Beitragvon Ernst-Jürgen Ridder » 3. April 2014, 19:36
Hallo Ralf,
kurze Frage, schwer zu beantworten.
Vinhos ist für mich eher nur am Rande eine Workerplacementspiel, zwar thematisch dicht, aber weniger Spiel, eher Arbeit, unnötig kompliziert.
Russian Railroads ist ein Workerplacementspiel, den Trubel darum, kann ich aber eher nicht nachvollziehen. Es funktioniert, aber der Funke will bei mir nicht wirklich überspringen. Verhältnismäßig geradlinig zu übersehen, was man machen muss.
Village gefällt mir von Deinen drei Vergleichsvorgaben am besten. Schönes Workerplacement mit dem Pfiff der Generationenfolge, nicht wirklich schwer, aber trotzdem kein Familienspiel.
Viticulture mit diesen Spielen zu vergleichen, fällt mir schwer. Es ist klar ein Workerplacement, erschöpft sich darin aber nicht. Man darf die Wechselbeziehung mit den Karten nicht vergessen; kann ich damit nicht umgehen, wird das nichts.
Lass' es mich an einem Beispiel verdeutlichen:
Es geht im Spiel um Produktion und Veräußerung von Wein. Also kann ich mir überlegen, dass ich Weinstöcke brauche (Karten, die ich per Aktion auf dem Spielplan ziehen muss, außer einer einzigen Anfangskarte), die ich auf meinen Feldern pflanzen muss (auch per Aktion auf dem Spielplan). Dann erst kann ich Weintrauben ernten (Aktion), diese zu Wein keltern (Aktion; rot, weiß rosé, Sekt mit jeweils verschiedenen Anforderungen), so dass ich schließlich Weinbestellungen (Karten, die ich mir über eine Aktion verschaffen muss) erfüllen kann (Aktion) , die mir Siegpunkte bringen und Geld (letzteres aber nicht direkt, sondern als Erhöhung einer Jahresendzahlung, die eine Maximalhöhe nicht überschreiten kann).
So weit, so geradlinig. Jetzt setze ich an einem beliebigen Punkt der Kette, sagen wir dem Keltern, an. Es gibt im Spiel für 2 nur ein einziges (bei drei und vier Spielern 2, bei 5 und 6 Spielern drei) Aktionsfeld, auf dem man Keltern kann. Ist der andere vor mir dran, kann ich in diesem Spieljahr -so noch in der 1. Edition- nicht keltern, kann also keinen Wein machen, den ich ausliefern könnte. Hat man von dem Spiel keine Ahnung und passiert das einem gleich am Anfang, ist man schnell frustriert, weil man meint, es geht doch um Wein herstellen und verkaufen, da habe ich doch keine Chance, wenn der andere mich (tatsächlich) blockiert.
Doch, man hat eine Chance. Das Spiel fängt aber erst an, Spaß zu machen, wenn man einmal begriffen hat, dass man sich nicht auf eine bestimmte Strategie, die zum Sieg führen soll, fixieren darf. Auch der Startspieler in der jeweiligen Jahreszeit kann nicht jede Aktion als erster machen, es bleiben einem andere Möglichkeiten. Vielleicht ist es ja auch gar nicht so klug, auf Teufel komm raus Wein zu keltern; es könnte z.B. sinnvoll sein, sich erst einmal Weinaufträge zu besorgen, damit man weiß, was man produzieren und welche Einrichtungen man dafür bauen muss. Vielleicht verdient man erstmal auf andere Weise etwas Geld, stellt ein oder zwei zusätzliche Arbeiter ein, baut sein Weingut aus und und und. Es kann und muss nicht alles sofort sein; Flexibilität ist gefragt.
Das Feintuning fängt schon damit an, dass die Spielreihenfolge in den Jahreszeiten über eine "Aufwach"-Tabelle ermittelt wird. Wer dran ist, setzt seinen Hahn (Kikeriki :smile: ) auf eine Zeile von 1-7, nicht aber auf eine schon besetzte Position. Wer auf der kleinsten gewählten Zahl steht, spielt zuerst usw.. Je kleiner die Zahl ist, auf die ich setze, um so kleiner ist der Bonus, den ich dafür bekomme, auf 1 gibt es gar keinen, sonst darf man bestimmte Karten ziehen, bekommt einen Siedepunkt oder Geld.
Es gibt viele Stellschrauben, aber keine ist wirklich zu übersehen, man sieht eigentlich alles auf dem Spielplan, dem eigenen Tableau und in den Karten, nur wie nutze ich welche, das ist die Frage.
Tuscany gibt vieles hinzu, ändert manches, macht alles noch runder.
Viticulture ist nicht lieb oder brav, schon gar nicht beliebig, es ist aber auch nicht böse. Ich darf auf ein Aktionsfeld nicht zum bloßen Blockieren setzen, muss die Aktion vielmehr selbst spielen, nur auf den mit dem gewählten Feld etwa verbundenen Bonus, den ein anderer doch so gerne gehabt hätte, darf ich in der 2. Edition verzichten (in der 1. Edition nicht). Es gibt in der 2. Edition einen "grande worker", den man wie einen normalen Arbeiter einsetzen kann, man kann ihn aber auch nutzen, um einmal im Spieljahr eine schon besetzte Aktion zu spielen, allerdings ohne den dort erhältlichen Bonus.
Interaktion gibt es durch die Knappheit der Aktionsfelder, aber z.B. auch in vielen Karten, insbesondere der Tuscany-Erweiterung. Da gibt es vor allem Karten, die mir erlauben, etwas zu tun, was gut für mich ist, aber auch die anderen Spieler dürfen das dann tun; machen sie das, bekomme ich für jeden Spieler, der das macht, z.B. einen Siedepunkt oder Geld.
Ich könnte noch vieles schreiben, auch über die Erweiterung, es soll jetzt aber erstmal genug sein.
Kurze Antwort auf Deine Frage:
Ich halte Viticulture für komplexer als Village und Russian Railroads, nicht aber für so unnötig kompliziert wie Vinhos. Die Spieltiefe liegt für mich über Village und Russian Railroads. Es bietet genügend Interaktion, ohne der Gemeinheit Vorschub zu leisten.
Bei allem, was ich dazu sage, bitte berücksichtigen: Ich bin ein bekennender Fan von Viticulture (und übrigens auch von Village).
Spielerische Grüße
Ernst-Jürgen
Spielerische Grüße
Ernst-Jürgen