Beitragvon Roman Pelek » 31. August 2006, 01:42
Hi Benno,
Franz-Benno Delonge schrieb:
> das finde ich eine sehr interessante Diskussion.
Meine ersten beiden Gedanken beim Anblick dieses Monsterthreads waren: "Oh Gott, die Büchse ist wieder offen, hat jemand Pandora gesehen?" und "Jehova. Es hat wieder jemand aus Versehen 'Jehova' gesagt." ;-) Aber ja, die Diskussion ist ein Evergreen, eine Art "XY ungelöst"-Endlosschleife, bei dem man nie den Täter findet, und die deshalb immer wieder spannend, immer wieder anders ist.
> Ich glaube inzwischen, dass es weniger um die Häufigkeit des
> Spielens geht als vielmehr darum, aus welchen Gründen jemand
> spielt. Und da könnte man am ehesten zwischen
> "Spass-Spielern" und "Gewinnspielern" unterscheiden.
Durchaus ebenfalls interessante Pole, der eine schwarz, der andere weiß. Also schaumermal, wie grau die Katzen des Nächtens hier sind.
> Der "Spass-Spieler" spielt in erster Linie, weil ihm das
> Spielen sinnliches Vergnügen bereitet. Das bedeutet zunächst,
> dass er Spiele mit stimmigem und ansprechendem Thema
> bevorzugt.
Hier stolpere ich zum ersten Mal: ich schätze z. B. nebst vielerlei anderer Spielekost auch abstrakte Zweipersonenspiele ohne Glücksfaktor. Um Untenstehendem nichts vorweg zu nehmen: einer der wesentlichen Gründe dafür ist, dass ich - wenn sie spielerisch gut und gut aufgemacht sind - ihre Klarheit, ihre Einfachheit, ihre Sinnlichkeit. Als prominenter Klassiker wäre "Go" anzuführen: das ist nicht nur Strategie, sondern auch Philosophie, viel Ästhetik.
> Das bedeutet weiter, dass er Glückselemente im
> Spiel toleriert
Dann sind (hoffentlich) die meisten Mitlesenden "Spaßspieler". Wer Glückselemente in Spielen kategorisch, per se ablehnt, sollte sich m. E. fragen, ob er wirklich Spieler ist oder lediglich reiner Analytiker, der aus Versehen "auch mal Spiele" in die Finger bekommt.
> und dass er im Zweifel keine Lust hat, zehn
> Seiten Spielregel zu studieren, weil es andere Spiele gibt,
> die mit weniger Aufwand den gleichen Spass erzeugen.
Hm, meines Erachtens trifft das auch auf "Gewinnspieler" zu. Warum sollte man nicht ein Spiel vorziehen, bei dem des Verhältnis von Spielspaß zu Einstiegshürde besser ausfällt als bei einem anderen? Ich persönlich bin der Meinung, dass jedes Spiel seine Komplexität (manchmal auch Kompliziertheit) durch den dazugehörigen Spielspaß rechtfertigen muss. Wer wünscht sich denn wirklich Spielelemente, die keinen spielerischen Nährwert haben, aber das Geschehen verkomplizieren? Okay, dass man anfangs auf ein Spiel reinfällt, das nach "viel" aussieht, aber wenig hält, ja, das kann passieren. Vermutlich passiert es unter Viel-/Gewinn-Spielern sogar viel zu oft, dass der komplexe Schein über das banale Sein trügt.
> Je
> häufiger er spielt, desto eher toleriert er auch mal
> komplexere Spiele - aber dann müssen sie tatsächlich für ein
> besonderes Spielvergnügen sorgen, das den erhöhten Aufwand
> rechtfertigt (was nur selten der Fall ist).
Das wäre nun, in meinem obigen Sinne, wiederum eine Aussage, dass komplexe Spiele von der "Kosten-Nutzen"-Rechnung her allzu häufig versagen. Sicher, das war auf "Spaß-Spieler" gemünzt, aber vermutlich bin ich dann doch ein "Spaß-Spieler", weil ich mir oft denke: "Das ganze Brimborium hätte man sich bei diesem Spiel sparen können, das ist nur Tand."
> Der Spass-Spieler freut sich, wenn er
> gewinnt, aber es ist ihm egal, wenn er verliert. Er trinkt
> zum Spielen Bier oder Wein. Blind kaufen würde er jedes Spiel
> von Klaus Teuber.
So, jetzt werde ich schizophren: ich trinke zum Spielen gerne Bier und Wein. Und ich freue mich wie ein Schneekönig, wenn ich gewinne. Aber: Wenn ich verliere, fluche ich natürlich (gehirnintern über meine eigene Unfähigkeit, verbalextern über die Böswilligkeit meiner Mitspieler und mein "großes Pech"). Nach einer Minute ist das Thema für mich dann abgehakt - aber Verlieren oder Gewinnen ohne Emotionen? Never ever, baby. Nur eines ist für mich strikt tabu: Gewinnen oder verlieren persönlich zu nehmen. Das machen allerdings manche "Gelegenheitsspieler" ganz gerne (*duck*). Und nein, blind kaufe ich kein Spiel von Klaus ;-)
> Der "Gewinnspieler" spielt vor allem, um sich mit den
> Mitspielern geistig zu messen. Er sieht in einem neuen Spiel
> zunächst einmal eine neue Herausforderung; er will das Spiel
> analysieren und ggf. sogar "knacken", also so durchschauen,
> dass er immer gewinnt.
Bei Spielen, die den Aufwand lohnen, kann auch das eine Menge Spaß machen. Wie ich bei komplexeren Spielern gerne in meinen Runden sage: "Spielanalyse - liebend gerne. Aber nach dem Spiel. Nicht währenddessen, Spiele leben unter anderem von ihrem Spielfluss." :-D
> Deshalb ist ihm das Thema des Spiels
> oder die Stimmigkeit der Geschichte völlig egal. Und deshalb
> hasst er Glückselemente im Spiel, weil sie den
> Wettbewerbscharakter eines Spiels zerstören und die
> Ermittlung des Siegers zu einer Zufallssache machen.
Hm, Atti hat hier im Forum mal so schön von "Risikomangement" gesprochen. Ich denke, es gibt auch "Gewinnspieler", die gerade darin einen Reiz sehen, ihre Strategie möglichst "zufallsfest" zu machen? Ich habe die Quelle gerade nicht zur Hand, aber gibt es nicht ein paar Schachspieler, die sich (nicht nur des Geldes wegen) gerade auf "Texas Hold'em" umschulen lassen? Und auch KI-technisch ist Poker wohl das interessantere Spiel. Wenn man mal "Go" außen vor lässt.
> Der Gewinnspieler neigt dazu, im Laufe der Zeit immer
> komplexere Spiele zu bevorzugen, weil es ihm mit zunehmender
> Erfahrung Freude macht, wenn die Denksportaufgaben immer
> schwieriger werden.
Die Komplexität der verfügbaren Spiele ist aber endlich. Mehr Regeln sind ja nicht gleichbedeutend mit mehr geistigem Anspruch. Nicht selten sind es sogar vermeintlich ganz simple, einfache und für jedermann zugängliche Spiele, die man zu wirklichem Denksport machen kann.
> Er trinkt zum Spielen Tee oder
> Mineralwasser, weil er sonst nicht mehr klar denken kann.
Hatte ich das nichtmal in meiner "Dvonn"-Kritik in der spielbox persifliert? Die Einleitung von damals:
"Es soll seltsame Menschen geben. Welche, die sich paarweise gegenüber setzen, um auf ein Brett zu starren, auf dem sich weisse und schwarze Steinchen in wechselnden Konstellationen tummeln. Und dabei wird geschwiegen und Tee getrunken. Grüner Tee. Mit Jasmin. Der ist gesund. Und so verharren diese Individuen eine geraume Zeit, manchmal lange Minuten, mitunter auch schon einmal über eine Stunde. Dann, plötzlich, steht einer auf, nuschelt ausdruckslos so etwas wie „Gewonnen“, falls er überhaupt etwas äussert, und geht. In die Küche. Um Tee zu kochen. Grünen Tee. Diesmal, zur Abwechslung, mit Lotus. Und dann geht das Ganze von vorne los.
Was diese seltsamen Menschen mit dieser Kritik zu tun haben? Nun, für gewöhnlich ist das das Vorurteil, das mit man abstrakten Taktik- oder Strategiespielen und deren Spielern verbindet. "
> Blind kaufen würde er jedes Spiel von Reiner Knizia.
WC - wohl caum ;-) Aber sicher, Knizia ist enorm zuverlässig, was das Funktionieren angeht. Der Spielspaß variiert dennoch.
> In völliger Reinform entspricht wohl keiner von uns einem
> dieser beiden Extreme, aber per Saldo gehört man doch
> meistens ganz klar auf die eine oder die andere Seite. Bei
Da wäre ich mir nicht so sicher. Für mich ist da vieles grau, und ich bin schon froh, wenn ich den einen Grauton von dem anderen unterscheiden kann.
> mir ist es nicht anders. Und deshalb führen wohl manche
> Diskussionen über Spiele - gerade hier im Forum - nicht viel
> weiter, weil die Kommunikation zwischen diesen beiden
> Spielertypen manchmal nicht recht funktioniert.
Ich persönlich vertrete eher die Meinung, dass Schubladendenken nicht passt. Was natürlich ein wirkliches Problem aufwirft: ohne Schubladen, in die man Spiele einordnen kann, und ohne Schubladen, in die man Spieler wirft, fällt es manchmal schwer, Spiele und ihre Zielgruppe zu paaren. Und glaub' mir, das ist einer der Problematiken, über die ich auch als Rezensent am meisten fluche (abgesehen von der Spielbeschreibung, wenn ich grade nix Spektakuläres zur Stimmung beim Spiel an der Hand habe). Denn da ist viel Spekulation, zuviel Mutmaßung im Spiel.
Ciao,
Roman ("Well, the whole world is filled with speculation / The whole wide world which people say is round / They will tear your mind away from contemplation /
They will jump on your misfortune when you're down", Bob Dylan: "Ain't talkin'".
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass die "Modern Times" einzig und allein ob dieser achtminütigen, bitterbösen, tiefschwarzen, hochgenialen Ballade mir für jeden halbwegs begeisterten Populärmusikliebhaber besitzenswert erscheint? Da ist wirklich jede Strophe ein zielsicherer, lakonisch dahingetupfter Aphorismus über menschliche Verfehlungen.)