Beitragvon Günter Cornett » 5. Januar 2008, 02:35
sandym schrieb:
>
> Vielspieler in der Jury - kann Wolfgang Kramer jetzt alle
> Chancen auf das SdJ drangeben?
Wohl kaum. Ein Udo Bartsch in der Jury wird sicherlich nicht ein Caylus-hoch-2 zum Spiel des Jahres machen wollen.
Und Wolfgang Kramer macht gute Spiele sowohl für Vielspieler als auch für Gelegenheitsspieler. Er gehört sicherlich zu den wenigen Autoren, die sich keine allzugroßen Gedanken machen müssen, ob er in Zukunft Bestseller produzieren wird. Er macht es einfach (sich gedanken und gute Spiele).
Sicher macht er nicht nur gute Spiele, aber wovon hängt da ab, was ein gutes Spiel ist?
> Die Fairplay hat jetzt einen
> Artikel online:
> http://fairplay-online.blogspot.com/2007/12/der-juror.html
> der einen interessanten Zusammenhang zwischen der
> spielbox-Kritik von Kramer und der Jury herstellt. Die
> Fairplay schreibt, daß auch der Normalspieler das BESTE Spiel
> verdient hat. Was meint ihr?
DAS beste Spiel gibt es nicht. Steht auch nicht so in dem Artikel. Dort ist von EINEM besten Spiel die Rede, das 'je nach Spielegruppe, nach Tageszeit oder Tagesform mal das eine und mal das andere sein' kann.
Das Spielerlebnis entsteht ja erst aus dem Zusammenspiel von Spiel und Spielern. Da ist es schwer, nur eine Seite zu bewerten.
"Wenn Du klatschst, welche Hand ist es, die das Geräusch macht?".
http://www.japanlink.de/ll/ll_religion_zenbudd.shtml
Die Diskussion um die Frage, was ein gutes Spiel ist, welches Spiel des Jahres sein sollte, worauf der Kritiker seine Noten ... und ob er überhaupt welche ... - ich hat mich da ja schon längst mal einmischen wollen, in meiner penetranten Art; aber leider ist es ziemlich schwer, hier eine klare Position zu beziehen, sich dabei nicht selbst in Widersprüche zu verwickeln, weil alle Seiten da irgendwie recht haben und irgendwie doch nicht.
Darüber nachzudenken, lohnt sich aber trotzdem, ganz klar.
"Ein gutes Spiel ist für mich ein Spiel, das entweder Auszeichnungen erhält oder das sich sehr gut verkauft, weil es der Zielgruppe, für die es gemacht wurde, sehr gut gefällt." (Wolfgang Kramer im spielbox-Artikel)
Das ist die Position eines Autors, der für einen Markt produziert. Ich halte dagegen: Auszeichnungen und gute Verkaufszahlen sind - ebenso wie gute Kritikernoten - sicher ein Indiz für ein gutes Spiel, aber nicht mehr. Es sind auch schon in meinen Augen schlechte Spiele ausgezeichnet worden. Und ob sich ein Spiel gut verkauft, sagt oftmals mehr über das Marketing aus als über das Spiel selbst.
Diskret - wie es nun mal so meine Art ist ;-) - nenne ich für ersteres an dieser Stelle mal kein Beispiel. Jeder kennt mindestens ein solches Spiel, wenngleich nicht jeder dabei das selbe Spiel meint.
Aber dass sich auch schlechte Spiele, Pseudo-Spiele, super verkaufen sehen wir am Beispiel Sudoku:
'Jörg Mutz von der Agentur Jeschenko, die für Hasbro arbeitet, erklärt, warum so viele Sudoku-Brettspiele erscheinen: "Das Spiel ist lizenzfrei, man benötigt keinen Autor oder eine aufwändige Redaktionsarbeit." Also, ein schnell und günstig entwickeltes Spielprinzip.'
http://www.reich-der-spiele.de/specials/Essen2005-Sudoku.php
Wenn also gute Verkaufszahlen ausreichen, damit ein Spiel als ein gutes Spiel angesehen wird, dann zeigt Sudoku uns: Um ein gutes Spiel zu machen, braucht es keinen Autor. Eine Marketingabteilung, ja, ein bloßer Titel reicht schon aus, um ein gutes Spiel zu produzieren.
Das wird Wolfgang Kramer sicher nicht gemeint haben.
Matthias Hardel kontert dann auch: "Spielreiznoten können keinen Aufschluss darüber geben, was gut ist. Das aber können Auflagenzahlen erst recht nicht, was z.B. ein Blick auf die Zeitungslandschaft belegt."
Aber dieses Argument greift nicht wirklich. Die Bild-Zeitung ist eine schlechte, aber gut gemachte Zeitung. Auch wenn sie nicht zur Information taugt, die Bild-Zeitung zu lesen macht den meisten Menschen mehr Spaß als die NZZ oder FAZ zu lesen.
Bei Spielen geht es nicht um die Information sondern um das Spielvergnügen. Darum hinkt der Vergleich. Schließlich wird die Bild-Zeitung nicht einmal wegen guter Werbung gekauft, sondern immer wieder, weil sie den Lesern gefällt. Ein Spiel, dass nicht nur gekauft sondern täglich von Millionen gespielt wird, kann kein so schlechtes Spiel sein. Oder?
Eine solche spielerische Bild-Zeitung ist Uno. Maumau und auch Simpleres habe ich als Kind gern gespielt. Heute kann ich dem nichts mehr abgewinnen. Ist Uno/Maumau deshalb ein gutes oder schlechtes Spiel? Es ist eindeutig ein gutes Spiel - aber ganz bestimmt nicht für mich.
1830 und Civilization sind m.W. nie ausgezeichnet worden und haben sich sicherlich auch nie 'sehr gut' verkauft (wohl nicht sechsstellig), sind für mich aber dennoch Meisterwerke, sehr gute Spiele - wenn auch völlig ungeeignet für den typischen UNO-Spieler.
Auch wenn die Zielgruppe eher klein ist, man damit nicht reich werden kann, der Entwicklungsaufwand gegenüber dem wirtschaftlichen Erfolg unangemessen hoch ist, schmälert das alles nicht die Qualität dieser Spiele.
Man kann ein Spiel eben auch wegen des Spiels machen, nicht wegen eines Marktes. Selbst die 97.Vierer-Schachvariante, bei dem der Autor Mühe hat, 3 Mitspieler zusammenzukriegen, kann ein gutes Spiel sein. Es kann etwas Besonderes haben, etwas Innovatives, etwas, was einen staunen lässt, schöne Winkelzüge beinhalten, die man erst nach einiger Übung erkennt. Allerdings sollte ein Kritiker sich hüten, es als ein gutes Spiel zu bezeichnen, ohne gleichzeitig zu sagen, was daran - nach Ansicht des Kritikers - gut ist, für wen es gut ist und bei welcher Gelegenheit. Und für wen nicht.
Nun, genau dafür haben wir die Kritiker, ihre Noten und Kritiken. Die Noten sind für mich kurze Vorab-Informationen, an denen ich schon vor Lesen des Artikels erkennen kann, welche Einstellung der Kritiker zum Spiel hat und ob andere seine Einstellung teilen. Das ist hilfreich und - solange ein Kritiker für mich kein Gott ist - völlig unschädlich.
Wenn ein Spiel als gut bewertet werden soll, weil es sich gut verkauft, braucht es weder Rezension noch Note. Eine Liste mit Verkaufszahlen und man hätte wesentliche Spiele eines Jahrgangs zusammen auf einer Seite abgehandelt. Der Trumpf 'Verkaufszahlen' sticht alles, man braucht nichts mehr über inhaltliche Qualitäten zu schreiben; um es vorzustellen verweist man vielleicht noch mal auf die Pressemitteilung des Verlages - reicht. Fertig.
Will man sich aber inhaltlich mit dem Spiel auseinandersetzen, dann kann da ein Urteil herauskommen, das im Widerspruch zu den Verkaufszahlen steht. Dass dieses Urteil persönlich gefärbt ist, liegt in der Natur der Sache. Schließlich haben wir keine demokratisch verabschiedeten Spielegesetze, nach denen der richtende Kritiker zu urteilen hat. Und auch keine Polizei die für die Einhaltung der Gesetze sorgt, [auch wenn manche - dieser Seitenhieb auf unbekannte Dritte sei mir mal erlaubt - Ideologen das gern hätten, die da festlegen wollen, was ein Autorenspiel sei: http://de.wikipedia.org/wiki/Autorenspiel. ]
Natürlich gibt es Gesetze des Marktes. Wenn der Markt das wichtigste Kriterium ist, dann hat Wolfgang Kramer sehr recht. Überhaupt sind seine Ausführungen eine große Hilfe für Autoren, die hohe Verkaufszahlen wollen (und auch wenn es sich vielleicht anders lesen mag: ich schließe mich da gar nicht aus). Aber es gibt eben auch ganz andere Kriterien, für die Frage: Was ist ein gutes Spiel?
Während die Rezension in einer Tageszeitung eher den 'Gelegenheitsspieler' erreicht und dort die 'Gelegenheitsspieler'tauglichkeit im Vordergrund stehen sollte, erwarte ich von einer Fachzeitschrift mehr die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Spiel.
Und die 'besten' Spiele? Die schaffen es fast immer sowohl 'Gelegenheitsspieler' als auch 'Vielspieler' zu fesseln: Siedler, Carcassonne, ... Denn auch den 'Vielspieler' freut es, wenn er einen leichten Einstieg hat, ohne dass er sich dann im Spiel unterfordert fühlt. Ebenso wie der 'Gelegenheitsspieler' nicht wirklich Angst hat vor ein bisschen Spieltiefe, so er sich nicht erst durch ein umfangreiches Regelwerk durchfressen muss.
Aber solche Spiele gibt es eben nicht jedes Jahr.
Gibt eben immernoch zu wenig gute Autoren+Redaktionen. :grin:
Gruß, Günter