@Inoshiro: Ich interpretiere Deine Worte dahingehend, dass Du sagen willst: Letztendlich wird bei der Diskussion hier nur herauskommen, dass es verschiedene Blickwinkel zu dem Thema gibt und bis zu einem gewissen Grad jeder dieser Blickwinkel seine Berechtigung hat. Stimmt's?
Da magst Du (bis zu einem gewissen Grad
) Recht haben.
Trotzdem mach ich mir mal die Mühe und versuche, meine Ansicht(en) mitzuteilen:
@all:
Nun, zunächst einmal finde ich es durchaus angebracht, dass man sich selber, sein Verhalten und die eigene Denkweise ab und zu etwas reflektiert. Das gilt auch für das Hobby.
Ich könnte das Wort "Spielspaß" beispielsweise nie in Zusammenhang bringen mit Spielen, die das reale (bzw real geschehene) Leid von Menschen bewusst ausnutzen (egal, ob das Humor, Strategie oder Spannung bringen soll, ich find das widerlich und nicht vertretbar). Beispielsweise ein Spiel, das im Dritten Reich spielt und in dem man Juden und Oppositionelle in die Gaskammern schickt - grausig! Oder das tatsächlich existierende Serienmörder-Quartett (gibt es nicht inzwischen auch ein Vergewaltiger-Quartett oder sowas?
), selbst wenn das ironisch gemeint sein soll.
Natürlich muss jeder für sich selber überlegen, wo da die Grenze ist; die kann bei jedem vielleicht woanders liegen. Ein sensibler Vegetarier würde vielleicht kein Agricola (mein Lieblingsspiel) spielen wollen, und das müsste man respektieren.
Aber der Artikel von Steffen Buchen ist - meinem Empfinden nach - etwas ganz anderes: Schlichtweg verfehlt!!
In "Istanbul" geht es soweit ich weiß (ich hab das Spiel noch nicht gespielt) um einen kleinen Ausschnitt aus dem mittelalterlichen Basaralltag, und zwar nicht herabwürdigend. Zumal dabei ja facettenreich verschiedene Themen angeschnitten werden und es nicht nur ums Feilschen geht!
Da wird kein Orientale an sich irgendwie geringschätzig dargestellt, oder?
Sondern - wie ja Buchen selber anmerkt - das Spiel könnte so ähnlich auch auf einem mittelalterlichen Markt in Rom oder Trier spielen (nur dass der Istanbuler Basar berühmt und viel größer war (und immer noch ist) - und damit thematisch und spielmechanisch schichtweg noch mehr Potential und Atmosphäre bot als ein Mittelaltermarkt in Deutschland). Im übrigen sind auch ein Großteil derjenigen "thematischen" Eurogames, die
in Mitteleuropa spielen,
Handelsspiele! Man denke nur an "Die Händler von..[XY]"!
Herr Buchen hat vermutlich einfach keine Ahnung von Spielen. Zumal
bei den meisten thematischen Spielen nur ein
Ausschnitt aus dem Thema verwendet wird - bei "Agricola" (besonders vereinfacht dargestellt bei dessen kleinem Bruder A-dBudlV) ist es ein spätmittelalterlicher Bauernhof, bei "Istanbul" das mittelalterliche Basarviertel.
Aber damit wird kein "Orientale" diskriminiert oder auf "die können nix als Feilschen" reduziert.
Ich sehe keinerlei Grund, dies Spiel nicht mit Migranten zu spielen, eher im Gegenteil.
Oder darf man mit ihnen auch kein "Agricola-die Bauern und das liebe Vieh" spielen, damit sie nicht denken, die Deutschen seien also ausschließlich einfache Bauern und nie Dichter und Denker gewesen?? Was für ein Unsinn.
Und zur Klarstellung: Ich finde es extrem wichtig, Migranten auf Augenhöhe, mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen und auch ihre Vergangenheit zu berücksichtigen- sowohl ihre kulturelle Herkunft und Hemmschwellen, als auch ihre möglichen Traumata durch Krieg, Verfolgung, Ablehnung und lange Flucht. Da kann es durchaus Spiele geben, die man zu ihrem Schutz erstmal nicht mit ihnen spielen sollte. Das ist meine Meinung.
Aber
falls auch Herr Buchen dies vermitteln wollte, hat er es leider verpatzt. Er hätte behutsam oder mithilfe von Beispielen darauf hinweisen können, dass möglicherweise ein Spiel ungeeignet für frisch angekommene Flüchtlinge sein könnte, in dem beispielsweise der Spieler "im Dungeon eingesperrt" ist, oder in dem man realitätsnah Städte zerstört und sich gegenseitig abschlachtet, oder in dem der Spieler (bzw die Spielerin, eine Migrantin) einen engen oder freizügigen Körperkontakt mit dem anderen Geschlecht haben müsste.
Ja, einen derartigen Artikel hätte Herr Buchen verfassen können. Das wäre vielleicht hilfreich gewesen, damit der Deutsche sensibilisiert wird für die möglichen, individuellen Empfindungen der einzelnen Migranten.
Dagegen finde ich es schlecht recherchiert, ungerecht und geradezu "billig", ein Spiel wie Istanbul herzunehmen für den Vorwurf "typisch, der Deutsche denkt Orient = Basar", und dann gegen die vermeintlich "dümmliche, spießige Spielerkultur" zu hetzen.
Das zeigt doch, dass Herr Buchen die Brettspiele(r)szene total verkennt, die oftmals sogar sehr gebildet, kritisch und nachdenklich ist.
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2021:
Canopy / Carcassonne´21 / Creature Comforts / Honey Buzz / Monasterium / Praga C.R. /
Remember Our Trip / Santa Monica (dt.) / Seven Bridges / Zimmer frei (Tiefen Thal-Erw.)