Der einsame WasserläuferUnd natürlich gibt es, wie es sich für jedes aktuelle Euro-Game gehört eine Solo-Variante. Eigentlich mag ich keine Solo-Spiele. Grund ist, dass ich lieber gegen eine oder mehrere reale Personen antrete. Zum einen ärgert die sich mehr, wenn ich ihr dazwischenfunke. Und zum anderen kann man auch noch anders sozial interagieren, z.B. miteinander reden, was ja auf dem einen oder anderen Spieleabend vorkommen mag. Dennoch hatten mir die ersten Partien von „Barrage“ so gut gefallen, dass ich den Solo-Modus ausprobieren wollte.
Die Automa-Regel liegt dem Spiel leider nicht bei, sondern existiert nur als 16-seitiger Download auf der
Cranio-Creations-Webseite. Das ist das erste Problem, denn wenn man die Anleitung nicht ausdrucken will, braucht man immer ein digitales Gerät bei der Hand, auf dem man die Regeln und Schritte nachlesen kann. Bei mir war es das Smartphone mit einem nicht so wahnsinnig großem Bildschirm. Ständiges Hin- und herscrollen, Reinzoomen, Rauszommen, Weiterscrollen ist darauf umständlich und machte mir wenig Spaß – war aber leider notwendig.
Für den Automa gibt es spezielle Plättchen, die mehrere Aktionen vorgeben, die der Automat nacheinander prüft und bei entsprechender Voraussetzung ausführt und dann den Zug meist beendet. Einige der Aktionen sind dabei sehr leicht verständlich, wie zum Beispiel „Drehe das Aktionsrad vorwärts“, „Werfe zwei Aufträge“ ab etc. Hierfür wird auf der entsprechenden Leiste auf dem Aktionstableau auch ein Platz mit einem Automa-Arbeiter belegt, sodass man sich als Solo-Spieler schon gut eingeschränkt fühlt.

- Die Automa-Variante war mir zu aufwändig.
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Komplizierter wird es, wenn es ans Bauen geht. Auf der Rückseite der Automaplättchen stehen die Entscheidungskriterien zum Bauen. Deren Symbolik ist aber alles andere als eingängig, sodass ich diese grundsätzlich bei jedem Bau in der Anleitung nachschlagen musste. Aber selbst dann war es für mich nicht immer verständlich, wo ich jetzt genau den Damm oder das Kraftwerk hinbauen soll. Das ist vermutlich das Problem mit Automaten: Wenn er einfach verständlich sein soll, spielt er nicht so gut wie ein echter Spieler. Und wenn er gut spielen soll, ist er so kompliziert, dass nicht jeder die Regeln versteht.
Vom Prinzip her funktioniert es natürlich, erfordert aber Ausdauer beim Solo-Spieler, vor allem beim Nachschlagen. Gegebenenfalls wird das bei häufigem Spielen aber besser. Mich hat es jedenfalls sehr viel Zeit gekostet, den Automa zu steuern. Das Gute daran war, dass ich die Downtime nicht merkte.

Das Schlechte war, dass ich in meinem Zug komplett neu überlegen muss, was ich eigentlich tun wollte.
Das ständig Regelblättern und Umdenken, wenn ich wieder am Zug war, sorgte auch dafür, dass ich das Solo-Spiel abbrach. Insofern ist die Aussagekraft der einen angefangenen Partie nicht so stark. Begeistern konnte mich das Spiele solo aber nicht.
Neues Wasser auf alte MühlenWie erwähnt gibt es zum Rundenende, wenn alle Spieler gepasst haben, noch eine Rundenwertung, die belohnt, wer besonders viele Dämme, Dammerhöhungen, Pumpen oder Kraftwerke gebaut hat. Und auch ein bestimmtes Spielziel verschafft einem ganz zum Schluss noch einmal Siegpunkte, auf die man natürlich hinarbeiten kann. Das und auch die Auftragswahl und -erfüllung erinnern erneut stark an „Auf den Spuren von Marco Polo“ oder an das extrem guten
„Clans of Caledonia“. Und genauso wie in diesen beiden Spielen gibt es unterschiedliche Firmen mit anderen Eigenschaften. Um das zu toppen gibt es daneben noch einmal unterschiedliche CEOs, die zufällig mit den Firmen kombiniert werden. Eine gute Gewinnchance hat man nur, wenn man die Fähigkeiten von Firma und CEO geschickt ausnutzt. Schade ist, dass es einige Firma-CEO-Kombinationen gibt, die einen sehr guten Synergie-Effekt bieten. Und andere, die dagegen abfallen und sich so gut wie gar nicht ergänzen.

- Mit der produzierten Energie erfüllt man Aufträge, die man sich zuvor aber sichern muss.
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Technisch neu an „Barrage“ ist vor allem das Aktionsrad. Thematisch mit den Nicht-Verlust von Betonmischern und Baggern sehr gut umgesetzt, muss man bei den Bauaktionsplättchen etwas mehr nach einem Sinn suchen. Warum kann ich nur einmal in einer gewissen Zeit einen Damm oder ein Kraftwerk bauen? (Selbst ausgedachte) Antwort: Weil für das Bauen eines Damms natürlich auch Fachpersonal, Bauleiter etc. benötigt werden, die es nun einmal nicht wie Steine im Gebirge gibt. Und so ist das Personal eine Weile beschäftigt und kann keinen zweiten Damm hochziehen … Außer man verschafft sich über eine Aktion neues Personal in Form neuer Bauaktionsplättchen. Diese haben neben der Bauaktion noch eine Sonderfunktion und erlauben beispielsweise die Kosten zu reduzieren oder eine ganze Stromproduktion anzuwerfen. Man kann das Spiel zwar auch ohne diese Sonderbauaktionsplättchen als Einsteigerspiel spielen, aber ich empfehle spätestens ab der zweiten Partie die neuen Plättchen dazu zu nehmen, da sie eine völlig neue Planung ermöglichen und so viel mehr gebaut werden kann.

- Im Grundspiel stehen sieben CEOs zur Auswahl.
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„Barrage“ ist somit eine Mischung aus einigen bekannten und neuen Spielmechaniken, was den Reiz für mich ausmacht. Der Einstieg fällt leicht, aber am Ende jeder Partie dachte ich mir, dass ich immer noch nicht optimal gespielt habe. Und ich finde, das macht ein gutes Spiel aus. Denn ich will es gleich nochmal einmal spielen. Nein, besser im erweiterten Konjunktiv: Ich wöllte das Spiel gleich noch einmal spielen, wenn mir der Kopf nicht so rauchen würde. Es ist eben sehr denklastig, Wasser von A nach B zu bewegen. Das wirkt sich auch auf die Spielzeit aus. 40 Minuten pro Spieler plus noch einmal 40 Minuten Verwaltungsaufwand inklusive Auf- und Abbau sollte man schon einrechnen. Glücklicherweise ist die gefühlte Downtime nicht identisch zur realen. So trommelte ich in keinem Spiel ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, weil ich endlich drankommen wollte. Ganz im Gegenteil kann man meist gut vorausplanen, sodass die einzelnen Züge aller Spieler sehr schnell gehen und wirklich keine große Wartezeit entsteht. Die Interaktion ist dabei auch noch recht hoch, schließlich geht es in dem Spiel darum, sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Eine gesunde Frusttoleranz sollten die Spieler natürlich mitbringen, denn es kann leicht passieren, dass ein Spieler (absichtlich oder unabsichtlich) ins Seitenaus befördert wird und kein Wasser mehr erhält. Dann steht natürlich die ganze Produktion still und der letzte Platz winkt einem fröhlich entgegen. Dafür spielt sich „Barrage“ in allen Besetzungen sehr gut. Zu zweit kann man sich auf dem Spielplan etwas besser aus dem Weg gehen, aber durch die geringe Aktionsauswahl kommt man sich dennoch oft genug ins Gehege.

- Das Ende einer Vierer-Partie.
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FazitWer Euro-Spiele mag, dem kann ich „Barrage“ nur empfehlen. Aber Achtung: Es rangiert bei der Komplexität in meinen Augen weit über „Kennerspiel des Jahres“-Niveau. Das ist sicherlich nicht für jeden etwas. Das Spiel verzeiht daher auch wenig Fehler. Wer in der ersten Runde keinen Strom produzieren kann, hat zwar nicht automatisch verloren, aber er wird definitiv einen schwereren Stand in den Folgerunden haben. Vor allem Neulinge haben gegen etwas erfahrenere Spieler (und da reichen auch schon zwei Partien Vorsprung) wenig Chancen. Was „Barrage“ aber gut kann: Es bringt einen bei, aus seinen Fehlern zu lernen. Denn am Ende wusste ich meistens, weswegen ich gegen den Gewinner unterlag und was ich beim nächsten Mal besser machen würde.
„Barrage“ wird auf der
SPIEL '19 in Essen Ende Oktober als Retail-Version zu kaufen sein. Der Preis von 75 Euro ist zwar nicht sehr niedrig, Thema, Spielgefühl und das (verbesserte) Spielmaterial rechtfertigen den Preis aber.
Und fertig! Aufgeteilt auf drei Beiträge, weil die Foren-Software maximal fünf Bilder pro Beitrag zulässt. Macht das Rezensieren etwas umständlich …