Guido Heinecke hat geschrieben:New Boardgame Journalism - nötig?
Artikel vom 21.11.13:Seit März 2004 gibt es bei den Kollegen drüben in der digitalen Sparte - das sind die mit dem blinkenden Apparaten und den zuckenden Kontrollern - den
Begriff des "New Games Journalism". Geprägt hat ihn der britische Spielejournalist Kieron Gillen - und damit eine neue Bewegung im Schreiben über Computerspiele geschaffen,
http://gillen.cream.org/wordpress_html/ ... ournalism/. Oder wenigstens benannt.
Dieser neue Ansatz von Kulturjournalismus in digitalen Games hatte sein Vorbild in einem neuen Reportagestil mit subjektiven Duktus und starken literarischen Anleihen. Entstanden in den 60ern,
warf diese neue Art zu schreiben die journalistischen Konventionen über Bord und nahm den Leser ganz persönlich an die Hand. Um eine lange Geschichte kurz zu fassen: Die Computerspiel-Journalisten griffen - vor allem online - diese Idee rasch auf und berichteten plötzlich nicht mehr über Zahlen und Daten in ihren Rezensionen, sondern versuchten durch Selbstreflexion der Seele eines Spiels auf den Grund zu gehen: Was passiert mit mir, wenn ich spiele? Welche Gefühle kommen auf, was fasziniert?
Insbesondere die Veteranen der Szene belächelten diese arroganten Fatzkes mit ihrem elitär-hippen und dabei doch beneidenswert intimen Geschichten. Heute, im Jahr 2013, stehen bei den Onlinemagazinen genau diejenigen ganz tief in den Herzen der Leser, die zu einem großen Teil ihre Art des New Games Journalism entwickelt haben: Polygon, Rockpapershotgun und hierzulande Superlevel.
Und wir?
Diese berechtigte Frage sei erlaubt. Überlegen wir mal: Was können wir, die Brettspiel-Journalisten, denn von den Kollegen mit den Konsolen und den Let'sPlay-Videos lernen? Braucht es nicht auch einen "New Boardgame Journalism"?
Auch bei uns überwiegt noch der klassische (und langatmige) Rezensions-Stil und traditioneller Branchenjournalismus. Die großen Magazine machen es vor: Spielbox, Fairplay. Das ist alles sehr solide und wird von mir hier in keinster Weise in ein schlechtes Licht gestellt. Und schaue ich mir den guten Sebastian vom Zuspieler-Medienimperium an, dann brauche ich keinem zu erklären, dass der Mann die Szene durch jede Menge richtig guter Geschichten bereichert hat.
Ich wünsche mir aber mehr Nähe. Ich meine: Es gibt so viele Rezensionsseiten im Internet, die vor allem eins sind: Engagiert. Wahnsinn, wie viel Zeit und Energie da in Freizeitprojekte gesteckt wird. Aber viele sind auch etwas anderes: Langweilig. Immer wieder kritisiere ich den berühmten 10-80-10-Stil vieler Seiten. Das sind zehn Prozent Einleitung, achtzig Prozent Regelparaphrase und zehn Prozent Bewertung. Am besten noch mit Punkten. Denn, liebe Autoren, ihr klaut den Lesern Zeit. Deswegen scrollen die alle zum letzten Absatz runter und überfliegen das Resümee. Habt Ihr dafür so viel Zeit beim Schreiben vergeuden wollen? Ich denke nicht.
Ich fasse mich mal an die eigene Nase, will mich allerdings nicht selbst auf einen Sockel stellen: Ich rezensiere nicht oft. Ja, nun wird das hier langsam mehr. Hat auch seine Gründe, wegen der Jury und so. Im Juni 2012 habe ich dazu eine Artikel geschrieben, der jetzt umso mehr gilt wie einst:
"Wenn ich etwas über Spiele schreibe, dann haben diese bereits das erste Ausschlusskriterium bestanden: Sie taugen was. Über schlechte Spiele schreibe ich nicht. Das bringt keinem etwas, kostet nur zu Zeit und wird obendrein eh nicht gelesen. Gute Verrisse sind eine ganz hohe Kunst, die mir auch nicht immer gelingen will, ich gebe es zu. In der heutigen Flut an Neuheiten, denke ich, ist ein schlechtes oder mittelmäßiges Spiel alleine durch Nichtbeachtung abgestraft."
So viel zur Motivation.
Aber wie muss eine in meinen Augen gute Rezension aussehen? Ich zitiere wieder:
"Sie fußt auf der Auswertung der Interaktion, nicht nur der Betrachtung von Form und Inhalt. Ich orientiere mich in meinen Kritiken an der Kunst. Ein Spiel hat entsprechend schon materiell mehrere Ebenen, die es zu analysieren gilt: Ein Autor erfindet den formalen Mechanismus, ein Illustrator gibt dem Ganzen ästhetische Gestalt. Das will beschrieben werden.Als viel wichtiger erachte ich allerdings ein Phänomen, das eigentlich aus der Kunst- und Literaturtheorie stammt: Ich nenne es die Rezeptionsästhetik des Spiels. Gemeint ist damit nicht der Gegenstand an sich, also das Spiel als Schachtel plus dessen Mechanismensystem, sondern das, was sich in mir als Spieler dabei entwickelt. Und das dehne ich zeitgleich aus auf die Stimmung am Spieltisch. Also: Wie wirkt das Spiel in seinem Ablauf und erzeugt damit Spaß oder Unlust bei seinen Rezipienten - Wie kommuniziert es mit uns Spielern?
Es geht darum, in einer Kritik möglichst plastisch zu beschreiben, was am Spiel Spaß macht, warum es Euch ebenfalls Spaß machen wird und – wenn der Rezensent ein erfahrener Veteran der Szene ist – in welchem Kontext zu anderen Werken des Autors oder ähnlichen Spielen es steht. Da steckt durchaus viel Leistung hinter, siehe die fachkundigen Texte in der Spielbox.
Wir schreiben über Spiele. Nicht über Aktienkurse.
Es ist essentiell zu beschreiben, was das Spiel mit uns individuellen Menschen macht. Wir spielen zur Erholung, nicht um die Schrecken moderner Kriegsführung zu verstehen. Ihr Leser wollt wissen, ob es der Titel bringt, Euch Eurem Geschmack entsprechend zu unterhalten. Ich erzähle Euch, wie das bei uns war – so, wie ich es einem guten Freund erzählen würde. Und da will auch die Form unterhaltsam zu lesen sein."
So soll für mich der "New Boardgame Journalism" aussehen. Und schaue ich mir die Szene an, erkenne ich da durchaus Bewegung. Udo Bartsch brachte uns allen das Lachen beim Lesen wieder bei, Sarah Kestering nimmt uns mit zu ihren Spieletreffs in Skye und mit Daniela, Martin Klein kriecht vor lauter Subjektivität schon fast aus meinem Bildschirm hervor oder die Oldenburger Pöppelhelden holen tief Luft, um mit langem Atem und viel Charme aus ihrem Kreis lebendig zu erzählen. Matthias Nagy ist manchmal so wirr wie gut informiert, das Ehepaar Nos legt immer direkt ein paar Spielstrategien bei. Wir sehen: Es tut sich was.
Und wenn bei den PC-Spielen die Let's Play-Filme von jugendlichen Hobbygamern in fünfstelligen Zahlen abonniert werden, dann weiß ich, dass auch bei YouTube die Zukunft liegt. Will Wheatons Tabletop hat es vorgemacht. Die Briten von Shut Up & Sit Down sind super telegen. Ich warte auf die ersten wirklich sehenswerten Brettspiel-Partien, die Unterhaltung mit Information kombinieren. Statt monologisierender Menschen vor Spieleregalen.
Ich weiß selbst, dass solche Nahaufnahmen und rezeptionsästhetischen Analysen von Spielen und aus der Szene nicht einfach zu schreiben sind, manchmal nicht passen oder Autoren überfordern können. Das geht mir ja genauso, nicht immer gelingt es, dem eigenen Anspruch zu genügen. Auch ich hab Stories hier auf Tric Trac, auf die ich stolz bin, andere wiederum liegen zurecht inmitten von drei Jahren (und bald in die Tausender gehenden) Artikeln verschüttet. Die Tagesform spielt auch eine Rolle. Und mein Kaffeekonsum.
Aber: Wenn wir uns alle bemühen, tolle, persönliche Geschichten zu erzählen statt kalter Warentests und Nullachtfuffzehn-Reportagen, gewinnen doch alle. Oder?