um Ines Thread nicht weiterhin zu belasten, fange ich mal ein neues Thema an.
Unsere Szene scheint sich immer wieder dafür zu begeistern, Migranten in unsere so hoch geschätzte Spielkultur einbinden zu wollen. Mich tangierte diese Absicht in den letzten Jahren immer wieder. Sei es mit meiner konträren Meinung zu dem, was die Szene so glaubt zu wissen, oder beratend, weil Hilfeorganisationen sich an die Brettspielgruppe wenden, um in einem ähnliche Anliegen Unterstützung zu erhalten.
Nur - dass ich bisher selbst keine praktischen Erfahrungen gemacht hatte.
Unsere aktuelle Situation vor Ort ist:
- eine Turnhalle wird die kommenden Tage zu zweiten Mal mit ca. 200 Migranten belegt.
- ein Container-Bau für ca. 145 Migranten, belegt mit Personen (der Turnhalle), die bei einer Wohnungsvermittlung nicht zum Zug gekommen sind. In der Regel sind das junge Männer.
- Migranten(-familien), die in Wohnungen untergebracht sind.
Als vor einigen Wochen die Turnhalle und die Container belegt wurden, folgten Spendenaufrufe - unter anderem für Gesellschaftsspiele. Das war für mich Anlass, Kontakt mit dem örtlichen Helferkreis aufzunehmen. Nicht - um Spiele zu überlassen. (Die brauchbaren werden von der Gruppe selbst genutzt.) Sondern, um den Migranten das Angebot zu unterbreiten, sich in die Brettspielgruppe zu integrieren.
Aber - zu nächst einmal war das Bedürfnis an Gesellschaftsspielen und Spielrunden nicht so groß - verständlicherweise gab es Dringlicheres zu regeln.
Inzwischen gab es Aktivitäten des internen Helferkreises, um mit den Migranten in den Container Spielrunden zu organisieren. Der angebotene Erfahrungsaustausch wurde nicht wahrgenommen. Wie ich dem Newsletter entnommen habe, wurde eine Partie LIFESTYLE ausprobiert. Erfahrungen aus der Partie wurden nicht weitergeben.
Eine etwas ältere Teilnehmerin der Brettspielgruppe bringt sich aktiv im Helferkreis ein und hat die Patenschaft für einen Migranten übernommen. Den hatte sie schon zum vorletzten Spielabend eingeladen und die Teilnahme war vereinbart - aber sie wurde am Termin versetzt. Zum letzten Spielabend hat sie einen neuen Anlauf mit einer weiteren Einladung genommen. Sie erhielt Unterstützung von einer weiteren Helferin aus dem engeren Kreis und ein ganzes Zimmer des Containerdorfs mit jungen Männern aus Eritrea nahm an dem Spielabend teil.
Zuvor bat mich unsere Mitspielerin, dass ich mich auf die Teilnahme der Migranten am Treffen einstellen und entsprechend vorbereitet sein soll. Ihr habe ich, den recht interessanten Bericht zum Thema von Synes Ernst zu Verfügung gestellt, die leider ungelesen blieben. Mich hatte ich mit einigen zusätzlichen Geschicklichkeitsspielen für den Spielabend eingedeckt.
Diesmal nahmen die Migranten die Einladung zum Spielertreff tatsächlich wahr. Die vier Männer aus Eritrea waren im Alter von 19 bis ca. 25Jahre. Einer ist schon etwas länger hier in Deutschland und verfügt ein wenig über unser Sprachverständnis. Die anderen waren neu hier und selbst dem Englisch unkundig. Einer konnte also etwas von unseren Regelerklärungen übersetzen. Ansonsten wurde mit den Händen erklärt. Wie sich herausstellte, lag bei allen eine schulische Bildung vor.
Ich legte zunächst einmal ein 3D UBONGO auf den Tisch - um damit gleich zu scheitern. Gedacht war, das es einfach zu vermitteln sei (und auch ohne Wertung eine schöne Spielaufgabe ist). Es brachte keine schnellen Ergebnisse. Selbst die einfachen Aufgaben waren zu schwierig - und es wurde begonnen, die Spielregeln zu umgehen. Man konnte gar nicht so schnell schauen, wie schnell da statt drei vorgegebene Teile sechs oder sieben Teile in den Händen waren und zur Lösung verwendet werden wollten.
Die Patin mochte das UBONGO überhaupt nicht und bat darum, dass wir abbrechen und was ordentliches auf den Tisch bringen - ihre Lieblingsspiele. Also wurde ein QWIRKLE hergenommen. Ich lehnte mich da in meinen Stuhl erst mal etwas zurück und schaute mir die Entwicklung an. Obwohl den Orientalen eher die abstrakten Spiele liegen, war an eine Wertung der Züge nicht zu denken. Die Vermittlung der Anlege-Regeln war eine große Hürde. Ich hatte auch den Eindruck, dass Mehrpersonenspiele mit dem Reihumspielen nicht vertraut waren. Auch bei dem Titel folgte nach dreißig Minuten ein Abbruch.
Ich schlug dann eine Runde BLOKUS vor. Der Titel fand eine gute Akzeptanz. Das Spielziel ließ sich vermitteln. Aber es gab immer wieder Versuche, die bereits bestätigten Anlegeregeln auszuhebeln oder auf Ausnahmen zu prüfen. Bei dem Spiel tat sich der Jüngsten mit dem größten Verständnis hervor. Aber einem anderen Mitspieler wurde von uns leider doch soviel geholfen, dass er gewann. Es folgte sogar noch eine weitere Partie.
Dann schlug wieder die Patin einen (Lieblings)Titel vor - LAS VEGAS. Zu meiner großen Überraschung weckte dieser Titel zum ersten Mal, dass von mir erwartete Spielgefühl bei den Migranten aus. Um Geldbeträge zu würfeln, hatte ein sofortiges Verständnis. Die Ergebnisbedingungen wurden sofort akzeptiert und auch eingehalten. Die Jungs hatten richtig Spass.
Darauf aufbauend kam von mir ein weiter Vorschlag CUATRO / CASTRO. Aber es erwiesen sich die Würfelziele wie Mehrlinge und Co. als schwierig verständlich. Das Verhindern von Viererketten der Mitspieler wurde noch gar nicht in Betracht gezogen. Die Partie plätscherte so vor sich hin.
Inzwischen war es 23 Uhr geworden. Etwas erschöpft wollten die Migranten den Spielabend beenden.

Mal schauen, ob sich die Jungs noch mal auf ein solches Abenteuer einlassen.
So ganz zufrieden stellte mich der Verlauf des Abends nicht. Teilweise haben wir die Migranten mit der Titelauswahl überfordert. Meine bevorzugten Titel wie RIFF RAFF, PIRATENBILLARD oder SAFRANITO kamen wegen Abstimmungsdifferenzen unter den Ausrichtern (noch) nicht zum Zug.
Was mir eigentlich noch am Herzen liegt, ist, das wir zukünftig eher keine reinen Migranten-Spieltische bilden. Es soll ja eher das Ziel der Integration verfolgt werden. Ich nehme auch an, dass der Spielzugang erleichtert wird, wenn drei von vier Spielern die Regeln beherrschen, weil sich die richtigen Vorgänge leichter abgucken lassen und das Spielgefühl eher aufkommt.
Weitere Berichte von Spielrunden mit Migranten zwecks des Erfahrungsaustauschs würden mich freuen.