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Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

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Ingo Althöfer
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Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon Ingo Althöfer » 13. August 2008, 10:10

Hallo allerseits,

gerade nach dem, was in den letzten Tagen passiert
ist, dürfte 2008 als Goldenes Jahr in die Geschichte
der Spiele-Programmierung eingehen. Es gab tolle
Fortschritte in einer ganzen Reihe von Bereichen.

* SCHACH
- Am 29. Dezember 2007 sassen die Programmierer beim
Paderborner Computerschach-Turnier abends zusammen -
und "Senior" Ulf Lorenz fragte laut, ob es möglich sei,
dass in 10 oder 20 Jahren die besten Schachcomputer 100
Prozent gegen die besten Menschen holen könnten (auch
mit den schwarzen Figuren).
Im Laufe des Jahres 2008 zeigte das Schachprogramm
Rybka in etlichen Vorgabe-Matches gegen GMs, dass
die Antwort ein "Ja" sein dürfte.
- Die Veranstalter der Mainzer Chess Classics kündigten
für 2008 die Computer-WM im Chess960 als Turnier der
Kategorie 29 an (beste menschliche Turnierkategorie war
bisher eine 22). Im nächsten Jahr könnte es Kategorie
31 oder höher werden. Die Menschen sind klar abgehängt.
- Aktuell spielt das neue Programm Rybka 3 Schach wie
von einem anderen Stern.

* GO
Das Programm MoGO von Sylvain Gelly hat auf massiver
Hardware in einer Schaupartie Dan-Stärke erreicht und
einen Profi bei 9 Vorgabesteinen klar geschlagen.
http://www.heise.de/newsticker/Go-Programm-gewinnt-gegen-Profi-Spieler--/meldung/114059/from/rss09

* VOLL-AUTOMATISCHES SPIELE-ERFINDEN
Der Australier Cameron Browne (bekannt vor allem durch
seine beiden Bücher über Hex und Verbindungs-Spiele
allgemein) hat im Rahmen seiner Doktorarbeit Software
entwickelt, die vollautomatisch neue Brettspiele erfindet.
Das Spiel "Yavalath" ist eines der schönsten Ergebnisse.
Die Spielregeln von Yavalath finden sich unter
http://www.boardgamegeek.com/game/33767

* AUTOMATISCHES MUSIK-KOMPONIEREN
Vom ChessBase-Chef Matthias Wüllenweber gibt es das
tolle Musik-Kompositions-Programm "Ludwig", was auf
Algorithmen basiert, die durch Spielbaumsuche inspiriert
sind. Auf
http://www.komponieren.de/ gibt es eine Demo-Version
von LUDWIG 2.0 mit umfangreichen Möglichkeiten.

****************************************
Und die Computer-Olympiade in Peking kommt ja erst
noch ... (ab dem 28. September 2008).

Ingo Althöfer

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peer

Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon peer » 13. August 2008, 10:14

Hi,
Ingo Althöfer schrieb:

> * VOLL-AUTOMATISCHES SPIELE-ERFINDEN
> Der Australier Cameron Browne (bekannt vor allem durch
> seine beiden Bücher über Hex und Verbindungs-Spiele
> allgemein) hat im Rahmen seiner Doktorarbeit Software
> entwickelt, die vollautomatisch neue Brettspiele erfindet.
> Das Spiel "Yavalath" ist eines der schönsten Ergebnisse.
> Die Spielregeln von Yavalath finden sich unter
> http://www.boardgamegeek.com/game/33767

Interessant - Kanst du uns einen vereinfachten Überblick geben nach welchen prinzipien das Programm funktioniert?

Wie siehts bei den Spielen denn beim Urheberschutz aus? ;-)

ciao
peer

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Ingo Althöfer
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Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon Ingo Althöfer » 13. August 2008, 10:29

Hallo Peer,

peer schrieb:
> ...
> > * VOLL-AUTOMATISCHES SPIELE-ERFINDEN
> > Der Australier Cameron Browne (bekannt vor allem durch
> > seine beiden Bücher über Hex und Verbindungs-Spiele
> > allgemein) hat im Rahmen seiner Doktorarbeit Software
> > entwickelt, die vollautomatisch neue Brettspiele erfindet.
> > Das Spiel "Yavalath" ist eines der schönsten Ergebnisse.
> > Die Spielregeln von Yavalath finden sich unter
> > http://www.boardgamegeek.com/game/33767
>
> Interessant - Kanst du uns einen vereinfachten Überblick
> geben nach welchen prinzipien das Programm funktioniert?

In seiner Diss hat sich Browne auf 2-Personen-Brettspiele
ohne Zufall beschränkt. Das Regelwerk eines Spiels wird
dabei als Baum strukturiert.

Das Programm von Browne besteht aus mehreren Bausteinen
und benutzt evolutionäre Strukturen:
Mutation, Rekombination, Selektion.
- Ein Modul bewertet ein "vorliegendes" Spiel.
- Ein anderes erstellt Mutanten.
- Ein weiteres rekombiniert Spiele/Bäume.
Eine Population von mehreren Dutzend/hunderten Spielen
entwickelt sich so weiter.

Am Rande gibt es schliesslich auch noch ein kleines
Modul, was neu kreierten Spielen künstliche Namen gibt.
("Yavalath" ist solch ein Kunstname.)

Die Dissertation dürfte in naher Zukunft veröffentlich
werden.


> Wie siehts bei den Spielen denn beim Urheberschutz aus? ;-)

Sehr gute Frage. Die Sache ist wohl noch ungeklärt.

Allerdings gibt es eine Hausarbeit eines Jura-Studenten,
der die gleiche Frage für Stücke des Musik-Kompositions-
Programms LUDWIG untersucht hat. Darin kommt er zu dem
Schluss, dass das Programm jedenfalls keine Urheber-Rechte
habe und dass jeder Käufer mit Musikstücken, die er mit
Hilfe des Programmes kreiert hat, frei verfahren dürfe.
So, wie es aussieht, wollen der Student und sein Prof
aus der Arbeit eine Veröffentlichung machen.

************************************************
Übrigens ist sich Cameron Browne der Gefahren bewusst,
die sich aus einer massenhaften Publikation von
Ergebnissen seines Programms ergeben. Konkret will er
sein Programm derzeit auch nicht kommerziell machen.

Ingo

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Twixtim
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Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon Twixtim » 13. August 2008, 10:59

> Übrigens ist sich Cameron Browne der Gefahren bewusst,
> die sich aus einer massenhaften Publikation von
> Ergebnissen seines Programms ergeben.

Ich wüßte nicht, welche "Gefahren" es da geben sollte. Was nicht interessant ist, wird nicht weiter beachtet und geht unter. Ideen mit Potential hingegen werden evtl. von Autoren aufgemotzt und für Verlage aufbereitet.

Für uns Spieler kann das alles nur gut sein.


Tim

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Ingo Althöfer
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Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon Ingo Althöfer » 13. August 2008, 11:08

Twixtim schrieb:
>
> > Übrigens ist sich Cameron Browne der Gefahren bewusst,
> > die sich aus einer massenhaften Publikation von
> > Ergebnissen seines Programms ergeben.
>
> Ich wüßte nicht, welche "Gefahren" es da geben sollte.
> Was nicht interessant ist, wird nicht weiter beachtet
> und geht unter. Ideen mit Potential hingegen werden
> evtl. von Autoren aufgemotzt und für Verlage aufbereitet.

Naja. Ein Problem ist, dass sich mit solcher Software
GUTE Spiele in Masse generieren lassen. Und mit "gut"
meine ich etwas, was qualitätsmässig über dem
Durchschnitt der Spielideen liegt, die bei meinem
3-Hirn-Verlag eingereicht werden.
GUT heisst aber nicht SEHR GUT, und eine Gefahr ist,
dass die guten Spiele die Welt so verstopfen, dass die
weniger häufigen sehr guten dabei verschütt gehen.

Natürlich kann man sagen, dann soll die Software halt
insoweit verbessert werden, dass sie nur noch sehr gute
Spiele ausspuckt. Das kann sie aber bisher noch nicht.

Ingo

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peer

Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon peer » 13. August 2008, 11:57

Hi,

Danke schon einmal für deine Ausführungen!

Ingo Althöfer schrieb:

>
> Naja. Ein Problem ist, dass sich mit solcher Software
> GUTE Spiele in Masse generieren lassen. Und mit "gut"
> meine ich etwas, was qualitätsmässig über dem
> Durchschnitt der Spielideen liegt, die bei meinem
> 3-Hirn-Verlag eingereicht werden.
> GUT heisst aber nicht SEHR GUT, und eine Gefahr ist,
> dass die guten Spiele die Welt so verstopfen, dass die
> weniger häufigen sehr guten dabei verschütt gehen.
>
> Natürlich kann man sagen, dann soll die Software halt
> insoweit verbessert werden, dass sie nur noch sehr gute
> Spiele ausspuckt. Das kann sie aber bisher noch nicht.

So wie ich das verstehe kann das Programm zu dem nur bislang schon verwendete Mechanismen neu kombinieren (z.B. Sieg bei 4 in einer Reihe, Niederlage bei 3 in einer Reihe). Damit kann man zwar schon theoretisch jede Menge anfangen, aber neue Mechanismen (Neue Setzmechanismen z.B.) bleiben wohl vorerst den menschlichen Autoren vorbehalten :-)
Zudem können wir ja auch das Material frei gestalten. Die gefahr auf dem Brettspielmarkt bleibt also eher klein. Allerdings könnte so ein Programm große Auswirkungen auf Platformen wie Zilions ofgames oder Superdupergames haben.

ciao
peer

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Twixtim
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Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon Twixtim » 13. August 2008, 12:35

> GUT heisst aber nicht SEHR GUT, und eine Gefahr ist,
> dass die guten Spiele die Welt so verstopfen, dass die
> weniger häufigen sehr guten dabei verschütt gehen.

Das ist aber keine Gefahr, sondern eine Chance. Außerdem entscheidet ja nicht das Programm darüber, welche neuen Spiele auf littlegolem.net oder yucata.de aufgenommen werden, sondern natürlich immer noch Menschen.

Also Entwarnung auf breiter Front. :D


Tim

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Ingo Althöfer
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Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon Ingo Althöfer » 13. August 2008, 13:46

Hallo Tim,

Twixtim schrieb:
>
> > GUT heisst aber nicht SEHR GUT, und eine Gefahr ist,
> > dass die guten Spiele die Welt so verstopfen, dass die
> > weniger häufigen sehr guten dabei verschütt gehen.
>
> Das ist aber keine Gefahr, sondern eine Chance. Außerdem
> entscheidet ja nicht das Programm darüber, welche neuen
> Spiele auf littlegolem.net oder yucata.de aufgenommen
> werden, sondern natürlich immer noch Menschen.
>
> Also Entwarnung auf breiter Front. :D

Ein Problem ist, dass ein existierendes populäres Spiel
es Spielen mit ähnlichen Regeln schwer macht, sich zu
etablieren. Das gilt auch, wenn das neue ähnliche Spiel
deutlich besser ist.

Ein ganz klassisches Bei-Spiel ist das Mühlespiel.
Die traditionelle Version mit 9 gegen 9 Steinen ist nicht
schlecht, hat aber eine Schwäche: bei richtigem Spiel
endet es unentschieden, und die Remisbreite ist riesig.

Kleine Varianten sind deutlich besser:
* Mühle mit 10 gegen 10 ist auch noch remis, die Spieler
(speziell der Anziehende) muessen aber viel mehr aufpassen,
nicht in Verluststellungen zu rutschen.
* Mühle mit 11 gegen 11 ist für den Nachziehenden
gewonnen, allerdings muss er sehr genau spielen, um den
Sieg gegen einen ordentlichen Gegner zu realisieren.
* Lasker-Mühle (1931 vorgeschlagen) erlaubt von Anfang an
die Wahl zwischen Einsetzen und Ziehen. Es ist, bei 9 vs 9
oder 10 vs 10, bei richtigem Spiel unentschieden. Die
Remisbreite hat aber diesen Namen gar nicht verdient,
es ist eher eine enge Remisrille.

Bei den klassischen Mühlemeisterschaften führt die grosse
Remisbreite zu folgendem Phänomen: Die starken Spieler
(meistens Schweizer ;-) machen gegeneinander zu fast 100
Prozent Unentschieden, und Turniersieger wird, wer gegen
die Schwächeren häufiger Fehler ausnutzt.

Trotzdem hat sich weder Lasker-Mühle noch Mühle mit 10
oder 11 Steinen irgendwie durchgesetzt.

Ingo.

PS: Das 9x9-Mühle hatte erstmals 1995 der Schweizer
Ralph Gasser perfekt durchgerechnet. 10x10-, 11x11- und
Lasker-Mühle hat Peter Stahlhacke durchgerechnet. 12x12-
Mühle ist übrigens ein leichter Sieg für den Nachziehenden.

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Ingo Althöfer
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Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon Ingo Althöfer » 13. August 2008, 13:51

Hallo Peer,


> So wie ich das verstehe kann das Programm zu dem nur
> bislang schon verwendete Mechanismen neu kombinieren
> (z.B. Sieg bei 4 in einer Reihe, Niederlage bei 3 in
> einer Reihe). Damit kann man zwar schon theoretisch
> jede Menge anfangen, aber neue Mechanismen (Neue
> Setzmechanismen z.B.) bleiben wohl vorerst
> den menschlichen Autoren vorbehalten :-)

Richtig.

> Zudem können wir ja auch das Material frei gestalten.

Richtig. In der Beziehung gibt es bisher wohl auch
keine Ambitionen zur Automatisierung.

> Die
> gefahr auf dem Brettspielmarkt bleibt also eher klein.

Da wird sich die Sachlage ändern, sobald größere Klassen
von Spielen automatisch generiert werden können.

> Allerdings könnte so ein Programm große Auswirkungen auf
> Platformen wie Zilions ofgames oder Superdupergames
> haben.

Da sehe ich gerade keine Gefahr. Speziell bei Zillions
sind bisher schon so/zu viele Spiele - ohne jede
Qualitätskontrolle - veröffentlicht worden.

Ingo

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ravn

Re: Goldenes Jahr 2008: Durchbrüche und Ernte

Beitragvon ravn » 13. August 2008, 14:46

peer schrieb:
>
> Hi,
> Ingo Althöfer schrieb:
>
> > * VOLL-AUTOMATISCHES SPIELE-ERFINDEN

> Interessant - Kanst du uns einen vereinfachten Überblick
> geben nach welchen prinzipien das Programm funktioniert?

Böse Menschen könnten jetzt anmerken, dass Reiner Knizia dieses Programm schon seit Jahren erfolgreich (!) im Einsatz hat - zumindest in Kombination der Wertungsmethoden. Nicht ohne Grund sind die Worte "das ist ein typischer Knizia" inzwischen legendär! ;-)

Cu/Ralf, der viele Knizias richtig gut findet

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Ingo Althöfer
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... Tom Werneck schon 1984 ...

Beitragvon Ingo Althöfer » 13. August 2008, 15:07

Hallo Ralf,

ravn schrieb:
> ...
> Böse Menschen könnten jetzt anmerken, dass Reiner Knizia
> dieses Programm schon seit Jahren erfolgreich (!) im
> Einsatz hat ... Nicht
> ohne Grund sind die Worte "das ist ein typischer Knizia"
> inzwischen legendär! ;-)


In der Tat dürfte er bei einem Turingtest unter
vielen menschlichen Spiele-Erfindern die grössten
Chancen haben, für eine Maschine gehalten zu werden.

Übrigens hat Reiner Knizia vor einigen Jahren in
einem Interview sehr offen gesagt, dass er wahrscheinlich
kein guter Ideengeber für frische Spiele-Autoren wäre,
weil er schon relativ lange in (s)einer Spur sei.


Vor einigen Monaten hatte ich ein aha-Erlebnis beim
Durchschauen alter spielbox-Hefte. In einer Ausgabe von
1984 (S.76/77) stand ein Artikel zu Tom Werneck, in dem es
heisst:
"... Tom Werneck zog die Konsequenz: ... Man muss die
eigene Kreativität mit Systematik und Arbeitsmethodik
untermauern. Das bedeutet Fleissarbeit...
Er begann, die Entwicklung eines Spiels professionell
aufzuziehen, mit Testbögen, präzise erarbeiteten
und getesteten Spielregeln, teilweise bereits mit
Computer-Modellen, um Vernetzungen zu prüfen und alle
Varianten durchzutesten..."

Und jetzt spekulier ich mal: Vielleicht hat sich Reiner
Knizia genau diesen Artikel aus der spielbox ausgeschnitten
und an den Spiegel geklebt. - Es könnte aber auch sein,
dass für ihn als Mathematiker systematisches Arbeiten
normal ist.

Ingo,
der an dem Tag, an dem das erste gemeinsame Spiel
von Knizia und Werneck angekündigt wird, vor Neugier
platzen wird.


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