Beitragvon Tigris » 4. Juni 2010, 13:47
PEEP: Washington´s War
Um es vorweg zu nehmen: Das Spiel macht unheimlich viel Spaß und ist eine echte Kaufempfehlung für alle, die taktische und strategische Spiele für 2 Personen mögen. Das Thema ist gut gewählt und umgesetzt. Wie der Name vermuten lässt, wird der Unabhängigkeitskrieg der USA nachgespielt.
Bei einer Auflage der deutschen Version von nur 500 Stück ist also Beeilung angesagt.
Dabei darf man die Einstiegshürde nicht unterschätzen. Bevor der Spielspaß genossen werden kann, muss man sich durch eine ziemlich lange Anleitung „arbeiten“. Die Anleitung ist gut geschrieben und klärt mit vielen Beispielen alle Fragen – leider in einem fortlaufenden Fließtext mit nur wenigen Übersichten oder Hinweisen, wo man später Details noch einmal nachblättern kann.
Der Grund, warum man das Gefühl hat, sich durch die Anleitung zu „arbeiten“, entpuppt sich schnell als eine zentrale Stärke des Spiels: Für Amerikaner und Briten gelten in vielen Details unterschiedliche Regeln! Das eigentlich recht einfache Spielprinzip erscheint wegen dieser vielen Detailabweichungen zunächst unübersichtlich.
Im Klartext einer Kurzzusammenfassung passiert bei Washington´s War Folgendes:
Auf einer Landkarte der 13 Kolonien und Canadas sind Städte zu sehen, die es gilt, mit eigenen Markern zu kontrollieren (so genannten PK-Marker; PK=politische Kontrolle). Wer die einfache Mehrheit in einer Kolonie an kontrollierten Städten hat, kontrolliert die Kolonie. Die Mehrheit der kontrollierten Kolonien am Spielende entscheidet über den Sieg. Halt! Da fangen die Unterschiede schon an: Der Amerikaner muss mindestens 8, der Brite nur 6 Kolonien (Canada zählt hier als Kolonie) kontrollieren.
Zentrales Element im Spiel ist also das Setzen und Erobern von PK-Markern in die Städte. Zu diesem Zweck erhalten die Spieler in jeder Spielrunde, die einem Jahr entspricht, 7 Karten auf die Hand und spielen diese abwechselnd aus. Als „card driven game“ erlaubt Washington´s War KEINE Aktion ohne das Ausspielen einer Karte!
Am häufigsten sind OPS-Karten im Wert von 1, 2 oder 3. Damit darf man 1, 2 oder eben 3 PK-Marker platzieren. Der Amerikaner darf das in jedem unbesetzten Spielfeld (Stadt), während der Brite nur in freie Felder setzen darf, die in der Nachbarschaft zu bereits britisch kontrollierten Städten liegen. Dafür zählen aus Sicht des Briten alle Städte als benachbart, die ein Hafen-Symbol tragen.
Eine andere Möglichkeit zum Einsatz von OPS-Karten ist die Aktivierung eines Generals, der bis zu 4 Felder mit 5 Soldaten (KE=Kampfeinheiten) ziehen kann. Die Generäle der Briten sind etwas schwerfälliger und brauchen einen OPS-Wert von 2 oder 3, während die meisten amerikanischen Generäle schon mit einer 1er OPS losziehen können.
Begegnet man einer fremden Truppe, wird eine Schlacht ausgetragen. Der Amerikaner kann die Schlacht auch provozieren, wenn eine britische Armee in der Nachbarschaft eigentlich friedlich vorbeiziehen wollte. Die Regelung einer Schlacht ist ein weiteres Highlight des Spiels! Trotz vieler Komponenten, die über Sieg oder Niederlage entscheiden, läuft eine Schlacht sehr kurz ab. Jeder zählt seine „WWM“ (Würfelwurfmodifikationen) und spielt evtl. eine Karte, um den Wert zu erhöhen und wirft den eigenen Würfel zwei Mal. Der erste Wurf bestimmt, wie gut der General heute drauf ist, also ob er seinen vollen Schlachtwert oder nur die Hälfte davon einbringen kann. Der zweite Wurf wird zu allen WWM hinzuaddiert und der Sieger ermittelt sich aus der Summe der jeweiligen Parteien. Dann noch ein Würfelwurf auf jeder Seite für die Verluste und die Schlacht ist geschlagen. Keine Orgie des Würfelns a lá Risiko oder dergleichen.
Wer mit einer Armee auf einem fremden oder neutralen Feld steht, darf dort mittels einer OPS-Karte einen eigenen PK-Marker platzieren. Am Ende der Runde wird die politische Kontrolle sogar ohne Karte automatisch der militärischen Präsenz angegeglichen.
Die vielen anderen Ereignis-Karten können hier nicht im Detail beschrieben werden. Erwähnenswert ist aber, dass sie meist einer Seite zugeordnet sind und bspw. der Brite keine Karte ausspielen darf, die der amerikanischen Seite zugeordnet ist. Allerdings dürfen diese Karten der Gegenseite dazu genutzt werden, eine andere starke Aktion durchzuführen: Das Entfernen eines beliebigen fremden PK-Markers in der eigenen Nachbarschaft. Kehrseite der Medaille: Der Gegner kann „seine“ Karte vom Ablagestapel gegen eine OPS-Karte kaufen und normal einsetzen.
So setzt man PK-Marker und zieht Generäle, um seine Position in den Kolonien zu verbessern oder zu festigen, immer darauf bedacht, möglichst die Initiative zu behalten und den Gegner zum Reagieren zu zwingen. Das gelingt besonders gut bei einer Feldzug-Karte, die einem zwei oder sogar drei Generals-Bewegungen auf einmal erlaubt.
Warum das Ganze spannend bleibt? Am Ende eines jeden Jahres, also wenn beide Seiten ihre Karten abgespielt haben, werden im Go-Prinzip PK-Marker vom Brett entfernt, die politisch isoliert und ohne militärische Unterstützung sind. Viele Marker zusammen zu ballen und dann festzustellen, dass außen herum eine Kette fremder Marker liegt, kann zu Panik-Attacken führen. Das gut geschriebene Beispiel im Begleitheft „Hintergründe“ sollte das anschaulich genug vor Augen führen, um auch in der ersten Partie derartige Katastrophen zu vermeiden.
Außerdem bleiben viele Unwägbarkeiten. Ob und wann die Franzosen eingreifen und den Amerikaner mit Truppen und einer Flotte unterstützen, ist evtl. kriegsentscheidend. Außerdem ist es lange unklar, wann das Spiel überhaupt endet. Im Deck sind Spielende-Karten, die ausgelegt werden und die Jahreszahl des Spielendes zeigen. Es handelt sich um Pflichtkarten, die ausgespielt werden müssen, auch wenn man mit dem Spielende, wie es jetzt definiert ist, eigentlich gut zufrieden ist. Wer also auf ein Spielende in dieser Runde hinarbeitet, muss vielleicht überrascht feststellen, dass sein Gegner gegen Ende des Jahres den Krieg um 2 Jahre verlängert und steht dann ohne Reserven da.
Es sollte deutlich geworden sein, dass das Spiel sich vollständig anders spielt, je nach dem, für welche Seite man antritt. Ich empfehle dringend, vor der ersten Partie die Hinweise im Heft „Hintergründe“ zu lesen, in dem Tipps für jede Seite gegeben werden. Hier die Quintessenz: Besinne Dich auf die Stärken Deiner Seite und nutze sie – bspw. die britische See-Übermacht oder die Flexibilität der amerikanischen Generäle. Und achte auf die Größe der Kolonien: Delaware benötigt nur einen PK-Marker zur Kontrolle, während New York ggf. 6 PK-Marker erfordert, wenn es umstritten ist.
Ein großes Lob gilt dem Spiel für die Ausgeglichenheit der Fähigkeiten und Vorteile der beiden Seiten. Der Brite ist militärisch stärker, aber in seinem Nachschub an Truppen zahlenmäßig und im Ankunftsort beschränkt. Der Amerikaner ist zu Beginn militärisch schwächer, kann aber unbegrenzt Nachschub rekrutieren und beliebig auf dem Plan platzieren.
Das Spiel fordert eine gewisse Planung, vor allem aber eine Übersicht über die Gesamtsituation und eine Bereitschaft, seine Planungen sofort über den Haufen zu werfen, wenn es notwendig ist, auf den Zug des Gegners zu reagieren. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte man versuchen, die letzte Karte eines Jahres zu spielen, um die Situation zum Jahresende zu bestimmen. Dann werden die Truppen wegen des Winters verringert, wenn sie nicht im Winterquartier Unterschlupf gefunden haben, und PK-Marker werden ohne OPS-Karten unter Armeen gesetzt – und Isolierungen werden geprüft!
Das Material ist von sehr guter Qualität. Feste Karten und stabile Marker aus Pappe sind eine Augenweide und für viele, viele Spiele geeignet. Alles ist aus Pappe und kann nur durch Standfüßchen mit ein wenig 3D-Effekt versehen werden. Wer sich lieber an Holzteilen erfreuen würde, die wie aus einer Antike-Schachtel quellen, wird einsehen, dass die erforderlichen Informationen zu den Generälen auf den Papp-Plättchen viel besser untergebracht sind als auf einer Zusatztabelle neben dem Spielplan. Der sehr große, vierfach gefaltete (!) Spielplan selbst bietet eine klare Strukturierung der Kolonien und der Städte so wie viele Informationen in kleinen Text-Feldern. Einzig die Grenzen zwischen den einzelnen Kolonien könnten etwas klarer zu erkennen sein. Allerdings sind die Städte derselben Kolonie mit einer Farbmarkierung versehen und so gut einander zuzuordnen. Ich hätte mir diese Farbmarkierung allerdings auch in den Feldern gewünscht, die am Spielfeldrand die politische Kontrolle über eine Kolonie anzeigen.
Einziger wirklicher Wehrmutstropfen beim Material ist die Handhabung mehrerer Marker auf demselben Feld. Die PK-Marker sind zwar sechseckig und schauen theoretisch unter etwaigen runden KE-Plättchen hervor, sind aber trotzdem quasi nicht zu sehen. Außerdem steht auf den KE in der Regel noch ein General, der alles verdeckt, so dass man häufig die Figuren-Türme anheben und nachsehen muss, was in der Stadt alles so los ist. Der Gegner freut sich über die Information, über welche Städte man sich gerade Gedanken macht.
Deutlich größere PK-Marker und durchsichtige Standfüßchen bei den Generälen hätten da gut getan. Erfreulich ist die Möglichkeit, die großen Generalsfiguren mit ihren Standfüßchen gegen kleinere Spielsteine mit denselben Werten zu ersetzen. Mein Tipp wäre allerdings, die großen Generalsplättchen zu nehmen, diese aber ohne Standfüßchen im liegen zu verwenden und die KE darauf zu platzieren. Leicht versetzt auf die PK-Marker gelegt, erlaubt diese Methode eine Erfassung der gesamten Spielsituation mit einem Blick.
Trotz dieses eher ausschweifenden PEEP habe ich nicht einmal die Hälfte der Facetten von Washington´s War aufgezeigt. Ich hoffe aber, dass die Stärken des Spiels rüber gekommen sind und sich viele von euch der Mühe unterziehen, die Einstiegshürde zu nehmen – es lohnt sich. Das Spiel ist bei Spielworxx in deutscher Sprache erhältlich. Auf der Webseite gibt es auch FAQ und Errata, die bei so komplexen Spielen leider nicht ganz zu vermeiden sind.
Viel Spaß beim Spielen Stefan