Beitragvon Morti » 27. April 2015, 16:41
Ich bewerte Spiele unter dem Strich auch nach meinem persönlichen Empfinden, versuche aber vor der Bewertung und damit meiner Meinungsbildung stets, die objektiven Kriterien stark zu berücksichtigen. Auf andere Aussagen achte ich dann nur, wenn sie genau in diese Sphäre greifen. Deshalb mag ich auch die Spielama-Rezis ganz gerne, weil die Tester im Gegensatz zu Tom Vasel angeben, die Reziexemplare ausreichend oft für ein genaueres Kennenlernen gespielt zu haben. Diesen Umstand finde ich dann auch häufig im Fazit wieder, ob es mir nun gefällt oder nicht.
Bsp.: BLOCKS IN THE EAST kostete mich 60 EUR und war mit der beiliegenden Anleitung nicht spielbar. Objektiv und ohne Herauswinden. Dafür hat das Spiel zurecht viel Prügel bezogen, und kein Rezensent hätte es loben können, weil er es eben nicht nach Anleitung spielen konnte. Später wurde die Anleitung verbessert, und das Spiel fand seine Fans und Kenner.
Ich mag nur nicht, wenn ganz klar Objektives und Subjektives ständig vermischt und in einen Topf geworfen werden. Wenn beide Elemente jedoch klar hervorgehoben und in Einklang gebracht werden, ist alles bestens.
Bsp.:
- "Wandel der Zeiten ist ein Spiel, das viel Spielzeit und Einarbeitung benötigt. Das mißfällt mir, weil ich Spiele dieser Länge nicht mag und mir ein Spiel auch nicht so aufwendig erarbeiten möchte. Im Verhältnis zu anderen Spielen seines Genres - z.B. das alte und neue Civilization oder Twilight Imperium 3 - liegen die Spielzeit und die Intensität der Einarbeitung aber im üblichen Rahmen."
- "Bei Wandel der Zeiten entwickelt man seine Nation mit Gebäuden, Regierungsform, Ressourcenproduktion, Errungenschaften, Militär usw. eher abstrakt mit Karten um sein Spieltableau herum; es gibt weder eine Weltkarte noch Einheiten, die man versetzen kann. Das hat mir nicht gefallen, weil sich bei mir kein intensives Ziv-Gefühl einstellte und es mir thematisch nicht dicht genug war. Betrachtet man allerdings am Ende des Zeitalters III seine Zivilisation, kann man durchaus die über die Jahrhunderte erwachsenen Strukturen erkennen: Kultur, Kunst, Wissenschaft, Militär, Technik - jeder Bereich hat seine Errungenschaften und Eigenheiten, z.B. wenn ein Volk noch auf Speerträger zugreift, gleichzeitig aber höchste Ebenen der multimedialen Unterhaltung und Kunst erlangte."
- "Die Karten sind das Zentrum des Spieles und bestimmen die Entwicklungsmöglichkeiten. Die Kartenstapel werden stets komplett durchlaufen, aber wann in einem Zeitalter welche Karte kommt und welcher Spieler sie sich dann kauft, bleibt weitgehend unvorhersehbar. Das führt einerseits zwar zu einer gewissen Berechnungschance, andererseits aber auch dazu, daß man einige wichtige Karten verpassen oder sich nicht leisten kann. Da aber immer dieselben Karten das Spiel durchlaufen, bietet es mir zuwenig Varianz. Nations z.B. offenbart immer nur einen Teil seiner gesamten Kartenmenge, so daß man schwieriger planen und flexibler reagieren kann."
Aber für solche Abwägungen benötigt man eben Spielerfahrung, und die erfordert Zeit und Mühe - das möchte nicht jeder investieren, aber ein Rezensent hat mMn die Pflicht dazu.
Alles andere ist nur ein (üblicher und wichtiger) Meinungsaustausch, bei dem man gegenüber Profis dann offen bleiben sollte. Ich z.B. habe Battlestar Galactica, Zombicide und Winter der Toten nur wenige Male gespielt und fand sie alle müde bis grottig, obwohl es allgemeine "Jubelspiele" sind. Meine Bewertung dieser Spiele spiegelt meine schlechten Erfahrungen wider, und ich habe nicht die Zeit und den Willen - wie andere eben bei WdZ -, sie tiefer zu durchdringen. Dennoch versuche ich stets, meine Meinung als Meinung aufgrund eingeschränkter Erfahrungen darzulegen und sie an den Kriterien festzumachen, die mir wichtig waren (z.B. bei Zombicide bestimmte Regelelemente, die andere Spieler wiederum ganz toll finden).
Kurz: Es gibt in der Spielebewertung i.d.R. nicht sooo viele objektive Kriterien, und wenn man diese immer berücksichtigt und dabei offen für andere Sachargumente bleibt, kann man subjektiv ja fleißig vor sich hinüberlegen.
Die Westparker sind dafür ein gutes Beispiel, weil sie extrem erfahren sind und Spiele schnell durchdringen und sachlich analysieren können, aber es dann in den Anmerkungen und Diskussionen untereinander und mit anderen Spielern immer wieder einen Dissens oder Analysekorrekturen auf der Sachebene gibt. Die Meinungsbildung erfolgt zwar schnell, aber die Sachebene wird gemeinhin berücksichtigt.