Interessanter Thread :-)
Ich möchte einfach mal eine positive Rezension und einen Verriss von Michael Knopf anführen. Meines Erachtens gab und gibt es keinen besseren Rezensenten, was seinen Schreibstil angeht!
Köstlicher Verriss:
Spiel: Dilemma
Freunde, wir setzen jetzt den Helm auf und ziehen die kugelsichere Weste an, denn Feindesland liegt vor uns, jene unwirtliche Region, in der die berühmte Müllbande haust und scharf mit Schrott schießt. Natürlich war nicht damit zu rechnen, dass wir dort auch Meister Alex Randolph antreffen würden, der sich ehemals in höheren Regionen aufhielt; es ist aber seine Schuld oder die des Verlags, wenn er nun in der Unterwelt herumwühlt, und Gnade gibt’s nicht, nein. Vorwärts also, schnell und hoffentlich gut geschützt: In der Mitte des Tisches liegt ein „Arena" genannter Napf, jeder hat zehn Karten; einer legt eine Karte in den Napf und heißt deshalb „Provokateur", die anderen können diese freche Provokation annehmen und eine Karte in den Napf werfen (!). Sollte jemand eine Karte mit derselben Zahl geworfen haben, in einem Anfall geistiger oder anderweitiger Umnachtung vielleicht, gilt das nicht, und es gilt auch nicht, wenn die Karte schräg im Napf liegt oder daneben, was selten vorkommt, weil die Wurfentfernung gar nicht vorgeschrieben ist. Liegt aber auf der provozierenden Karte eine, die gilt, kommt es zum finalen Duell der beiden Werfer: Sie nehmen einen Holzchip mit zwei Seiten in die Hand und legen ihn dann auf den Tisch – wenn beide „Frieden" gewählt haben, bekommen sie jeweils die Karte des anderen, wenn „Frieden" auf „Konflikt" stößt, kriegt der Krieger beide Karten und verliert einen Lebensstein, und im Falle des Doppel-Konflikts verlieren beide ein Leben und erhalten nichts dafür. So schwinden die Karten dahin, bis nur noch einer welche hat; am Ende zählen die Werte der gewonnenen Karten. Wunderbarerweise ist das aber völlig egal, denn wir lachen längst alle, wir lachen, lachen über diese aufgeblasene Kombination aus kleinkindkompatiblen Wurfübungen und museumsreifer Stein-Schere-Blatt-Methode. Nicht aus Freude allerdings lachen wir, sondern aus Verzweiflung: Ist nicht wahr, oder? Kostet das 30 Mark oder bekommt man sie, als großzügig bemessene Entsorgungsgebühr? Was soll’s, die Arena mag Rauchern als Aschenbecher dienen, und wer einen kleinen Hund hat, kann ihm im Napf sein kleines Fressen servieren.
Für 3 bis 5 von Alex Randolph und Paul Daviz (Grafik) bei FX für 30 Mark.
Im Gegenzug dazu:
Positive Rezension:
Serenissima
Zunächst ist das ein Bausatz, der uns Stunden der bastelnden Vorbereitung kostet. Viele winzige Masten vom Plastiksteg lösen und mit Fähnchen bekleben, ordnen und sortieren, einen Überblick gewinnen angesichts der außerordentlich umfangreichen „einmaligen Ausstattung"; dann die Anleitung studieren und zu begreifen versuchen, später feststellen, daß es ist wie oft: Das Spiel ist beim Spielen nicht annähernd so schwierig, wie es beim Lesen noch zu sein schien. Komplex aber ist es, vielschichtig, es wäre als Film ein stundenlanges Monumentalwerk – hinsetzen, hineinfallen lassen; eine Nation sein von zweien, dreien oder vieren, die ums Mittelmeer herum hausen und Handel treiben. Großer Spielplan, Galeeren, Seeleute, Festungen, Waren. Acht bis zehn Runden, je nach Spielerzahl, eine jede bestehend aus sechs Phasen, von der Ermittlung der jeweiligen Zugreihenfolge durch geheimes Bieten über Schiffsbau sowie Personalbeschaffung und Hafenübernahme bis zum Verkauf der Ware. Dazwischen Vorwärtsbewegung auf hoher See, Gefechte zwischen Schiffen, Gefechte in Häfen. Gefechte? Gemach, dies ist historisch korrekt: Die Welt war nicht nur friedlich beim Kampf um die Macht am Mittelmeer, und das bißchen Würfeln und sich anschließende Seeleute-Entfernen richtet durchaus keinen dauerhaften Schaden an. Freiwillig ist es obendrein, wenn auch sehr nützlich; in erster Linie aber geht es uns darum, Waren zu kaufen, auf Schiffe zu verladen, mit diesen Schiffen Häfen anzulaufen, diese Häfen nach Möglichkeit in Besitz zu nehmen und schließlich wieder Waren zu verkaufen. Natürlich ist das alles überhaupt nicht so einfach, denn wir sind derart Herr über unser Handelsgeschick, daß die Wahl der richtigen Strategie hinreichender Erfahrung bedarf: viele Seeleute aufs Schiff packen und weit fahren – oder Waren bevorzugen; viele Schiffe bauen und weithin ausschwärmen – oder die Häfen befestigen, die Hauptstadt sichern; die Lagerhallen vieler Häfen ein bißchen füllen – oder einige ganz? Alles hängt mit allem zusammen, Punkte gibt es am Ende für dies und das. Hinsetzen, hineinfallen lassen; an der Grenze zwischen Familienspiel und Freakspiel ist dies vor allem ein spannendes, ein forderndes, sagen wir einfach: ein gutes Spiel.
Von Dominique Ehrhard und Duccio Vitale bei Eurogames für 70 Mark.
Anhand dieser beiden Rezensionen wird deutlich, was gutes Schreiben ausmacht: Selbst einen Verriss lese ich dann gerne. Mag auch der Rezensent einen anderen Geschmack haben, so bietet sich hier ein wahrer Lesegenuss. Leider scheint es noch keine Stipendien für gutes Schreiben zu geben, was eigentlich eine Aufgabe der Spiel des Jahres Jury sein könnte. Die meisten Rezensionen sind einfach nur noch eine Bleiwüste...Das ist schade...
PS: Wen es interessiert: Michael Knopf seine alten Rezensionen sind hier zu finden:
http://web.archive.org/web/200109241638 ... gpunkt.de/Spielerische Grüße
Marc