Beitragvon Peter Gustav Bartschat » 19. September 2006, 16:15
Ingo Althöfer schrieb:
> Wenn es irgendwann so weit sein sollte, werden wir
> auch Arbeitsbedingungen haben, wie sie es
> jetzt in China sind - und nur die Superreichen
> werden sich die ganzen Wohlstandsartikel leisten
> können.
Ich sehe da nicht ganz so schwarz, lieber Ingo.
Gemeinhin ist eine unbegrenzte Trend-Fortschreibung nicht der Zugang zu einer zutreffenden Zukunfstprognose: Trends neigen eher dazu, wieder aufzuhören und sich bisweilen umzukehren.
Im 14 Jahrhundert gab es eine globale Abkühlung ("kleine Eiszeit") und die Pest brach aus. Ganze Landstriche wurden entvölkert, Mitteleuropa hungerte ... aber im 15. Jahrhundert war die Menschheit nicht ausgestorben - nicht einmal die Mitteleuropäer - sondern das Klima und die Landwirtschaft hatten sich auf einem anderen Niveau eingependelt. Die Familien, die im 13. Jahrhundert in Südengland als Weinbauern gelebt hatten, mussten allerdings in der Tat ganz andere Dinge anbauen, und hätte es damals Internet-Foren gegeben, hätten sie sich bestimmt ganz bitterlich beschwert, dass ihre Landsleute jetzt Wein aus Frankreich importierten. (Vermutlich gab es damals Schutzzölle dagegen, aber dadurch stieg die Temperatur auch nicht.)
In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Röcke immer kürzer. Das hat aber nicht dazu geführt, dass Frauen in den 80er Jahren ganz ohne Röcke herumgelaufen wären - obwohl ich mich noch erinnern kann, wie diese Vision eines Sonntages von einem engagierten Priester von der Kanzel herunter vor der schaudernden Gemeinde beschworen wurde - und in den 90er Jahren gar nicht mehr bekleidet gewesen wären. Na ja, jedenfalls nicht alle.
Wenn die Produktion in Osteuropa und Asien zur Zeit billiger ist als in Mitteleuropa und das dazu führt, dass viele Unternehmen ihre Produktion dorthin verlagern, dann heißt das noch lange nicht, dass im nächsten Jahrzehnt die meisten und im übernächsten Jahrzehnt alle das tun werden.
Ich persönlich - aber ich bin natürlich auch kein Helllseher - halte es angesichts der Tatsache, dass die Weltgeschichte gemeinhin nicht durch einen einzigen Trend, der sich bis zur allumfassenden Dominanz aufbläht, beherrscht wird, sondern eher von vielen sich gegenseitig ausbremsenen unterschiedlichen Trends, für wahrscheinlicher, dass diese Tendenz ein Ende finden wird. Natürlich weiß ich auch nicht, wann und auf welchem Niveau - aber dass von allen potenziellen Zukünften ausgerechnet die schlechteste Denkbare wahr werden müsse, scheint mir auch nicht überzeugend.
Mit einem lieben Gruß
Gustav