Ich habe da diesen Freund, nennen wir einfach Jörg. Jörg wiegt knapp unter 80kg bei einer Körpergröße von über 1.90m und ist ein recht guter Sportler. Von allen Sportarten liebt er das Laufen am allermeisten. Er läuft jedes Jahr den Hermannslauf (32km bei 1200 Höhenmetern) und regelmäßig Marathon, zuletzt den Berlin-Marathon. Um gute Ergebnisse zu erzielen , trainiert Jörg regelmäßig. Sein normales Standardpensum liegt bei 3-4 Abenden mit 35-45km pro Woche, in intensiven Vorbereitungsphasen auch mehr. Wenn Jörg rausgeht, dann nur selten für Kurzstrecken (was alles unter 10km ist); denn das lohnt sich irgendwie nicht. Wie gut seine dabei Zeiten sind, kann ich ehrlich gesagt nicht beurteilen, es sind aber auf der 10km-Strecke sicher unter 45 Minuten. Jörg kennt sich natürlich bestens mit seinem Sport aus, er kann mir alles über Herzfrequenzen, anaerobe Schwellen, Pronation und die neuesten Polar-Modelle erzählen. Die Jungs mit denen er unterwegs ist, agieren in einer ähnlichen Liga und natürlich laufen sie zusammen und fachsimpeln regelmäßig über ihre Trainingsprogramme.
Manchmal wenn wir uns sehen lädt er mich ein, einfach "mal so" locker mitzulaufen. Ich lass mich dann ab und zu breitschlagen und trotte mit ihm mit aber irgendwie haben wir unterschiedliche Vorstellungen von dem was "locker" ist. Ich versuche wacker irgendwie Schritt zu halten aber Luft zum Reden bleibt mir dabei kaum. Jörg scheint derweil aber eher unterfordert zu sein und legt dann wenn ich schon mit glasigem Blick japsend am Baum stehe noch schnell 2-3 Extrarunden nach. Wenn wir dann anschließend im Biergarten sitzen und irgendwas Isotonisches trinken, dann erzählt er mir mit leuchtenden Augen was für ein toller Sport das doch sei, so einfach und in der Natur und jeder, wirklich jeder, könne da mitmachen. Nur für Nordic Walker, Wanderer und Spazierengeher und solche Leute, da hat er nicht so viel über. Das sei irgendwie halbgar sagt er. Aber ansonsten weiss Jörg: Laufen ist einfach: Schuhe anziehen, rausgehen, loslaufen. Man müsse ja auch nicht rasen, 1 Stunde für 10 km wär doch vollkommen ausreichend. Leichter geht's nun wirklich nicht.
Manchmal wirft er auch einen Blick auf meinen Hüftgürtel und meint, ich solle doch mal ein bisschen an meinem Kampfgewicht arbeiten, so schwer sei das doch nicht und überhaupt sei ich doch kein unsportlicher Typ. Naja ... aber die Bierchen, sage ich dann, die schmecken doch so lecker und - naja - gäbe es doch noch was anderes im Leben als Laufen. Er nickt dann kurz, wirkt aber irgendwie nicht überzeugt. Manchmal kann er sich auch aufregen, z.B. über die viel zu seltene und oberflächliche Berichterstattung die sein Sport in den Medien erfahren würde. Oder über Sportlehrer, die 2km-Läufe als Ausdauertraining verkaufen würden. Das sei doch lächerlich.
Letztens war Jörg mal wieder bei uns zu Hause und irgendwie kamen wir dann auf den Trichter, was zusammen zu spielen. Ich hab dann irgendwas auf den Tisch gelegt (ich glaube es war Alhambra) und angefangen, die Regel zu erklären. Aber irgendwie hat Jörg nach ein paar Minuten so einen glasigen Blick bekommen was ich nicht ganz verstehen konnte denn, hey, so schwer ist Alhambra nun wirklich nicht. Das Spiel selbst lief ein bisschen schleppend und danach haben wir's dann drangegeben und für den Rest des Abends noch ein bisschen geplaudert. Ob er noch mal bei uns mitspielen wird weiss ich ehrlich gesagt nicht. Komisch, dabei ist er doch gar kein dummer Mensch.
Jörg diskutiert seine Trainingspläne übrigens auch online in seiner Lieblingscommunity. Da gibt's so Foren in denen jede Menge Läufer am Start sind. Wenn man da ein so mitliest erscheinen einen manche Beträge manchmal ein wenig weltfremd. Aber, naja, vielleicht liegt das einfach in der Natur der Dinge wenn Menschen etwas wirklich mit Leidenschaft tun. Oder?