Beitragvon Günter Cornett » 2. Januar 2007, 09:49
Andreas Last schrieb:
> Das Spiel ist wohl bisher in den höchsten Tönen gelobt
> worden. Im Thread kommen aber andere Aussagen. Nämlich, dass
> es unausgewogen sei. Der Inspektor habe eine größere Chance,
> das Spiel zu gewinnen, als Jack. Es wurden Werte von "60:40,
> mindestens aber 55:45" (sinngemäße Aussage aus dem Thread)
> genannt. Einer der Diskussionsteilnehmer stört sich nicht an
> solchen Unausgeglichenheiten, da seiner Meinung nach eine
> absolute Chancengleichheit bei einem asymmetrischen Spiel
> sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich zu erreichen sei. Es
> mache ihm auch nichts aus, da es kein "ernstes" Spiel wie
> Schach sei, sondern etwas für Zwischendurch.
Ich tendiere auch dazu, dass eine 60:40-Wahrscheinlichkeit des Sieges einer Partei bei einem assymetrischen Spiel kein ernster Mangel ist, wenn überhaupt ein Mangel. Wie sieht es denn bei symmetrischen Spielen aus?
Oft gibt es dort auch einen Startspielervorteil. Gerade das 'ernste Spiel' Schach hat einen deutlichen Vorteil für Weiß (imho durchaus bei etwa 60:40). Und aufgrund der Spiellänge ist das Spielen mehrerer Partien - anders als bei Skat - beim Schach keine so sinnvolle Alternative, um diesen Vorteil auszugleichen, will man nicht gleich aufwändige Turniere spielen oder sich auf Blitzschach beschränken.
Bei vielen symmetrischen Spielen kann man eine offensichtliche Ungerechtigkeit durch einfache Startspielerregeln ausgleichen:
- Teilzug (z.B. Aktionspunkte, in der ersten Runde 1 für den Startspieler, 2 für den nächsten, etc.)
- Kuchenregel (im Spiel zu zweit)
- vorgegebene Startaufstellung
- man spielt x Partien mit unterschiedlichem Startspieler (bei längeren Partien ungünstig)
- ...
Bei assymetrischen Spielen besteht zunächst einmal die Schwierigkeit eine Ungerechtigkeit überhaupt festzustellen. Entweder braucht es eine große Anzahl von Partien oder eine Beweisführung, die auf der Beurteilung der Spielmechanik beruht. Ich kenne das Spiel Mr. Jack leider nicht und kann nicht sagen, ob der gefühlte Vorteil für den Inspektor sich wirklich einwandfrei aus dem Spiel herleiten lässt. Vielleicht sind bestimmte Züge einfach nicht so offensichtlich.
Die Eröffnungsbibliothek beim Schach ist ja auch dadurch entstanden, dass bestimmte Züge, die einer Farbe einen Vorteil zu bringen schienen, durch später entwickelte Antwortzüge widerlegt wurden. Von daher braucht es schon eine konkrete Begründung für die Behauptung, eine Partei sei im Vorteil. Und dieser Begründung kann dann u.U. Ansatzpunkt für eine Alternativregel sein.
Beim Schach könnte eine solche Startspieleregel z.B. so aussehen:
- der erste Bauernzug von weiß, muss mit einem der vier äußeren Bauern gemacht werden
- man zieht grundsätzlich mit zwei Figuren, im ersten Zug zieht weiß nur eine Figur
- nach dem ersten Zug von weiß entscheidet der Gegenspieler mit welcher Farbe er spielen will
Alles nicht sehr elegant. Ich denke, das ist auch der Grund, weshalb man lieber eine Ungerechtigkeit in Kauf nimmt.
Bei Spielen mit einer offensichtlichen Ungerechtigkeit wie Schach ist es eben das sinnvollste, mindestens zwei Partien zu spielen und dabei die Farben zu wechseln.
Stört es nun das Spiel, wenn bei gleich guten Spielern immer Weiß gewinnt?
Ich meine, solange Schwarz eine realistische Chance hat, Remis zu spielen oder zu gewinnen, beeinträchtigt das den Spielspaß nicht.
Das gleiche gilt für assymetrische Spiele. Kann man den Vorteil für eine Rolle in Zahlen ausdrücken, so kann man das Ergebnis daran bewerten.
Spielt man eine Serie und ist der Meinung eine Partei hat eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 60:40, so kann man das über eine Punktevergabe ausgleichen:
Der Inspektor gewinnt: 5 Punkte für den Inspektor, 1 Punkt für Mr. Jack
Mr. Jack gewinnt: 0 Punkte für den Inspektor, 6 Punkte für Mr. Jack.
Wer hinten liegt, darf sich die Rolle aussuchen.
Der Wettkampf
- endet nach einer vorher vereinbarten Anzahl von Partien
- endet wenn ein Spieler 7 Punkte im Rückstand ist
- wird als ewige Liste geführt
Wenn nach 10 Spielen der Inspektor 6 mal gewinnt und 4 mal verliert (= stat. Erwartung), sieht die Punkteverteilung für die beiden Rollen so aus:
Inspektor: 6x5 + 4x0 = 30 Punkte
Mr. Jack: 6x1 + 4x6 = 30 Punkte
Bei 55:45 sähe die Rechnung so aus:
Der Inspektor gewinnt: 10 Punkte für den Inspektor, 1 Punkt für Mr. Jack
Mr. Jack gewinnt: 0 Punkte für den Inspektor, 11 Punkte für Mr. Jack.
Wenn von 20 Partien der Inspektor 11 mal gewinnt und 9 mal verliert (= stat. Erwartung), sieht die Punkteverteilung für die beiden Rollen so aus:
Inspektor: 11x10 + 9x0 = 110 Punkte
Mr. Jack: 11x1 + 9x11 = 110 Punkte
(Gesamtpunktzahl für ein Spiel = höhere Prozentzahl = 60 bzw. 55
Punktzahl für Mr. Jack bei verlorener Partie = halbe Differenz beider Prozentzahlen = 10 bzw. 5
Das Ganze sinnvoll gekürzt: geteilt durch 10 bzw. durch 5)
Will man aber nur eine einzelne Partie spielen, so spielt man einfah die Rolle, die einem mehr liegt und wertet das Ergebnis dann eher gefühlsmäßig: Mit Mr. Jack zu gewinnen bringt größere Ehre. ;-)
Gruß, Günter
> Für die, die sich nicht durch den Thread wuseln wollen: Ich
> sehe so etwas als absolute Schwäche eines Spiels, die den
> Spielspaß zerstört. Meiner Meinung nach sollte ein Spiel
> jedem Spieler die gleichen Chancen einräumen. Wenn ein Spiel
Das ist nicht wirklich möglich.
Hängt der Spielerfolg ausschließlich vom Können ab (=absolut gleiche Chancen) wird wohl immer der bessere Spieler gewinnen. Das ist nur dann fair, wenn beide Spieler exakt gleiche Fähigkeiten haben. Aber wer gewinnt dann?
Hängt der Spielerfolg vom Zufall ab, dann sind die Chancen nur bei Spielbeginn gleich, solange die tatsächliche Ungerechtigkeit (z.B. Würfelglück) unbekannt ist.
Aber auch beim Skat macht das Spiel noch Spaß, wenn nach der Kartenvergabe klar ist, wer gewinnt. Beim Go sind ungleiche Ausgangsbedingungen erwünscht, um unterschiedliche Spielstärken auszugleichen. Go ist unter dem Gesichtspunkt Chancengleichheit das ideale Spiel, weil es sich den Spielstärken der Spieler anpassen kann.
> das nicht tut, hat der Autor schlechte Arbeit geleistet. Er
> sollte sich in die Ecke stellen und sich schämen ;-) Nein, im
> Ernst. Für mich hat ein solches Spiel auf dem Markt keine
> Existenzberechtigung. Offenbar wurde es nicht ausreichend
> getestet, um dieses Problem erkennen und daraufhin ausmerzen zu können.
Keine Existenzberechtigung halte ich auf jeden Fall für übertrieben. Grundsätzlich sollte man schon darauf achten, dass beide Parteien ungefähr gleiche Chancen haben. Ein Ungleichgewicht sollte man als Autor erkennen und soweit möglich gegensteuern. 60 zu 40 erscheint mir persönlich - insbesondere bei einem assymetrischen Spiel - als noch akzeptabel. Ist mir als Autor ein Ungleichgewicht in dieser Größe bekannt, würde ich es vermutlich in der Spielanleitung erwähnen: "Das Spiel hat vermutlich leichte Vorteile für den Inspektor; als Mr. Jack sollte man vor allem auf folgendes achten: ..." Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ein 60 zu 40-Vorteil wirklich so offensichtlich ist, dass man den so einfach erkennen kann.
Gruß, Günter