Beitragvon richard sivél » 26. September 2005, 11:34
> Meine Meinung:
> Wir Deutschen (zur Zeit noch sicherlich die Mehrheit) haben
> ein besonderes Problem. Bedingt durch den Ausgang des WK2
> sind wir eher so eine Art von demutsvoller Schafherde
> geworden die reuevoll für die nächsten 1000 Jahre allen
==> Du denkst also, daß es NUR am ausgang des WK2 lag, daß die von deutscher seite während des WK2 begangenen kriegsverbrechen und verbrechen gegen die menschheit vom heutigen ethischen standpunkt aus zu verurteilen und besonders kritisch zu betrachten sind? ---- Vom faktischen standpunkt magst du recht haben (da der sieger meist die geschichte schreibt). Da ethik aber nicht relativierbar ist, muß die ethische beurteilung völlig unabhängig vom ausgang des ereignisses sein, sonst ist der ethische standpunkt korrumpiert und vergiftet.
Bemerkungen wie "schafherde" und "ausgleichszahlungen" liest man ja des öfteren. -- Ich kann diese in keinster weise nachvollziehen. Das von dir eingeforderte selbstwertgefühl wird nicht erreicht durch verdrängen der verbrechen oder durch ein sich nicht "verantwortlich-erklären", sondern nur durch ein anerkennen der schuld des abstrakten dinges "staat" und "rechtsnachfolge des staates" und durch ein entschlossenes Stehen eines Staates zur verantwortung der vergangenheit gegenüber. Erst durch dieses sich Stellen findet verarbeitung statt. Und nur durch verarbeitung erreicht man innere koinzidenz ("mit sich ins reine kommen"), wodurch ein gerades rückgrat entsteht, welches voraussetzung für das selbstwertgefühl ist. --- Alles andere ist eine selbstlüge.
==> Zustimmen muß ich allerdings, daß Verarbeitung aber auch nicht stattfindet, wenn man grundsätzlich alles, was nur irgendwie die dt. vergangenheit im WK2 berührt, von vornherein moralisch zensiert.
Das Spiel Memoir 44 kenne ich nicht, wohl aber zahlreiche cosims, darunter viele über den WK2 in europa.
Konsens, so denke ich, herrscht darin, daß es für jeden individuell verschieden eine thematik gibt, die ihn anwidert, und daher für ihn als spiel nicht in frage kommt. Dies hat für jeden eine anderen grenzwert hat, und das ist gut so. Aus der tatsache, daß eine thematik einige abstößt, ein verbotsdenken abzuleiten, halte ich für problematisch. Erst wenn es eine äußerst breite mehrheit ist, die so empfindet, dann kann man die thematik als pervertierung und "sittenwidrig" bezeichnen.
Frage ist nun: Gehört M44 dazu? Wäre M44 weniger problematisch, wenn es nicht die landung in der normandie, sondern die landung der amerikaner auf okinawa (japan) thematisieren würde?
Weniger problematisch, wenn okinawa: Wohl nein, da ebenfalls kriegsthema, und da die kriegsverbrechen und die verbrechen gg. die menschlichkeit japans im WK2 ebenfalls enorm waren. Und da ethik nicht relativierbar ist, muß der ethische standpunkt auch für ein spiel, das die landung auf okinawa thematisier, gelten, und da krieg krieg ist, muß auch der pazifistische standpunkt gelten.
Gehört M44 dazu? -- Es würde dazu gehören, wenn es gewaltverherrlichend ist.
Was aber, wenn M44 (oder ein anderes spiel mit kriegsthema) dazu dient:
a) geschichte irgendwie emotional erfahrbar zu machen?; oder
b) wenn schon nicht erfahrbar zu machen, so doch immerhin so weit zu abstrahieren, so daß ein spiel entsteht, welches eine spannende auseinandersetzung für die spieler bietet, so daß eine spielerisch-intellektuelle auseinandersetzung stattfindet, die nicht anders ist als die z.b. bei schach.
Standpunkt b) ist, man sieht es sofort, ein sehr problematischer, da hier einiges an scheuklappensicht erforderlich ist. Ich möchte daher nicht weiter auf ihn eingehen, da ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn vorbehaltlos einnehmen kann.
Zurück zu M44. Ich wage jetzt mal ein THESE:
Schon der titel (memoir 44) könnte uns sagen, daß es um erinnerung geht. Das spiel will also eine art "denkmal" sein. Denkmal für die gelungene landung der allierten in der normandie und die befreiung (west-)europas von der terrorherrschaft des nationalsozialismus. Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden, oder?
Wenn so ein denkmal nun als spiel funktionieren soll, und wenn das spiel die historische leistung der westalliierten transparent machen will, so ist es natürlich notwendig, daß die bösen als gegenspieler auftreten. Da Spielen immer mit "identifikation" zu tun hat, ist es nicht vermeidbar, daß der spieler, der im spiel in die rolle des bösen schlüpfen muß, sich (innerhalb des spieles) mit den für den spielsieg notwendigen zielen der bösen identifiziert. Wenn es ein gutes spiel ist, so wird dies sogar automatisch passieren...
Dadurch geschehen einige interessante dinge, und einige interessante fragen werden aufgeworfen, zum beispiel:
a) Durch die im spiel stattfindenden vehemente gegenwehr des "bösen" wird (für beide spieler!) die historische leistung der "guten" transparent und würdigbar.
b) Durch die im spiel stattfindende identifikation des spielers, der die bösen spielt, mit den *militärischen zielen" (nicht aber mit den ethischen verwerfungen, die der militärische bzw. spielerische einsatz verteidigen will !! ), wirft sich die frage auf: "Wie hätte ich mich, als kleines rad im geschichtsgetriebe, verhalten, hätte ich damals gelebt? Hätte ich wirklich den Mut und die Zivilcourage besessen NEIN zu sagen und nicht mitzumachen, bei der verteidigung eines verbrecherstaates? "
(diese frage, kann einen mit umso größerer wucht treffen, wenn die identifikation ungewollt und vielleicht sogar gegen einen inneren ekel stattfindet). --- Plötzlich ist man mit einer frage konfrontiert, die einen vom hohen roß der selbstsicherheit des heutigen standpunktes herunterstoßen kann, und damit zur erkenntnis führen kann, daß es wichtig ist, einen ethischen standpunkt einzunehmen, wenn es darauf ankommt. Ihn lediglich theoretisch einzunehmen, wenn keine gefahr für sich selbst besteht, ist leicht und bequem; die sicherheit mit der er eingenommen wird, ist eine nur scheinbare. -- Erst wenn die Gefahren, die damit verbunden sind, vorstellbar werden, findet eine auseinandersetzung mit dem eigenen weltbild statt. Reflektion. Nachdenken. Und dieser Prozeß kann zu einer stärkung ebendiesen weltbildes führen. -- Und zu einer noch höheren würdigung für all jene, die ihr leben riskiert bzw. gar verloren haben, im einsatz gegen das nationalsozialistische verbrecherregime, sei es als soldat auf der westalliierten seite, sei es als widerstandskämpfer. -- Und wenn das ein Denkmal erreicht, so hat es seinen zweck erfüllt.
(Achtung: dies ist eine these. Ich kenne M44 nicht, und weiß nicht, ob es diese hehre ziel erreichen kann).
Im spiel wird letztlich derselbe gewissenkonflikt erzeugt, wie in guter literatur, wo das böse nicht nur böse ist, sondern brüchig wird, und uns damit mit der komplexität und den tiefen der menschlichen natur konfrontiert.
richard sivél
designer von "friedrich"