Beitragvon Christian Hildenbrand » 8. September 2009, 15:22
Moin Peer,
eigentlich wollte ich mich aus dem Kreuzfeuer raushalten, da es als Verlagsvertreter nciht einfach ist, hier zu schreiben, weil es zu viele gibt, die einem das Wort im Mund herumdrehen, sobald sie die Möglichkeit dazu haben.
Aber ich geh gerne auf 2 Punkte ein, die Du ansprichst.
> Aber ich denke schon, dass im vorliegenden Fall Skepsis
> angebracht ist, denn das Spiel sieh nun nicht gerade so
> aus, als würde es etwas taugen (siehst du das anders?).
Ich kann Dir nicht sagen, ob es "was taugt", da ich es nicht gespielt habe. Aber ich stelle mal eine ketzerische Frage: Wann taugt ein Spiel was?
Taugt "Mensch Ärgere Dich nicht"? Taugt "Monopoly"? Oder taugt nur ein "Caylus", ein "Puerto Rico" oder ein "Kohle"?
Der gute Mann hat ein Spiel kreiert und sich dabei von 2 der erfolgreichsten inspirieren lassen - vermutlich, weil er nicht viele andere kennt. Aber was solls, das ist auch nicht wichtig, um ein neues Spiel zu schaffen, das der Mädn/Monopoly-Fraktion eine Menge Spaß machen kann. Wenn das Material wie im vorliegenden Fall noch besonders gut ist, dann "taugt" das Spiel doch, wenn auch nicht für die, die sich hier im Forum tummeln. Es muss auch nicht immer eine Grafik von Menzel, Vohwinkel oder Baga sein, nein, manchmal reicht auch ein einfacher Grafiker aus dem Heimatort. Trotzdem "taugt" das Spiel womöglich doch.
Es wurde - jetzt nicht von Dir, aber von anderer Stelle - angesprochen, dass es dem Spiel mit Sicherheit an ausreichenden Tests und einer Menge Entwicklungszeit fehlt. Hm ... es mag sein, dass er nicht wie manch ein anderer Autor Testrunden um sich herum aufgebaut hat, es hunderte Male hat spielen lassen. Aber das ist auch nicht notwendig bei einer Spiel dieser Art. Und ich verrate jetzt einfach mal, dass es bei uns Spiele im Programm gibt, die auch nicht öfter als 10 Mal auf dem Tisch waren vor der Veröffentlichung. Und die "taugen" auch, weil sie einfach nicht mehr Tests brauchten, um eine "Balance" zu haben. Es ist vollkommen richtig, dass ein "Agricola", ein "Säulen der Erde" und andere Spiele dieser Art eine Menge Tests brauchen. Aber da sprechen wir auch von vollkommen anderen Spielen.
Manchmal "taugt" ein Spiel auch, wenn es nur ein halbes Jahr Entwicklungszeit hatte ... zumindest hat es 2006 zum Deutschen Spielepreis gereicht. Und ich denke, die meisten hier haben es seinerzeit mit gewählt.
> Aber der Punkt ist doch was ganz anderes:
> Es handelt sich um einen Autoteilehersteller, der sich
> entschlossen hat, Spiele zu machen. Warum Spiele? Warum
> nicht Wasserhähne, Tresore oder Kühlschränke? Wenn ich
> versuche etwas zu verkaufen, muss ich davon zumindest eine
> rudimentäre Ahnung haben - ich würde keine Autos verkaufen,
> denn davon habe ich wenig Ahnung. Vom Selber erfinden ganz
> zu schweigen...
Und hier in diesem Punkt sehe ich das, was mich am meisten gestört hat bis dato in diesem Thread. Wieso "darf" er denn keine Spiele machen? Gibt es eine Regelung, die sagt, wer sich mit einem Thema beschäftigen darf und wer nicht? Wer sagt, dass er nicht einmal im Monat mit seiner Familie leidenschaftlich spielt und vielleicht deswegen auf die Idee kam, das Projekt anzugehen? So ganz aus der Luft gegriffen wird der Startschuss zu dem Projekt sicherlich nicht gewesen sein.
Spiele mit technischen Geräten zu vergleichen ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt. Aber es gibt ja auch genug Menschen, die ohne eine Schreinerausbildung anfangen, einen Tisch zu bauen. Es soll auch möglich sein, ein Buch zu schreiben, ohne Germanistik studiert zu haben.
Und wenn ich mich mal ein bisschen in der Spieleszene umschaue, dann finde ich da eine Menge Beispiele, wo augenscheinlich branchenfremde plötzlich mit Spielen zu tun haben. So hat ein Physiker in Freiburg den Zoch-Verlag ins Leben gerufen, ein Zahntechniker aus Darmstadt angefangen, an Spielchen zu basteln, ein Münchner Richter mitten in einer Verhandlung die Idee für ein Spiel gehabt, das es beim Branchenprimus zur Veröffentlichung gebracht hat. Hat denen jemand untersagt - oder würde es heute tun - sich mit einem Metier zu beschäftigen, das nicht ihrer Ausbildung oder ihres ausgeübten Berufs entspricht?
Wieso also nicht auch ein Maschinenbauer, der eine Idee zu einem Spiel umsetzt? Wieso soll er nicht die Fähigkeit haben, sich mit dem Thema zu beschäftigen?
Ich sehe in Göttingen jedes Jahr genug Autoren herumsitzen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie nie groß andere Spiele gesehen haben. Trotzdem haben sie etwas erfunden, das hier und da auch den Weg in ein Verlagsprogramm geschafft hat oder zumindest die Aufmerksamkeit der "Profis" erlangte. Und es erstaunt mich auch immer wieder, dass "populäre" Spieletitel bei diesen Autoren einfach nicht präsent sind
, wenn ich sie als Vergleich in den Raum werfe. Sind sie deswegen schlechte oder keine Spieleautoren? Dürfen sie sich deswegen nicht damit beschäftigen, selbst Spiele zu erfinden, wenn sie von daheim vielleicht nur Mädn, Monopoly, Kniffel und Memory kennen?
> Spiele aber scheint jeder produzieren und verkaufen zu
> können, zumal mit großen Gewinnspannen. Diese Sichtweise
> ist schlichtweg falsch und das darf man auch einmal
> feststellen, denke ich.
Ist es das wirklich? Wenn dem so wäre, würde es viele Verlage und viele Spiele heute nicht geben.
Grüße
Christian (schreibt hier seine private Meinung, muss also nicht auf seinen Verlag angesprochen werden)