Beitragvon Ralf Arnemann » 13. Januar 2004, 20:41
> schade, daß Du das Spiel nicht mehr genossen hast.
Richtig. Das Thema interessiert mich sehr, ich hätte es fast blind in Essen gekauft (dann wäre allerdings der Ärger wirklich groß gewesen).
> Man muß sich, denke ich, aber schon ein wenig auf es einlassen
> und die Renaissance-Zeit "mitnehmen".
Das mache ich gerne - Hintergrund und "Flair" halte ich generell für ein wichtiges Thema, damit ein Spiel an einen rangeht.
Aber mit Flair kann man kein funktionierendes Spielsystem ersetzen.
> Wenn Du nach dem Motto spielst: "Jetzt benötige ich noch einen
> starken Künstler, um weiterzukommen", anstatt zu sagen "Ah, da
> ist Bottichelli, den muß ich protegieren", wird ein Großteil des
> Spielspaßes an Dir vorbeiziehen.
Also erstmal: Wenn ich schon einen Renaissance-Fürsten spiele, dann engagiere ich Künstler mit großen Namen genau deswegen, um weiterzukommen! Das waren doch keine ätherischen Intellektuellen, sondern kalt kalkulierende Machtmenschen, die die Künstler gezielt zur Mehrung ihres Prestiges eingesetzt haben.
Und entsprechend kaltschnäuzig haben sich diese auch verkauft.
Und dann: Wenn einem das Spielsystem vor die Wahl stellt, in Schönheit zu sterben oder mit "häßlichen" Manövern zu gewinnen - dann wurde das Thema m. E. falsch umgesetzt.
Ein Spiel wird seinem Thema dann gerecht, wenn gerade die thematisch passenden Züge auch mit Siegchancen verknüpft sind.
> "Wobei es offenbar zwischen Autor und Verlag auch Uneinigkeit
> gibt, wie denn richtig gespielt werden soll."
> Huh? Habe ich etwas übersehen?
Das habe ich nur aus indirekter Quelle und das kann gut falsch sein bzw. vielleicht habe ich da was falsch verstanden. Hätte ich besser nicht erwähnen sollen.
> Das Spiel hat in der Tat einen recht hohen Glücksfaktor, dies
> ist aber nicht unbeabsichtigt.
Das ist Geschmackssache und damit legitim. Auch Roulette hat seine Fans.
Aber dann sollte das auch transparent sein, damit es auch die richtigen Spieler findet (wenn wir das gewußt hätten, hätten wir es gar nicht zwei Stunden lang ausprobieren müssen).
Und dann kann man auch auf eine ganze Reihe buchhalterischen Kleinkram verzichten, da hat man die Illusion von Einflußmöglichkeiten, und muß dann hinterher feststellen, daß Würfeln schneller gewesen wäre - so etwas frustet.
> Das Gewinnen spielt bei Borgia eine untergeordnete Rolle.
Umpf. OK, auch ein legitimer Ansatz. Aber hier gilt noch mehr: Da hätte man gerne ein Vorwarnung.
Und vor allem: Wenn es nicht so sehr ums Gewinnen geht, dann muß deutlich mehr Aroma rein.
Diese ganzen Künstler, Städte und Hofämter unterscheiden sich doch nur durch die Namen und eben diese nur fürs nebensächliche Gewinnen nötigen Zahlenwerte. Ansonsten machen und können die nix, unterscheiden sich nicht wirklich, sind austauschbar.
Ob ich da Botticelli engagiere oder Maler Klecksel - alles eine Soße.
So mal als Beispiel: Die Tom-Wham-Spiele (Great Khan Game et al.).
Einfache Regeln, hoher Glücksfaktor, Gewinnen nicht wirklich wichtig - aber da ist jede Karte individuell und skurill, der Spielablauf ist immer anders und höchst spaßig.
> Dies kann vorkommen; vielleicht bei der ersten Stadt zuviel geboten?
Wenn keine mehr nachkommt, nicht, wenn viele nachkommen, doch.
Eine Versteigerung bedeutet doch, daß die Spieler Hirnschmalz investieren sollen, um die richtige Gebotshöhe zu finden (siehe unten die Diskussion über Versteigerungsspiele).
Wenn aber die Angemessenheit der Preise sowieso Banane ist, kann man sich das sparen. Warum dann nicht gleich die Karten schlicht austeilen? Aber dann bliebe halt nicht mehr viel Spielaktion übrig ...
> Zudem, ein Condottieri wirkt auch nur einmal.
Oh - also doch so, wie wir das gespielt haben. Siehe Aussage Marc oben: Andere Autoritäten sehen die Regel offenbar anders. Aber sei's drum ...
> Ein Spiel mit einem ausgefeilten Kampfsystem ist Borgia in der Tat nicht.
Wäre kein Problem - aber wenn es weder die Wirtschaft (Versteigerungen) noch die Kämpfe noch die Papstwahlen bringen, wo ist dann das Spiel?
> "Und der Gag ist: So richtig toll ist es gar nicht, Papst zu
> werden. Man bekommt 10 Siegpunkte (bekommt man aber jeweils auch
> für die reichlich rumfliegenden Künstler oder Städte), verliert
> dafür aber alle Ämter."
> Auch dies ist beabsichtigt.
Aber wenn es sogar beabsichtigt ist, daß die Papstwahl unattraktiv ist - wozu dann der ganze Bohei?
> Es gibt aber auch andere Stimmen; die man bei boardgamegeek
> nachlesen kann.
Schön. Denen gönne ich es auch von Herzen.
Ich habe hier nur meine persönliche Enttäuschung beschrieben, weil ich von Aufmachung und Regeln ein taktisches, historisches Spiel erwartet habe, so in der Schublade von "Age of Renaissance" oder "Fürsten von Florenz" (das ist dann schon eine recht große Schublade).
Was immer nun genau die Zielgruppe für Borgia sein soll - sie dürfte nicht unbedingt mit den Leuten identisch sein, die sich üblicherweise CoSims oder Strategiespiele zulegen.
Vielleicht sollte man es mit einem Warnhinweis versehen: "Achtung, dies könnte nicht das Spiel sein, daß sie erwarten", und dann in der Beschreibung einige von den Sachen, die Du hier erläutert hast (von wegen "Gewinnen spielt eine untergeordnete Rolle" usw.).
Dann würde es die Gefahr von Mißverständnissen weniger geben.