Beitragvon Heinrich Tegethoff » 10. Dezember 2007, 12:19
Hallo Tyrfing,
Tyrfing schrieb:
> - In der Regel ist so ein Film natürlich immer auf die
> spannenden Szenen verkürzt. Mir ist auch klar, dass ein
> Filmregisseur nur sehr begrenzt Zeit hat, Charaktere zu
> "entwickeln"/"vorzustellen".
> Im Film fand ich das teilweise doch argh kurz. Die Story
> "prescht" ziemlich schnell nach vorne, so mein Eindruck.
> Ist das Buch da gemächlicher und nimmt sich die Zeit, die
> m.E. dazu nötig wäre, eine solch fremde Welt dem Leser
> vorzustellen?
Ja. Die erfundene Welt ist in einigen Beziehungen sehr komplex, da parallel zu unserer, und im Grunde hat der Autor sich auch überlegt, wie deren Evolution dann ausgesehen hat. Charaktere werden entsprechend langsam eingeführt; die Daemonen z.B. Schritt-für-Schritt erklärt.
Es ist viel drin im Film, und entsprechend kam es mir auch "voranpreschend" vor, um alles wesentliche einzuführen und noch Zeit für die FX-Gimmicks zu haben. Als Beispiel sei Lord Faa aufgezeigt, der im Film auf einen bärbeißigen Kriegschef reduziert ist, obwohl sein Charakter (und sein Daemon) auf Weisheit basieren. Oder Lyras Charaktereigenschaften, die im Buch verwoben sind, werden im Film kurz plakativ gezeigt (sie lügt; sie rennt über Dächer), aber daraus ergibt sich nirgends "warum Lyra?".
> - Mir schien der Film irgendwie auch an Szenen gekürzt.
Ja. Die Frage hatte ich auch schon im Vorfeld gestellt, als es "FSK 12" hiess. Wäre das Buch realistischer umgesetzt worden, so bekämen die Protagonisten einen ganz anderen, vielschichtigeren Charakter, aber in unserem Sinne auch einen viel brutaleren. Die Fiesheit von Nicole Kidman (Mrs Coulter) kommt noch gar nicht durch.
Ich habe mich nach dem Film gefragt, ob - wie beim Herr der Ringe - eine Extended Version geplant ist. Aber dem steht gegenüber, dass sehr viel drin ist, aber häufig über andere Rollen und in anderer zeitlicher Reihenfolge. Das lässt sich schwer auffüllen.
> Einige Schnitte waren im Vergleich relativ "hart", wie man es
> sonst nur sieht, wenn etwas im Nachhinein "schnell"
> geschnitten wurde.
Das glaube ich eher nicht. Aber der Film ist inhaltlich auf FSK-12 / PG-13 gestutzt. Da fließt kein Tropfen Blut; im Buch ist des Eis auch einmal matschig-rot.
> Ich spekuliere auf eine bessere Jugendfreigabe für das
> Weihnachtsgeschäft, habe ich auch schon gehört, dass das Buch
> durchaus "brutaler" ist. Ist das so?
Ja! Ich würde das Buch auch nicht für Jugendliche unter 14 Jahren empfehlen. Ein Punkt, den es von z.B. vom Herr der Ringe unterscheidet, ist der, dass Personen nicht von Hause aus gut oder böse sind, sondern vielschichtiger und teils sehr böse bis "Spaß am Foltern", dann aber liebevolle Mutter. Im Buch wird fleißig gestorben. Im Film starben nur die Bösen. Das Buch ist damit realistischer in einer grausamen Welt. Und es ist grausamer, nicht nur und einfach blutrünstiger, z.B. in der Darstellung der Seelen-geschnitten Kinder.
> Ich hab mir mal den Spaß gegönnt, den Kinowart darauf
> anzusprechen. Der hat mir nur gesagt, er wüsste nur davon,
> dass der Film "atheistischer" sei - womit ich gestern noch
> nichts anfangen konnte. Nach lesen der letzten Postings ist
> mir die Äußerung nun aber auch klar... ;)
Religion, insbesondere alttestamentarisches Christentum, wird nicht per se verdammt. Aber was Menschen, insbesondere Machtmenschen, damit anfangen, wird bloßgestellt und aufgeklärt. So manches hat die Kirche schon längst abgestellt, aber das fanatische Denken findet sich überall wieder. Das Buch sieht eher Überzeugungstäter, die von ihrer Gutheit selbst überzeugt sind. Das ist nicht atheistisch. Aber Naturreligionen, der gesunde (und dann auch konsequent grausame) Umgang mit der Natur steht sehr positiv dar.
> Im übrigen ein ganz netter Film eigentlich - ich überlege
> ernsthaft mir mal die Bücher anzuschauen, wenn diese etwas
> "ersthafter" mit dem Thema umgehen, als Hollywood es tut.
Ja, tue das! Ich habe die Bücher nur gelesen, weil es das Spiel gab und ich den Trailer gesehen hatte. Zudem wusste ich, dass Pullman sein Werk als Gegenentwurf zu den "Chroniken von Narnia" sieht, die ich als kitschig empfand; und das Ganze doch als eigenständiges Werk neben dem HdR steht (alles Oxford-Professoren).
Servus,
Heinz