zuspieler hat geschrieben:Wir haben neulich in unserer Spielerunde über das Thema diskutiert. Hier einige Gedanken/Argumente aus der Runde.
Günter Cornett hat geschrieben:Generell ist Krieg führen aber "typisch männlich", entspricht dem männlichen Stereotyp. Zu weiblichen Stereotypen gehört es z.B., dass sie verführen, dadurch das Aggressive, Böse, ... besänftigen. Das ist in unserer Literatur tief verankert. Oder schon mal "der Schöne und die Biestin" gelesen? Unsere reiche Kultur kennt doch noch nicht einmal einen Glööckler von Notre Dame (Eidiedei, bin ich heute wieder sexistisch ...).
Krieg war früher tendenziell typisch männlich. Inzwischen sind viele Kriege aber geschlechtsneutral. Es gibt weibliche Soldaten und die technische Aufrüstung führt dazu, dass biologische Geschlechterunterschiede keine so große Rolle mehr spielen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Ein Ritter benötigte große Muskelkraft, um seine Rüstung tragen zu können. Bei einem Drohnenpiloten oder eine Drohnenpilotin spielt die körperliche Muskelkraft nur eine untergeordnete Rolle.
Wenn es um die Kritik an althergebrachten Rollen geht, dann ist die Antwort, heute seien Kriege geschlechtsneutral nicht wirklich passend, zumal die Armee ein Bereich ist, in dem Geschlechtergleichheit sicherlich noch weit zurück ist.
Und selbst für die Gegenwart gilt: Offene Gewalt ist überwiegend männlich. Morde werden meistens von Männern begangen mittels schlagen, stechen, schießen.
Das Fantasy-Setting ist mittelalterlich. Gekämpft wird mit Schwert, Axt und Bogen (und Zauberstab).
Ich hätte nicht gedacht, dass ich es näher erläutern müsste, dass dieses Setting traditionell männlich ist. Auch der Zauberstab wird hier ja nur für den Kampf benötigt. Selbst die nicht-kriegerische Sondereigenschaft des (im Übrigen mit einer Doppelaxt bewaffneten) Zwerges (ich verwende hier das generische Maskulinum, das hier nicht nur aus grammatikalischen Gründen passend ist, sondern auch in den Zeichnungen enthalten) ist männlich: Er ist der bessere Minenarbeiter.
zuspieler hat geschrieben:
Ist "Verführung" wirklich ein weibliches Stereotyp? Mann verführt Frau funktioniert doch ebenso wie Frau verführt Mann.
Ja, prinzipiell hast du recht. Das hätte ich näher ausführen sollen (aber ich benutze ja eh schon viele Klammern zur näheren Erläuterung). Die weibliche Art der Verführung funktioniert traditionell mehr über Zartheit, Schwäche, Niedlichkeitsfaktor als über ihre schönen starken Muskeln, den kräftigen Rücken, das wallende Brusthaar. So etwas fehlt hier.
Darüberhinaus gibt es natürlich auch geschlechtsneutrale Verführungsmöglichkeiten: Flötenmusik, Leckereien aus dem Korb, gemeinsamer Umtrunk, ...
zuspieler hat geschrieben:Günter Cornett hat geschrieben:Bei Andor könnte eine sinnvolle (sowie lustige und erkenntnisreiche) Heldenfähigkeit sein, Gors oder Skrale zu verführen. Vielleicht wird dann der Gor nett? Die greifen ja nicht von selbst an, wenn man mit ihnen auf einem Feld steht. Sie sind prinzipiell friedlicher als die "Helden", deren "Heldentum" darin besteht, die Kreaturen zu töten, die von sich aus nie angreifen würden.
Die Kreaturen sind auf dem Brett nicht aggressiv, aber in der Stadt/der Burg wüten sie durchaus. Sie sind also doch aggressiv.
Wüten sie in der Burg? Sie werden auf ein Schild gestellt.
Werden mehr Bauern in die Burg gebracht, so werden mehr von ihnen versorgt.
Ich weiß nicht, ob irgendwann, irgendwo mehr Details zum Verhalten der "Kreaturen" (entpersönlichte Bezeichnung für Feinde) gegeben werden. Ich habe nur die ersten Abenteuer gespielt. Aber spieltechnisch ist es so:
"Wenn eine Kreatur die Burg betritt, wird sie sofort auf einen goldenen Schild neben der Burg gestellt" und "kann nicht bekämpft werden". Was wären das für "Helden", die aufhören eine "Kreatur" zu bekämpfen, sobald die anfängt zu wüten. An die "Kreaturen" wäre das ja wohl ein klares Signal: Du musst wüten, damit die Menschen dich nicht bekämpfen, sondern respektieren.
zuspieler hat geschrieben:Übrigens: Wenn die Helden sich dazu entscheiden, alle Gors und Skrale anzugreifen und zu vernichten, werden sie sehr wahrscheinlich verlieren. Gerade bei Andor müssen sich Spieler sehr gut überlegen, welche Kreaturen eine Bedrohung darstellen und welche nicht.
Ja, tut aber in bezug auf die Frage männlich/weiblich nichts zur Sache. Allenfalls: Der Mensch überlegt taktisch, ob es sich lohnt, Fremde umzubringen. Damit ist das Setting noch weiter zurück als platte Action-Filme des Letzten Jahrhunderts, in denen der Held immer erst versuchte, einem Kampf auszuweichen, bevor er von den "Bösen" gezwungen wurde es zu bekämpfen. Hier ist das eine Frage nüchterner Überlegung, emotionslosen Kalküls.
zuspieler hat geschrieben:Günter Cornett hat geschrieben:Insgesamt befriedigt das kriegerische Setting von Andor mehr Fans männlicher Stereotypen als die weiblicher, holt aber die Stereotypen ablehnd gegenüberstehenden HeldInnen durch die Möglichkeit der Geschlechterauswahl mit ins Kanonenboot.
Handelt es sich bei Andor wirklich um ein kriegerisches Setting? Oder handelt es sich eher „nur“ um ein Fantasy-Setting?
Die Ausgangslage hat vom Erzählstoff her das Zeug zu einem Fantasy-Setting, auch zu einer Art griechischer Tragödie. Es muss nicht zwangsläufig um Gut gegen Böse gehen (die Vorgeschichte auf der Andor-Seite deutet auch Möglichkeiten in diese Richtung an).
Ich kritisiere nicht, dass das Setting kriegerisch ist. Ein normales Haudrauf-Spiel mit Blut und Akteuren strotzender Männlichkeit kann Spaß machen, ist auch nicht verwerflich. Meine Kritikpunkte sind zweierlei:
1. Das Setting versucht emanzipatorisch zu sein (was ich gut finde), offenbart dabei aber nur die Schwächen eines pseudo-emanzipatorischen Ansatzes (was ein echter Zusatznutzen ist - man kann herrlich darüber diskutieren).
2. Es gibt hier viele Möglichkeiten, auch traditionell weibliche Eigenschaften zu nutzen, dabei auch weibliche Stereotype auf Männer anzuwenden. Diese herr-lichen (äh weiblichen) Möglichkeiten bleiben ungenutzt. Es muss ja nicht gleich so sein, dass der etwas weibische Prinz Charming den Drachen betört und mit ihm die Homoehe eingeht und dadurch dem Land Frieden bringt - aber selbst das wäre eine Möglichkeit bei diesem erzählerischen Ansatz. Und ja: es gibt in der Fantasywelt kein Humorverbot.
zuspieler hat geschrieben:Günter Cornett hat geschrieben:Ich finde das gar nicht so bereichernd. Eine Alternative wäre für mich eher ein Mix aus Stereotypen (die sind klar willkommen), Anti-Stereotypen (ebenso gern), Nicht-Stereotypen (warum auch nicht), Mix aus alledem und ganz anderes, was ich mir jetzt gerade nicht konkret vorstellen kann (real fantasy eben, ... na vielleicht der Orvelle-Schleimklumpen, aber es muss auch nicht immer schräg sein).
Was wäre für Dich bei Andor ein Anti-Stereotyp und ein Nicht-Stereotyp? Und ist es generell gesprochen nicht gerade typisch für viele Spiele, Filme und Bücher, dass Sie mit Stereotypen arbeiten? Falls ja, ist es natürlich eine andere Frage, ob das gut ist.
Ich bin durchaus dafür Stereotypen zu verwenden. Sie erleichtern Identifikation und Ablehnung, sorgen für Wiedererkennung, arbeiten Problemsituationen deutlich heraus, z.B. der reiche Fiesling Dagobert, der schlaue Erfinder Düsentrieb, der faule verantwortungslose Donald, seine schlauen Neffen ... Das macht Geschichten interessant und sorgt auch für Emotionen und Erkenntnisgewinn. Den Stereotypen bei Andor fehlen aber Gegensätzlichkeiten. Sie sind alle
geschlechtslos männlich. Es wurden Neutra geschaffen, aber eben doch mit männlichen Attributen. Die Zwergin ist auf dem Bild nicht als Frau zu identifizieren. Zauberer und Zauberin haben exakt die gleiche Frisur. Es hätte ausgereicht, das selbe Bild zu verwenden und Krieger/in draufzuschreiben, so schwach sind die Unterschiede der Bilder beider Seiten. Der Wunsch nach Gleichheit verdrängt Fantasie aus dem Fantasy-Abenteuer.
Ein Anti-Stereotyp wäre z.B. der sexy Krieger, der den Skral verführt, der Nicht-Stereotyp jemand der einen Pfeil auf dem Plan verändern kann, so dass der Weg plötzlich (aus spieltechnischen Gründen einmalig) auf ein Feld zu einer großen Zahl führt. Da jede Held(!nn)entafel (theoretisch) eine männliche und weibliche Seite hat, gäbe zu jedem Geschlechts-Stereotypen gleich einen Anti-Stereotypen.
Bei Andor ist der löbliche Versuch erkennbar, von Stereotypen abzuweichen. Die Umsetzung zeigt für mich ne Menge, was besser gemacht werden kann. Das ist ein echter Erkenntnisgewinn, denn es ohne den (deshalb nicht völlig) missratenen Versuch nicht gäbe. Also ein Schritt in die richtige Richtung, nicht mehr nicht weniger.
Und natürlich darf es auch weiterhin Spiele geben, die sich um soetwas einen Dreck scheren und klassische Stereotype reproduzieren. Es geht mir nicht um Zensur von "Falschem" oder Unklugem, sondern um nicht genutzte Mögtlichkeiten bzw. Zurückbleiben hinter dem erkennbaren Anspruch.