchbrechen, was einer Bestätigung (Affirmation) seiner bestehender Meinungen, Gesellschaftsbilder usw. gleichkommt. [...]

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon ulrichblum » 13. November 2017, 14:49

PeterHaag hat geschrieben:
ulrichblum hat geschrieben:In Filmen und Büchern ist es beispielsweise ein beliebtes Stilmittel, dass man schreckliche oder abstoßende Dinge einfach vorgeführt bekommt und als Rezipient eine Haltung gegenüber diesen Dingen einnehmen muß. Zum Beispiel sehen wir in "Full Metal Jacket" erst mal etwa eine Stunde lang einfach den Alltag von Soldaten in der Grundausbildung. Wir sind als Zuschauer Zeugen des Drills, der Erniedrigung und der Entmenschlichung der Soldaten. Kaum jemand wird dem nur mit einem Schulterzucken zuschauen können. Fast automatisch entwickle ich als Zuschauer eine Haltung zu dem gezeigten, finde es abstoßend, widerlich, oder was auch immer. Es läßt mich aber kaum kalt. Sprich Ablehnung ist auch eine mögliche Emotion mit der ich auf das gezeigte reagieren kann, es muß nicht immer einen sympathischen Protagonisten geben.


Es kann aber auch Zuschauer geben, die sich am gezeigten Ergötzen oder es nachmachen wollen. Wie der Konsument darauf reagiert und wie er damit umgeht, hast du weder als Filmemacher noch als Spielemacher in der Hand.



Das stimmt natürlich erst mal. Letztlich in der Hand hat man das als Spieleautor oder Filmemacher nicht. Um das nochmals am Film zu verdeutlichen: Ja, man kann "Full Metal Jacket" schauen und sich einfach über den schreienden Drill Sergeant amüsieren ohne kritische Reflexion. Noch krasseres Beispiel: Man kann "Starship Troopers" problemlos als reinen Actionfilm schauen ohne sich Gedanken über die dargestellten Mechanismen des Faschismus machen.

In diesen beiden Fällen liegt das meiner Meinung nach daran, dass diese Filme die kritische Haltung des Zuschauers nicht diktieren wollen, sondern die Wertung dem Zuschauer überlassen (in so fern war "Full Metal Jacket" wahrscheinlich auch kein gutes Beispiel in meinem letzten Post).

Nun gibt es aber durchaus Mittel und Wege bestimmte Emotionen beim Zuschauer zu provozieren. Nur als Beispiel:
Spannungsvolle Musik im Horrorfilm suggeriert, dass gleich etwas schlimmes passiert. Ebenso gibt es im Horrorfilm die Subjektive Kamerafahrt (der Zuschauer meint durch die Augen einer Figur zu schauen) welche das Gefühl von "da ist jemand im Haus" verstärken soll.
Diese beiden Mittel sind im Horrorfilm so häufig, dass sie inzwischen schon bewußt als falsche Fährte eingesetzt werden. Das Schlimme passiert eben gerade nicht, wenn Musik es ankündigt etc.

Das Problem bei analogen Spielen ist, dass wir ganz andere Mittel einsetzen müßen um solche Emotionalen Momente zu schaffen.

Ich habe am Wochenende "This War of Mine" gespielt. Dabei habe ich eine interessante Erfahrung gemacht: Es kam zu fast der identischen Situation welche mich in der digitalen Version des Spiels wirklich tief berührt hat: Wir brauchten Nahrung. Beim nächtlichen Plündern anderer Orte stießen wir auf einen gefüllten Kühlschrank. Im digitalen Spiel meldete sich nun meine Figur mit einem Text: "Das kann ich doch nicht einfach nehmen, das gehört jemandem wie mir und der hat dann nichts zu Essen." Das Spiel hat es mir aber trotzdem ermöglicht, das Essen zu nehmen. Das hat mich so umgehauen, dass ich das Spiel erst mal unterbrechen mußte.
In der Analogen Variante war einfach ein Balken "Privat" über die Karte mit dem Kühlschrank. In manchen Situationen wird man bestraft, wenn man von solchen Karten etwas nimmt, in der konkreten Situation war dies aber nicht der Fall. Ergebnis: wir haben uns das Essen genommen.

Man sieht daran ganz gut, welche Unterschiede die Medien haben. Es fällt mir in einem Spiel sehr viel einfacher mich emotional zu verschließen. Das analoge Spiel ist hier ein bisschen wie Malerei. Wenn ich mich nicht aktiv auf ein Gemälde einlasse, hängt es nur dekorativ an der Wand.

Die Aufgabe für einen Spieleautoren, welcher emotional berühren will liegt also darin Übersetzungen für diese Vorgänge zu finden, welche innerhalb des Mediums funktionieren. Da das noch kaum gemacht wird, begibt man sich hier auf schwieriges Territorium, da man nicht aus einer Vielzahl schon dagewesener Techniken bedienen kann.

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Re: Thema des Monats: Tabu-Themen in Spielen!?

Beitragvon ulrichblum » 13. November 2017, 15:25

zuspieler hat geschrieben:In einem Spiel ist es meines Erachtens nur bedingt möglich, Figuren auf diese Art und Weise einzuführen. Ein Spiel kann zwar einen Prolog haben, der die Spielwelt/Figuren beschreibt (zum Beispiel in der Anleitung oder aber auch im Spiel), aber ein Spiel lebt per Definition davon, dass der Spieler im Rahmen der vorgegebenen Grenzen (Regeln) aktiv wird und die Welt nach seinen Vorstellungen gestaltet. Das stellt Spieleautoren und Redakteure vor ganz andere Herausforderungen als Buchautoren oder Regisseure. Bücher und Filme sind linear, es lässt sich exakt festlegen, was wann wie passieren soll. In einem Spiel ist das nicht möglich.


Die nicht Lineare Natur des Spiels ist aber wie du sagst eine "Herausforderung" und kein Hindernis. Genauso sehe ich das bei der Figurenzeichnung. Es ist eine Frage der Mittel. Siehe weiter unten.

zuspieler hat geschrieben:Eine beliebte Frage an Autoren ist: Wie entwickelst Du Deine Spiele? Fängst Du mit einem Thema oder einem Mechanismus an? Meines Erachtens ist das die falsche Frage. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Autor auf diese Frage mit "Weder noch" geantwortet hat. Ich wünsche mir, dass Autoren sich zu Beginn der Spieleentwicklung fragen: Welche Erfahrung beziehungsweise welches Erlebnis will ich vermitteln?


Das kann ich nur unterschreiben. Ich finde es trotzdem Legitim mit einem Mechanismus oder einem Thema anzufangen aber relativ bald muß ich zwingend auch die Frage nach dem Erlebnis stellen. Tut man das nicht ist die Gefahr groß, dass Inhalt und Mechanik nicht als zusammengehörig empfunden werden.

zuspieler hat geschrieben:
PeterHaag hat geschrieben:Wollen Gesellschaftspiele Kulturgut sein, dann sollte sie gerade Taboos, Gesellschaftkritik und Anstößiges thematisieren. Ja es wäre ja geradezu ihre Aufgabe.

Volle Zustimmung. Leider thematisieren Spiele in der Regel weder Gesellschaftskritik noch anstößige Themen. Das bedeutet, dass zwar alle möglichen Institutionen wie zum Beispiel die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ), der Verein Spiel des Jahres oder das Spielearchiv in Nürnberg immer wieder vom Kulturgut Spiel sprechen, es defacto aber gar nicht existiert. Oder um es mit einer Buchmetapher zu sagen: Spiele sind keine Hochliteratur, sondern lediglich Trivialliteratur.


(Als kleine Klammerbemerkung, da es letztlich eine andere Diskussion ist:
Ich sehe worauf du hinaus willst und gebe dir sogar ein Stück weit recht. ABER: Niemand würde in Frage stellen, dass Bücher Kulturgüter sind nur weil es AUCH Trivialliteratur gibt, welche wahrscheinlich sogar die Mehrheit der Publikationen umfasst.)

Aber zum Thema: Es schält sich für mich in der bisherigen Diskussion heraus, dass es nicht wirklich Themen gibt, die "man nicht machen kann". Vielmehr geht es um die Frage wie diese behandelt werden. Ich gebe PeterHaag recht, wenn er sagt, dass es im Sinne eines Kulturgutes sogar die Aufgabe wäre kontroverse Themen zu behandeln. Gleichzeitig stellen wir aber Fest, dass es nicht besonders viele Spiele gibt, die dies machen. Ich glaube das Problem liegt in den Mitteln, welche dem Spieleautoren zur Verfügung stehen.

Wenn man die kollektive Arbeit aller Spieleautoren als Forschungsanstrengung für das Medium Spiel betrachtet, haben wir in den letzten 30 Jahren sehr viel erreicht, allerdings vor allem auf der Ebene der Mechanismen. Es gibt heute eine nie dagewesene Vielfalt an Mechanismen und ständig kommen neue hinzu. Das ist ein riesiger Fundus aus dem man als Spieleautor schöpfen kann. Das ist toll und ein Hauptgrund wieso Spiele tatsächlich gefühlt immer besser werden. Die Autoren stehen auf den Schultern von Riesen und müßen nicht jedes mal das Rad neu erfinden.

Was wir aber in diesem Sinne noch nicht so weit erforscht haben ist das Erzählen von Geschichten, das erzeugen von Emotionen und das Behandeln von Themen. Nicht dass hier keine Fortschritte gemacht worden wären aber eben nicht so viele wie bei den Mechanismen.
Wenn man nun als Autor versucht genau bei diesen Bereichen den Fokus seiner Entwicklung zu setzen, muß man viel mehr Dinge originär kreieren als bei den Mechanismen. Es gibt kaum Referenzen, an denen man sich orientieren könnte. Sprich: man macht sich sein Leben als Autor nicht gerade leicht, wenn man das versucht.

Ich glaube das ist auch ein Grund warum Legacy so eingeschlagen hat. Hier hat Rob Daviau einen Werkzeugkasten an Möglichkeiten entdeckt, der stärkere Narrative in analogen Spielen erlaubt. Ich glaube hier werden sich viele in den nächsten Jahren auf seine Schultern stellen und weiter erforschen, was man mit diesem Werkzeugkasten alles anstellen kann.


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