Beitragvon Andreas Epplée » 25. Juni 2002, 12:43
Hallo Günter,
wenn ich Deine Antworten so lese, scheint mir ein Konsens zwischen uns (und Dir und den Anderen) nicht so ohne weiteres möglich - zu existenziell scheint für Dich die Rolle eines Warners vor untergründigen Ressentiments und Verteidigers verkannter oder gefährdeter Ethnien - Deine Spiele zeigen das ja auch nicht gerade undeutlich ;-) Das ist ein sehr merkwürdiges, aber geschichtlich gesehen überdeutliches Phänomen: je stärker jemand missionarisch auftritt, desto mehr Menschen, Meinungen etc. muss er ausgrenzen - oft bis zu dem Punkt, an dem die (explizit oder implizit) Ausgegrenzten ihn nicht mehr aushalten können und ihn zum Schweigen bringen müssen. Beispiele erübrigen sich wohl. Ich habe eigentlich immer nur eine Antwort auf alle Fragen überzeugend gefunden: jeder hat zu jedem Zeitpunkt für sich gesehen immer recht. Die verschiedenen Aspekte des "Recht habens" und ihre möglichen Verbindungen aufzufinden, ist der Weg zur Wahrheit (den man natürlich gehen muss, auch wenn das Ziel unklar oder unerreichbar scheint).
Günter Cornett schrieb:
> > .... Blondinen [etc]....
> ich denke, in der Regel kann man schon intuitiv abschätzen,
> was wann angebracht ist und was nicht. Und es ist auch nicht
> so schlimm, wenn man mal in ein Fettnäpfchen tritt, solange
> man sich bemüht es nicht zu tun und es nicht zum Prinzip wird.
"Smilies nach Wahl" habe ich geschrieben - relax! Sonst endest Du noch wie Herr Ridder ;-) (Auch wenn ich die Entscheidung, das kultige "Guillotine" auf deutsch herauszubringen, für wirtschaftlich ebenso erfolglos halte wie das jetzt schon wieder aufgegebene "Schussfahrt". Gerade den Deutschen, das zeigt auch der Ausgangsthread, kann man mit sowas kaum kommen, schon gar nicht bei Amigo. Merkwürdige Veröffentlichung. Wir Spieler neigen doch immer wieder dazu, die Welt für verspielter zu halten, als sie ist - steckt da nicht Staupe dahinter?)
> Es ist immer der Kontext. Die Behauptung Juden seien
> habgierig stand vor Auschwitz. Wenn das wieder salonfähig
> wird, wird womöglich auch Auschwitz wieder salonfähig. Zu
> weit hergeholt ?
Ja und nein. Unsere Zeit ist wie alle Zeiten vor ihr zu allen Grausamkeiten, kriegerischen, ideologischen, umweltschädlichen und sonstigen schwachsinnigen Aktionen bereit. Das Problem im Dritten Reich waren nicht die Juden. Aber Sündenböcke mussten her, und die Juden hatten in der Hinsicht nicht nur in Deutschland eine lange Tradition. Wenn ein Volk sich bedroht, verängstigt, in seinem Selbstbewusstsein getroffen fühlt, muss es sich an irgendwem abreagieren - siehe Amerika. Mit Ratio hat das nichts zu tun, und "salonfähig" sind solche Reaktionen dann immer. "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze (sc. und/oder das Geld) weg" z.B. ist so ein Vorwurf von heute, durchaus salonfähig weil für den einfachen Verstand nicht leicht zu widerlegen und deshalb auch durchaus katastrophenfähig. Und schon haben die "Rechten" wieder eine Zielscheibe. Das hat weder mit den Juden, noch mit Auschwitz zu tun, noch recht eigentlich mit den Deutschen. Nur haben die Deutschen auch in negativer Hinsicht gewaltige Energien, die oft nicht von positiven, lebensbejahenden, freudigen, liberalen Netzen aufgefangen werden können. Die Globalisierung könnte in dieser Hinsicht ein Segen sein - KÖNNTE...
"Juden sind habgierig" stand vor Auschwitz. Ganz richtig. Und zwar lange vorher. Wie schon des öfteren analysiert war es vielleicht eine notwendige, möglicherweise die einzige Überlebensstrategie in der Diaspora. "Nimm was Du kriegen kannst", wer könnte es einem Menschen oder Volk verübeln, dem scheinbar "nichst zusteht"? Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Dass darüber Witze gemacht werden, auch verächtliche, ist völlig menschlich (vor allem, wenn die Anderen die "Macht", das Geld haben). Nicht, dass die Juden für habgierig gehalten wurden, war das Schreckliche, sondern die Tatsache, dass sich diese Meinung für einen Völkermord instrumentalisieren ließ.
> In Deutschland werden täglich jüdische Friedhöfe geschändet.
> Das ist Gegenwart, die ich nicht so einfach ausblenden kann,
> ebensnowenig wie die Tatsache, dass es in der deutschen
> Hauptstadt Schulen gibt, an denen sich ein Schüler nicht als
> links outen kann, ohne dass er dafür eins auf die Fresse
> kriegt.
Ja, es gibt viel Schreckliches. Aber die oft furchtbaren Folgen des - beliebiges Beispiel - Unterschiedes zwischen den Geschlechtern hindern doch niemanden daran, darüber Witze zu machen. Ob solche verallgemeinernden Witze überhaupt sinnvoll (und witzig) sind, ist sicher eine Frage des individuellen Bewusstseins. Aber darum kann es ja hier nicht gehen. Dass es schlimmer sein soll, einen Juden um seines Judentums willen verächtlich zu machen, als eine Frau um ihrer schieren Weiblichkeit willen, kann ich nicht einsehen.
> Bitte interpretiere meine Beiträge nicht in diesem
> Zusammenhang. Ich bin durchaus der Meinung, dass man kein
> Antisemit sein muss, wenn man der israelsichen Regierung eine
> Vernichtungspolitik vorwirft oder Sharon einen Mörder nennt.
Es geht ja nicht nur darum. Walsers Buch z.B. hat mit den konkreten Auseinandersetzungen dort nichts zu tun. Es scheint nur, dass allgemein der Vorwurf "Antisemitismus" immer noch einer ist, der wilde emotionale, ideologische Debatten durch alle Schichten der Bevölkerung auslösen kann - kein Anzeichen für eine wirklich entspannte, tolerante Haltung. Der Konflikt zwischen den Parteien ist tragisch genug, wie so viele im Moment - außen Stehende müssen sich nicht auch noch die Köpfe einschlagen. Leider, auch das entbehrt nicht der religions-immanenten Tragik, können und wollen sich viele Deutsche eben auch nicht als "außen stehend" empfinden. Und je mehr man glaubt, eine "Meinung" haben zu müssen, desto weitere Kreise zieht der Konflikt.
> [Ich denke, es ist wichtig, die Antisemitismus-Debatte anders
> zu führen. Für die israelische Regierung ist es sehr bequem,
> Kritiker als Antisemiten darzustellen. Das wiederum
> erleichtert es Antisemiten Kritik an Israel als Bestätigung
> ihres Weltbildes darzustellen. Hier wäre mehr Differenzierung
> nötig anstatt Stimmungsmache und Rechthaberei (wie bei
> Möllemann und Friedman) angebracht. Allerdings bin ich mir
> bewusst, dass dies aus der sicheren Distanz einfacher gesagt
> ist als getan. Was für die einen Vergangenheit ist, ist für
> die anderen immernoch Gegenwart. Von daher ist es auch
> falsch, selbst überzogenen Antisemitismus-Vorwürfen pauschal
> unlautere Absichten zu unterstellen. - Dieses Thema würde das
> Forum sprengen.]
Das Problem ist m.E. weder mit Gedanken noch mit Worten zu lösen. Wie sollen zwei Menschengruppen, die sich ständig aufs Äußerste von einander bedroht fühlen, friedlich zusammen leben können? Vertrauen, Frieden suchen, einander glauben nach soviel Verrat und Vernichtung? Gerade Religions-konstituierte Menschen sind wie Kinder (wollen sie ja auch sein - kein Smilie), sie können schwachsinnig streiten bis zum Umfallen und sich aus purer Unkenntnis (und mangels besserer Ziele) die Köpfe einschlagen. Wenn nicht irgendwann die Eltern dazwischen gehen, gibt es keine Ruhe. Will sagen: der einzige Weg, den ich sehe, führt über eine "Weltregierung", auch eine "Weltpolizei". Solange solche Institutionen nur als Projekte existieren, werden wir (die Staatengemeinschaft) solche Konflikte nicht in den Griff bekommen.
> [Eine Ablösung, die in dieser Form nichts bringt, da sie
> durch eine andere ebenso unheilvolle Identitätsbildung
> abgelöst wird.
Doch, denn Bewegung ist notwendig. Ob das neue Bewußsein notwendig so unheilvoll wie das alte sein muss, steht glücklicherweise immer wieder dahin. Sinnlos an überkommenen, unzeitgemäßen Urteilen und Vorurteilen festzuhalten, ist das Schlimmste.
> Die Entstehung des Deutschen Nationalstaates wurde seinerzeit
> als Überwindung der Kleinstaaterei begrüßt. Heute tritt das
> 'grenzenlose Europa' an die Stelle europäischer
> Nationalstaaten mit einer umso stärkeren Abgrenzung nach
> aussen gegen anndere Kulturen. So sieht das für mich
> gegenwärtig aus.]
Na, ganz ohne Abgrenzung geht es natürlich nicht! Aber die Öffnung, die Befreiung aus nationalstaatlicher Enge ist doch auch unübersehbar???
> Undifferenziertheit werfe ich da vor, wo mir Sachen
> unterstellt werden, die ich eindeutig nicht geschrieben habe.
> Und dann wird gegen das argumentiert, was mir unterstellt
> wird (ich habe niemanden einen Nazi genannt und klar
> antipolnische Vorurteile benannt). Ich denke, ich muss das
> hier nicht weiter ausführen. Ist recht einfach nachzuprüfen.
Naja, impliziert hast Du allerdings eine ganze Menge. Ist auch recht einfach nachzuprüfen. Wenn Du "keine antisemitischen Witze im Forum" anmahnst und schon entfernt das nächste Auschwitz heran nahen siehst, sollten sich die Angegriffenen nicht zu Recht mit rechter Brühe in einen Topf geschüttet fühlen?
Ein Witz ist ein Witz ist ein Witz. Du darfst Dein Bemühen um Verständnis ruhig auch artikulieren, wenn Du angemessen reagieren willst.
> Das Ronald es lustig findet zu provozieren, indem er sagt, er
> lacht über Judenwitze mag für ihn nur ein Spiel sein. Für
> mich nicht.
Nein, es ist kein Spiel (siehe seine Antwort). Er ist nur nicht so allergisch auf bestimmte (Witz-)Themen und Begriffe.
> > Die Wahrheit muss beide Positionen vereinen
> > können.
>
> 'Die Wahrheit' gibt es nicht. Gerade bei diesem Thema gibt es
> sehr viele - subjektive - Wahrheiten.
Na klar, ich meinte natürlich "die Wahrheit, soweit wir sie erkennen können", oder "die möglichste Annäherung an die Wahrheit" o.ä. Denn die "relative" Wahrheit besteht für mich in der Zusammenfassung und gleichzeitigen Ermöglichung möglichst vieler Einzelwahrheiten.
> Ich nehme mir das
> Recht, diejenigen, die sich selbst nicht betroffen fühlen,
> auf die Wahrheit derer hinzuweisen, die (auch heute noch)
> betroffen sind.
Unbenommen. Nur nicht ganz so dogmatisch bitte. Die andere Seite hat auch Recht.
> Was mir an Gustavs Witz ausgesprochen seltsam vorkommt ist
> die Zuweisung: die Franzosen, die Polen, die Deutschen, die
> Juden, wobei die Schluss'pointe' den Juden pauschal Habgier
> unterstellt.
Na, die Pointe ist doch nicht, dass Juden habgierig sind - sondern dass auf solche Weise die konstituierenden Texte dieses Volkes entstanden sein sollen :lol:
> Für einen jüdischen Witz finde ich das eher untypisch. Ich
> könnte es mir diesen Witz gut vorstellen mit diversen im AT
> vorkommenden Personen (XY als Ehebrecher(in), als Dieb(in),
> Kain (oder jemand anders) als Mörder und Moses als Empfänger
> der Gesetzestafeln).
hm...
> Blendet man den nationalen Aspekt aus, ist die Pointe
> natürlich komisch.
Wer WIRKLICH über nationale Aspekte lachen kann, ist kein schlechter Mensch ;-)
Gruß
Andreas