Beitragvon Ralf Rechmann » 23. Oktober 2005, 04:37
Christian Weiss schrieb:
>
> Hat schon jemand Erfahrungen mit Antike gemacht und wäre
> bereit zu PEEPen?
Moin zusammen,
so jetzt wie versprochen mein PEEP zu ANTIKE von eggertspiele: Am Samstag Abend das erste Mal gespielt und zwar in einer Zweierrunde mit meinem Brettspielkumpel, der mich schon seit den Anfänger meines Spielerlebens als Mitspieler begleitet hat. Er mag keine Würfel-CoSims, weil er keinen Nerv auf den oberflächlich dominierenden Einfluss von Zufallselementen hat, ist aber ansonsten ebenso ein Spielefreak (sofern für ihn kein Fantasy-kram drin vorkommt, -sic!- Dungeon Twister ist deshalb auch bei ihm durchgefallen) wie ich.
Los ging es mit der Partie nach dem recht zügigen Regelstudium um 23:30h. Wobei die Regeln ein absoluter Pluspunkt und fast schon Novum im Bereich der strategischen Landnahmespiele mit Aufbau- und Entwicklungsmöglichkeiten seines zu betreuenden Volkes ist. So verständlich, so klar und so einprägsam ohne unnötigen Ballast kommt selten ein Spiel daher - und wenn, dann ist es ein Fliegengewicht in Sachen Komplexität und Einflussnahme. Und das ist ANTIKE gewiss nicht! Der Autor Marc Gerdts schafft es auf knappen 10 A5-Seiten sein Spiel so nachvollziehbar zu vermitteln, dass bis auf einem Punkt (Mehrfachmanöver, dazu später mehr!), wirkliche keine Fragen bei uns offen blieben. Wir konnten uns voll auf unsere eigene Spielstrategie konzentrieren, anstatt unnötig überladene und komplizierte Regeln zu merken. Erinnert ein wenig an VINCI, wo auch alles an unnötigen Regeln weggelassen wurde, das Spielerlebnis aber trotzdem vielfältig ist. Nur hier stimmen zum Glück auch die Regeln in Aufbau und Verständlichkeit - angereichert mit einer eingebetteten FAQ und Strategietipps für die ersten Spielzüge. Vorbildlich, denn ich will ein Spiel spielen und keinen Regelwust nachspielen!
Worum geht es überhaupt bei ANTIKE? Jeder führt ein Volk, die bis auf die Ausgangsposition der ersten drei Städte aber keine individuellen Eigenschaften haben. Man gründet Städte (von da kann man sich weiter ausbreiten), errichtet Tempel (erhöhen die Produktivität), rustet Legionen (Landeinheiten) und Galeeren (Wassereinheiten) auf, erschliesst neue Provinzen des Spielplans, verteidigt seine Städte und Tempel gegen Mitspieler und entdeckt wissenschaftliche Fortschritte in zwei aufbauenden Stufen, die Vorteile in Produktivität, Bewegung & Eroberung (getrennt für Land- und Wassereinheiten) und Städteverteidigung bieten. Das Besondere an dem Spiel ist der Zugmechanismus, da man nur eine Aktion pro Spielzug machen kann und diese Spielzüge als Kreis angeordnet sind, die man mit seinem Marker abläuft. Bis zu drei Schritte vorwärts sind kostenlos, danach muss pro Schritt eine Ressource (Gold, Marmor, Eisen oder Münze als Universalwährung) gezahlt werden. Also mehrere Spielzüge hintereinander alle eigenen Provinzen mit Eisenvorkommen zu "ernten" ist arg teuer, da bis auf Manöver (Bewegung und Eroberung von Städten) jede Aktion nur einmal innerhalb des Kreises vorkommt. So dauert ein eigener Spielzug (eine Aktion) nur wenige Sekunden bis wenige Minuten (eher selten) und man ist schnell wieder selbst am Zug - nervige Wartezeiten enstehen so nicht, auch weil man ständig die Aktionen der Mitspieler im Auge behalten sollte (rüstet er auf, muss ich nachrüsten? breitet er sich unangenehm schnell im meine Richtung aus, sollte ich da zuvorkommen? bietet sich eine Schwäche, um einen Angriff zu starten?).
Und das Kampfsystem ist so simpel wie genial einfach: Ziehe ich mit Einheiten in eine Provinz mit fremden Einheiten, so kommt es nur zum Kampf, wenn einer das von beiden will. Ein Zurückziehen geht dann nicht mehr, dann wird "gekeult" und zwar Auge um Auge, also 1:1 abgetauscht und vom Spielbrett genommen. Kein Würfel oder Modifikatortabellen, die das Kampfsystem verwässern. Kampf ist bei ANTIKE schnell, blutig für beide Seiten und jederzeit abschätzbar. Deshalb haben Bedrohungssituationen soviel Gewicht - die Abschreckung machts, bis einer dann doch meint, jetzt den Kampf suchen zu müssen. Das ist Hochspannung pur! Geht es um eine gegnerische Stadt (Kampfwert 1), so schützen dann noch Tempel (Kampfwert 3 statt 1) oder zwei Fortschritte (+1 bzw +2 Verteidigung). Erst die Einheiten abtauschen, dann die Stadt besiegen - wenns reicht, dann wechselt der Besitzer der Stadt und ein eventuell vorhandener Tempel ist zerstört, was eine antike Persönlichkeit zu einem lockt.
Und antike Persönlichkeiten sind dann auch der Kern der Spiels. Es geht nicht um sinnlose Landnahme oder Vernichtungsfeldzüge, sondern man muss zum Spielsieg Könige, Gelehrte, Feldheeren, Bürger und Seefahrer anlocken. Die einen erfreuen sich an zerstörsten Tempel (dem geht ein verlustreicher Kampf voraus), die anderen kommen, wenn man als erster Spieler einen bestimmten Fortschritt entdeckt hat (kostet Gold) und weitere kommen, wenn man eine bestimmte Anzahl an Tempel oder Städte errichtet, oder Meere mit seinen Galeeren befahren ist.
Im Spiel zu Zweit (um wieder zurück zu meiner ersten Partie zu kommen), muss man mit seinem Volk neun antike Persönlichkeiten anlocken. Wie die sich zusammensetzen, dass wir dem Spieler überlassen und das gibt enorme Freiheiten, da von Städtemassenbau bis Eroberung der Meere oder Tempelzerstörungsorgien alles möglich ist und etliches im Laufe des Spiel kombiniert werden muss. Gut, dass einmal angelockte Persönlichkeiten nicht mehr abhauen, auch wenn man zwischenzeitlich nicht mehr die Kriterien für ihre Ankunft erfüllt. Da man aber mit zwei Völkern spielt (in vielen Spielen eine mühsame Notwendigkeit, um ein für zwei Spieler ungeeignetes Spiel doch nur spielbar zu machen, hier allerdings ein echter Mehrwert!) und diese unabhängig von einander steuert und agieren lässt, kann man wunderbar im Bündnis mit seinen zwei Völkern die verschiedensten Strategien kombinieren, um in der Summe dann effektiver zu sein.
Welches eigene Volk also die notwendigen neun Persönlichkeiten ansammelt und welches eher dabei unterstützt, dass bleibt einem selbst überlassen, kristallisiert sich aber erst gegen Spielmitte heraus, wenn die Grenzen abgesteckt, Gegner eingeschlossen und es zu ersten blutigen Kämpfen kommt. So war es zumindestens bei uns. Wir haben bis dahin gut drei (!) Stunden Spielzeit gebraucht und die Partie aus Zeitmangel (war schon 3:00h nachts!) wehmütig abbrechen müssen, da der Spannungsbogen gerade seinen Höhepunkt erreicht hatte. In der kommenden Stunde hätte sich wohl ein Sieger abgezeichnet, der aus den übers Land wallenden Kämpfen mehr Vorteil herausschlagen hätte können und dann sein in Trümmern liegendes Reich wieder schneller hätte aufbauen können. Denn Timing ist enorm wichtig bei ANTIKE, da man pro Spielzug nur eine Aktion machen kann und etliche Aktionsmöglichkeiten durch den Aktionskreislauf vorbestimmt erst in zukünftigen Spielzügen erst wieder möglich werden - oder hat ausreichend Rohstoffe gespart, um weite Züge auf dem Aktionskreislauf bezahlen zu können. Wobei sparen ein Problem ist, dann es herrscht eine absolute Mangelwirtschaft. Man möchte gerne vieles mehr machen, hat aber weder die Ressourcen dazu oder darf die Aktion augenblicklich ausführen... Ressourcenmanagment, Timing, wenig Leerlauf in der eigenen Aufbaustragie haben und dem Mitspieler im entscheidenen Moment zuvorkommen, das alles in Kombination für bei einer Zweierpartie zum Sieg.
Und wenn mehrere mitspielen, dann spielt die Diplomatie (tu ich dir nichts, dann tust du mir sicher auch nichts, oder?) eine grosse Rolle. Ob ANTIKE dann nochmal besser wird? Weiss ich nicht, anders aber auf jedem Fall. Aber so oder so ist ANTIKE für meinen Mitspieler und auch für mich eines der absoluten Highlight aus den letzten 10 Jahren. Der nächste Spieltermin ist schon fest vereinbart - und das, wo doch noch andere Neuheiten ungespielt auf ihr erstes Spiel warten! ANTIKE ist es aber wert, mehrmals gespielt zu werden. Obs dann langweilig wird, glaub ich nicht, weil man so viele Strategien kombinieren kann, Startpunkte frei wählen (wers mag) und auch die Rückseite des Spielbrettes noch eine neue Karte bietet. Dazu das gefällige Material mit den vielen Holzspielsteinen und der angenehm sachlichen Farbgebung, die nicht bunt plakativ vom Spiel ablenkt! Einziges Manko könnte die Spielzeit sein, weil mit in der Anleitung beschriebenen 90 bis 120 Minuten kommen wir nicht aus, einen Nachmittag oder Abend mit 4 Stunden Zeit sollte man schon einplanen, wenn man nicht optimiert auf ein zügiges Ende sondern auf Aufbau & Entwicklung spielt wie wir - die vergehen allerdings wie im Flug.
Fazit: Wer's nicht hat und auch nicht spielt, der hat was verpasst! Wirklich!
Thx/Bye
Ralf
PS: Mehrfachmanöver => Darf man bei mehreren Manövern pro Spielfigur (Fortschritt ermöglicht das) die auch für Manöver von anderen eigenen Spielfiguren unterbrechen und später fortsetzen oder muss man erst alle Manöver mit einer Spielfigur bzw. -Gruppe aus einer Provinz ausführen, bevor man die der anderen Spielfiguren aus anderen Provizen ausführt? Die Regel sagt dazu "können hintereinander kombiniert werden". Wir haben es ohne Unterbrechung einer Manöverkette gespielt und es hat funktioniert und war auch einfacher nachzuhalten, wer sich schon bewegt hat und wer nicht, anstatt festzuhalten, wie viele Manöver (bis zu drei sind möglich, später!) man mit einzelnen Spielfiguren schon ausgeführt hat!