Beitragvon Micha A. » 24. April 2007, 11:52
Hallo zusammen,
nachdem ich ja vor einiger Zeit hier http://www.spielbox-online.de/phorum4/read.php4?f=3&i=6643&t=6643&
schon Tipps eingeholt hatte, wie man denn eine Veranstaltung "wir erfinden ein Spiel" für Neulinge aufziehen könnte, möchte ich nun wie versprochen berichten, wie's gestern gelaufen ist:
Zunächst habe ich einen kurzen Vortrag gehalten, der folgende Themen abdeckte:
-Begrüßung / Vorstellung meinerseits
-Allgemeines zum Thema Spielen, insbesonder zum Spielen in Deutschland
-Übersicht über gängige Spieletypen / -kategorien
-Übersicht über die Entstehung eines Spieles (Idee (Uhrmacher vs. Geschichtenerzähler) - Prototyp - Testphase - Einreichen bei Verlag - Ablehnungsgründe - Testphase/red. Bearbeitung (flüssiger Ablauf, Balance, Spielmaterial,…) - Spielregel - Produktion - Vermarktung - Erfolgsfaktoren/Gradmesser für den Erfolg eines Spieles)
Beispielhaft illustriert habe ich den Vortrag anhand eines konkreten Spieles, von dem ich den Prototyp, Bewertungsbögen der Tester, verschiedene Regelentwürfe, das fertige Produkt etc. dabei hatte. Der Vortrag dauerte ca. 45 Minuten, und obwohl ich ausdrücklich ermuntert hatte, während des Vortrages zu fragen, kam keine einzige Frage.
Die hatten sich alle scheinbar bis zum Ende aufgespart, denn dann ging es los - jede Menge Fragen und echt gute Diskussionen: Zur Kompliziertheit von Regeln und welche Möglichkeiten es gibt da Abhilfe zu schaffen, warum es so viele Erweiterungen zu bekannten Spielen gibt, warum viele Spielwarenhändler so inkompetent in Sachen Gesellschaftsspiele sind bzw. welche Möglichkeiten es gibt, sich vor dem Kauf fundiert über ein Spiel zu informieren. Und, und, und…
Nach ca. 90 Minuten haben die Anwesenden* dann versucht, das Gehörte selbst mal in die Praxis umzusetzen.
Da die hierfür zur Verfügung stehende Zeit mit ca. 90 Minuten recht knapp war habe ich mich mit den Organisatoren auf folgende Eckpunkte geeinigt:
-Da man Ideen nicht erzwingen kann und um den Teilnehmern etwas "Anschubhilfe" zu geben haben wir Gustavs Vorschlag aufgegriffen und ein bereits bekanntes Spiel zu variieren versucht.
-Die Aufgabe lautete: Machen Sie "Mühle" für bis zu 4 Personen spielbar. Zur Verfügung stand dazu jede Menge Material in Form von Karton, Stiften, Klebstoff, Würfel, Blankokarten, Pöppel, Klötzchen, Spielgeld,…
-Zur Verfügung stand außerdem mein Tipp, das Ganze nur als Denkanstoß zu verwenden und sich gerne auch von scheinbar Fixem zu lösen, falls notwendig (Spielbrettdesign, Zahl der Pöppel pro Spieler,…).
-Zur Verfügung stand außerdem ich, um mit Rat und Tat zur Seite zu stehen aber…
…das war überhaupt nicht notwendig. Ich war absolut verblüfft, mit welchem Ideenfeuerwerk und welchem Feuereifer die Teilnehmer (aufgeteilt in 3 Gruppen à 5 Personen) an die Sache herangingen:
Eine Gruppe fing sofort an, einfach mal ein größeres Spielbrett zu zeichnen, sofort Figuren darauf zu stellen und spielte einfach mal irgendwie los, wobei während des laufenden Spiels permanent die Regeln optimiert wurden, solange bis sie am Ende "passten". Ergebnis war ein Spiel namens "Diamant", das gewann, wer zuerst 5 Mühlen aufbauen konnte und bei dem gefühlt etwa die Hälfte der Zeit dafür drauf ging zu verhindern, dass der Startspieler einen Nachteil hat und wie ein auf dem Plan vorhandenes zentrales Feld am Besten einzubinden sei.
Eine Zweite Gruppe nahm sich das Material, das ihr am interessantesten erschien und versuchte dies als Basis zu nehmen mit dem Ansatz, dass Spielsteine zunächst zu erwerben seien, dann erst ins Spiel gebracht würden. Geendet hat dies in einem namenlosen Kinderspiel.
Eine dritte Gruppe stieß in die dritte Dimension vor, beschloß daraufhin, das Spiel "Klimagipfel" zu nennen und es kooperativ zu machen, bastelte dann meinem Eindruck nach längere Zeit etwas planlos an der Sache herum, verpasste dem ganzen dann 5 Minuten vor Ablauf der Zeit noch einen Mühle-ähnlichen Plan mit Landkarte und präsentierte dann schliesslich doch eine interessante Idee.
Etwas zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass die meisten der Ideen, die ich so mitbekam und die ich echt toll und überraschend vielfältig fand, leider nicht verwirklicht wurden. In der Not griffen alle Gruppen irgendwann zu einem Element, welches mir persönlich eher unsympathisch ist: Aktionskarten.
Aber sei's drum: Der allgemeine Tenor war, dass das Ganze riesig Spaß gemacht hat. Bei der Präsentation der Ergebnisse (jede Gruppe stellte ihr Spiel ganz kurz vor) zeigten sich alle überrascht, wie unterschiedlich die Ergebnisse (trotz gemeinsamer Startbasis) doch ausgefallen waren, und waren auch erstaunt, wie sich der eigene Entwurf innerhalb einer recht kurzen Zeit doch gewandelt hat.
Mein Fazit:
Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Dazu habt Ihr mit Euren Tipps hier einen guten Teil beigetragen, weshalb ich mich nochmals dafür bedanken möchte!
Extrem überrascht war ich über das kreative Potential, und die tollen Ideen, die die Teilnehmer hatten, auch wenn viele davon zu meinem Leidwesen wie beschrieben etwas versandeten.
Sehr interessant fand ich auch die Diskussion nach dem Vortrag, insbesondere zum Thema Spielregeln (bei der ich auch mal die "Gegenseite" darstellen konnte) und bzgl. des Bedürfnisses nach besserer Information beim Spielekauf. Ich hatte den Eindruck, dass viele gerne mal "was anderes" spielen würden, aber aus Angst vor einem Fehlkauf (dies kann auch bedeuten: Kauf eines Spieles, dessen Regeln man nicht versteht) dann lieber doch zu Bewährtem greifen. Interessant in diesem Zusammenhang auch folgende Anekdote:
Am Freitag folgt der zweite Teil der Veranstaltung, die ein reiner Spieleabend sein wird. Dort sollen in erster Linie kommunikative Spiele gespielt werden. Um nicht der einzige Erklärbär zu sein, habe ich mit den Organisatorinnen bereits einen Vorab-Spieleabend gestaltet, so dass ich für einige Spiele weitere Erklärer bereit habe. An diesem Abend haben wir u.a. Wörtersee (Kosmos), Sapperlot (Spielteufel) und Express (Adlung) gespielt. Allgemeine Aussage war: "Hätte ich eher gewusst, dass es sooo tolle Buchstabenspiele gibt, dann hätte ich niemals so oft Scrabble gespielt. Wie viel bringt ein Scrabble auf Ebay?"
So, das war's.
Micha
* gekommen waren 15 Personen. Zum Leidwesen der Organisatoren war der Termin wohl unglücklicherweise auf einen Abend gelegt worden, an dem sowohl der kath. als auch der evang. Kirchenchor probte und an dem auch die Kinder-Sommerfreizeit organisatorisch besprochen wurde. Erhofft hatte man sich ca. 30 Teilnehmer.