Mit bunten Bildern:
https://mittwochsspielen.com/2016/07/30 ... -struggle/
Lesen bildet auch:
60 Monate auf Platz 1. Fünf ganze Jahre. Diese beeindruckende Serie hatte Twilight Struggle in der über 75.000 Einträge großen BoardGameGeek Datenbank hingelegt, bevor es dann schließlich im Dezember 2015 von Pandemic Legacy als bestbewertetes Spiel abgelöst wurde. Grund genug, diesem im deutschen Sprachraum immer noch vergleichsweise wenig bekannten Ausnahmespiel eine Huldigung zukommen zu lassen.
Twilight Struggle ist ein episches Zweipersonenspiel. Episch, weil es im wahrsten Sinne des Wortes eine ganze Epoche spielerisch wiederauferstehen lässt. Es geht um die Zeit des Kalten Krieges zwischen 1945 und 1989, in der wir Spieler die Geschicke der Kontrahenten USA und UdSSR im Ringen um politische Dominanz lenken. Dabei ist die gesamte Welt unser Schlachtfeld: Über 10 Runden versuchen wir, Länder rund um den Erdball unter unsere politische Kontrolle zu bringen, um in regelmäßig stattfindenden Wertungen dafür Punkte zu bekommen. Wir gewinnen entweder am Ende des Spiels durch Punktemehrheit oder per sudden-Death, sobald wir einen 20-Punkte-Vorsprung erarbeitet haben.
Im Kern ist Twilight Struggle dabei zunächst ein Mehrheitenspiel: Die Weltkarte ist aufgeteilt in Regionen wie Europa, Mittler Osten oder Asien, in denen sich jeweils eine repräsentative Auswahl an Ländern findet. Durch das Einsetzen von Einflusspunkte bringen wir diese Länder unter unsere Kontrolle und Siegpunkte gibt es dann für Mehrheitskonstellationen in den Regionen. Einige Länder, die sog. Battleground Countries haben zudem besondere strategische Bedeutung und bringen Extrapunkte bei eigener Kontrolle. So sind in Europa z.B. Deutschland, Frankreich und Polen punkteträchtiger als Finnland oder Griechenland.
Nun lassen sich aber nicht alle Länder gleich einfach unter Kontrolle bringen: jedes Land hat eine politische Stabilität, die angibt, wie groß mein Vorsprung an Einfluss sein muss, um das Land zu kontrollieren: In instabilen Ländern wie dem Libanon oder dem Sudan reicht schon ein Vorsprung von einem Einflusspunkt zur Kontrolle. Wer Israel, Deutschland oder Japan knacken will, muss seinem Gegener dagegen schon 4 Punkte voraus sein. Neue Einflusspunkte können dabei nicht beliebig gesetzt werden, sondern immer angrenzend an Länder, in denen man bereits präsent ist. Wir bauen unsere Einflusssphären also nach und nach regional aus.
Bis jetzt bietet Twilight Struggle also noch nicht viel Aufregendes: Einflusspunkte, Mehrheiten – das kennt man aus anderen Spielen zu Genüge. Die wirkliche Stärke des Spiels liegt nun in seinem Spielmechanismus, der im Englischen als „card-driven wargame“, also kartengetriebenes Kriegsspiel umschrieben wird. Motor des Spiels sind über 100 Ereigniskarten, die allesamt sowohl einen Ereignistext, also auch einen Punktewert zwischen 1 und 4 Punkten zeigen. Die Ereignisse sind dabei aufgteilt in drei Kategorien: Pro-USA, pro-UdSSR und neutral.
Ein Zug in Twillight Struggle besteht dabei aus dem Ausspielen einer solchen Karte von der Hand. Bei Karten mit eigenen oder neutralen Ereignissen muss ich mich entscheiden: Entweder lasse ich den Ereignistext wirken, oder ich nutze den Punktewert der Karte zum Setzen oder Entfernen von Einfluss. Dabei korrelieren starke Ereignisse mit hohen Punktwerten. Ich muss für jede solche Karte also abwägen, welche Art sie zu spielen vorteilhafter für mich ich.
Besonders interessant wird es aber, wenn ich eine Karte der Gegenseite auf der Hand habe: spiele ich diese aus, dann muss ich den Ereignistext für den Gegner ausführen und kann nur die Punkte für mich selbst nutzen. Da Karten nur in Ausnahmefällen abgeworfen werden dürfen, enstehen dadurch reizvolle Zwänge, bei denen ich mich entscheiden muss, wann ich ein für den Gegner vorteilhaftes Ereignis spiele.
Die Ereignistexte sind dabei die eigentliche Stärke des Spiels, denn sie spiegeln allesamt reale Vorgänge des kalten Krieges wieder: Berlinblockade, Vietnamkrieg, Kuba-Krise, Thatcher-Ära oder Glasnost: das sind alles Ereignisse, die man aus den Geschichtsbüchern kennt oder – als Spieler meines Alters – teilweise sogar miterlebt hat. Diese Reflektion von Ereignisse der nahen Vergangenheit ist es, was den thematischen Reiz von Twilight Struggle maßgeblich prägt.
Während des Spiels hängt dabei das Damoklesschwert des kalten Krieges, die nukleare Eskalation, über unseren Köpfen. Denn obwohl wir beim Einsatz von Waffen in den Regionen nicht zimperlich sind, ist ein Atomkrieg mit allen Mitteln zu vermeiden, denn wer diesen auslöst, hat das Spiel – nachvollziehbar – sofort verloren. So müssen wir ein ums andere Mal zähneknirschend auf an sich günstige Aktionen verzichten: Einen Putsch in Kuba anzetteln während der DEFCON schon auf 2 steht? Keine gute Idee!
Twilight Struggle ist mit einer Spieldauer von ca. 3 Stunden ein langes, aber elegantes und im Kern seiner Regeln überschaubares Spiel. Es war lange Zeit nur auf Englisch verfügbar, was mich dazu brachte, die Karten allesamt auf deutsch anzufertigen. Mittlerweile gibt es aber unter dem Titel „Gleichgewicht des Schreckens“ eine solide deutschsprachige Ausgabe. Beide Editionen greifen dabei mit einem Preis von ca. 60€ recht heftig in die Geldbörse.
Der eigentlich Auslöser für dieses Review war aber die Veröffentlichung der digitalen Ausgabe von TS als Spiel unter Windows (~16€ bei Steam) oder iOS (~8€ im AppStore). Die digitalen Umsetzungen erlauben dabei, das Spiel gegen einen Computergegner oder über’s Netz gegen andere Spieler zu zocken. Die Windows-Version muss dabei schlichtweg als großartig bezeichnet werden. Schöne aber funktionale Grafik, elegante Nutzerführung, Tutorial – da passt einfach alles. Naja – fast alles – denn die Computer KI ist nicht besonders spielstark. Aber zum Üben reicht’s und wenn man dann genug Erfahrung gesammelt hat, kann man sich direkt ins Getümmel stürzen und andere Spieler herausfordern. Für weniger als 20 Euro bekommt man hier ein ausgereiftes, prächtig präsentiertes Strategiespiel der Extraklasse.
Fazit: Twilight Struggle ist ein episches, thematisch mitreißendes und spielerisch ausgereiftes Strategiespiel für zwei Spieler, das zudem mit brandneuen Digitalumsetzungen glänzt. Die Nummer-1-Platzierung auf BGG ist natürlich dem Umstand geschuldet, dass es als Cold-War-Game die Spieler auf der anderen Seite des Atlantiks besonders anspricht. Doch auch Strategiefans auf dem alten Kontinent sei dieses Juwel wärmstens ans Herz gelegt.