Neue Heimat – Immobilien-Poker
Von Klaus Zoch
Chili-Spiele 2007
2 – 5 Spieler, 40 – 60 Min.
Auf der Stuttgarter Spielemesse entdeckte ich in einem kleinen Spielestand Klaus Zoch, wie er mit drei jungen Leuten ein seltsames Stapelspiel spielte (s. Foto):
http://www.boardgamegeek.com/image/272038
„Chili-Spiele“ hieß der Verlag, und das Spiel sah außerordentlich knuffig (Material) und gleichzeitig nervenzerreißend spannend (die Spielrunde) aus.
Warum Klaus Zoch einen weiteren Verlag (mit-)gegründet hat (den Zoch-Verlag mit Bausack, Zicke Zacke Hühnerkacke, Villa Paletti etc. pp dürfte hier ja jeder kennen), darüber erfährt man in diesem Interview, das Peer Sylvester mit ihm geführt hat, mehr (ein bisschen runterscrollen):
http://www.spielbar.com/wordpress/2007/10/27/244
Die Antwort wird einem aber auch klar, wenn man eine Runde „Neue Heimat“ spielt. Außer „netten“ Holz-Spielsteinen hat das Spiel nichts von einem harmlosen Spiel für die eher jüngere Generation, sondern ist ein knallhartes Zockerspiel mit beinahe kompletter „All- Information“- Situation.
Worum geht`s?
In einem Neubaugebiet drängeln sich die Spekulanten beim (teils illegalen) Bebauen dreier Häuserreihen – zwei wären erlaubt, weshalb die dritte (unvollendete) am Ende negativ zählt. Zentraler Mechanismus zum Erwerb des Baumaterials und weiterer Elemente sind dabei Versteigerungen.
Spielmaterial:
Chili-Spiele verzichten auf vierfarbig bedruckte Standardboxen. Stattdessen kommen die Spiele in genieteten roten Pappschachteln mit wechselnder Banderole. Bis auf die Baumwollsäckchen, das Spielgeld (Schecks von je einer Million) und dem Spielplan findet man ausschließlich Holz. Und zwar keine Mini-Würfelchen à la „Waren im Mittelalter“, sondern große Bauteile, die gut in der Hand liegen: 36 große „Stockwerke“-Würfel in 6 Farben mit 1 – 6 Punkten (jeder Würfel hat nur eine Zahl), 17 halbkugelige Dächer (2 mal im Wert von 1 – 6 und 5 mal blanko), eine Holzfigur „Bürgermeister“, 6 unbedruckte Farbwürfel und 4 spezielle Würfel mit keiner ("Blanko“), einer, zwei und drei Einkerbungen. Und natürlich eine Spielregel, die mit klaren Bildern alle Fragen klärt.
Hier ein Bild, das den Anfangs-Aufbau zeigt, mit einigen (englischen) Anmerkungen:
http://www.boardgamegeek.com/image/287920?size=large
Spielaufbau:
Zunächst wird das Spielmaterial rund um das Brett ausgelegt (die Dächer umgedreht, so dass der Wert verdeckt bleibt), wobei von den 36 Stockwerken 24 aus dem Sack gezogen und zufällig auf drei 8-er Reihen verteilt werden. Jeder Spieler erhält 12 Schecks zu einer Million und los geht`s.
Der „Plan“:
Auf den drei Reihen mit je zehn Bauplätzen darf zunächst von der Startseite her (der Straße) nur vier Bauplätze weit gebaut werden – bis zum Flüsschen „Reibach“. Die Stockwerke dürfen nur so verbaut werden, dass Stockwerke mit niedrigerer Augenzahl auf solche mit höherer gestapelt werden – also maximal sechs Stockwerke hoch. Die Farbe der Stockwerke ist dabei gleichgültig – „gehören“ tut das Haus am Ende demjenigen, dem das oberste Stockwerk unterm Dach gehört. Denn mit einem Dach obenauf kann der Bau eines Hauses jederzeit beendet werden. Gewertet wird am Ende jedes Stockwerk plus Dach – maximal 27 Punkte für ein Haus – und steht der „Bürgermeister“ vor der Reihe, wird nochmal verdoppelt! Die gekerbten Würfel („Spezialgenehmigungen“) erlauben es darüberhinaus, eine Reihe von Bauplätzen um die Zahl der Einkerbungen zu verlängern oder zu verkürzen (wobei bereits bebautes Gelände nicht „weggekürzt“ werden kann), der „Blanko-Würfel“ schließlich annulliert die Wirkung einer solchen platzierten "Sondergenehmigung".
Spielablauf:
Wie gesagt, zentral sind die Auktionen. Der aktive Spieler wählt einen der Stockwerks-Würfel (nur die von den Schmalseiten her erreichbaren, also in der Regel sechs Stück, stehen jeweils zur Verfügung), ein Hausdach (dessen Wert nach dem Umdrehen ersichtlich wird), eine Sondergenehmigung oder den Bürgermeister und hält eine Auktion ab: Reihum fragt er die Mitspieler, wie viele Millionen sie bieten – jeder Spieler hat nur ein Gebot – oder ob sie passen. Am Ende ist der Auktionator selbst gefragt: Entweder er gibt das Teil dem Höchstbietenden und bekommt von diesem dessen Gebot bezahlt, oder er zahlt dem Höchstbietenden dessen Gebotssumme und behält das Teil selbst.
Anschließend wird das erworbene Teil sofort auf dem Spielfeld platziert. Erwirbt ein Spieler das erste Teil einer Farbe, erhält er den entsprechenden Farbwürfel – er ist ab jetzt „Besitzer“ dieser Farbe. Am Ende werden also alle Häuser mit dem obersten Stockwerk in dieser Farbe für ihn gewertet. Dennoch können alle Stockwerke farbunabhängig an alle Mitspieler versteigert werden.
Spielende / Wertung:
Sind zwei Reihen komplett (Häuser mit Dach und bis zum Bach oder der festgelegten Grenze), ist das Spiel beendet. Nun werden die Häuser gewertet – steht der Bürgermeister vor der Reihe, zählen die Punkte doppelt. Die unfertige Reihe zählt negativ.
Feinheiten:
Es gibt noch einige Feinheiten, die ich hier unerwähnt lasse, da hier ja keine Vollständigkeit angestrebt wird, sondern ein PEEP ...
Worauf kommt es an?
Zum Einen sind alle Informationen bis auf die Werte der Dächer jederzeit allen Spielern verfügbar. Das bedeutet, dass den zufällig ausgelegten 24 Stockwerkswürfeln eine große Bedeutung zukommt. Denn ich kann ja stets nur niedrigere Punkte auf höhere stellen, die Farben kommen wahrscheinlich unterschiedlich häufig vor, etc. Hier ist Planung mit Überblick angesagt.
Zum Zweiten geht es sehr um die "Psychologie" zwischen den Spielern. Das Abschätzen der Zocker-Mentalitäten und der Pläne der Mitspieler gibt dem Spiel die richtige Prise "Chili". Hier ein kleines Beispiel: Ich versteigere ein Dach mit einer „6“. Zwei Häuser (nicht mit meiner Farbe als oberstes Geschoss) sind schon recht weit fortgeschritten, könnten aber in einer der nächsten Runden noch ein Stockwerk obendrauf bekommen – was den Wert kaum steigern, aber den Besitzer wechseln würde. Die Mitspieler sind also scharf auf das lukrative Dach. Behalte ich es aber (und zahle den hohen Preis), kann ich entweder ein eigenes Haus (von meinen Farben sind keine Würfel mehr im Spiel oder erst in einigen Zügen verfügbar) damit „bedachen“ oder sogar das Haus eines Mitspielers, dass erst ein Stockwerk hat – eine „4“. Das bringt ihm zwar zehn Punkte, aber da ich erstens vorhabe, diese Reihe zu verlängern, so dass sie wahrscheinlich nicht fertig wird, werden es zehn Minuspunkte sein! Außerdem würde er sehr gerne noch weitere Stockwerke draufbauen, was mit Dach natürlich nicht mehr geht. Der Poker beginnt ...
Dass das ganze nicht in Daueranalyse ausartet, liegt zum Einen an den vielen Möglichkeiten, die eine Strategie zwar ermöglichen, aber einen doch immer wieder zum raschen Umdenken zwingen. Zum Anderen daran, dass jeder beinahe ständig mit am Zug ist. Das flotte Spiel besteht aus einer dauernden Auktion – das Platzieren selbst nimmt eher wenig Zeit in Anspruch, da die Spieler sich schon vorher überlegt haben, wohin sie das Teil bauen wollen – aber wann überlegen, wenn ja dauernd versteigert wird!
Persönlicher Eindruck:
Meiner Meinung nach hat es Klaus Zoch auf wunderbare Weise geschafft, ein ebenso knallhartes wie amüsantes Ärger- und Zocker-Spiel zu entwickeln. Die verschiedenen Funktionen der Teile sind aufs engste miteinander verzahnt, jeder "Wert" sehr relativ. Die Interaktion ist ausgesprochen hoch, da ja alle am selben Gelände bauen. Dazu kommt das Timing – ist der Bürgermeister erst platziert, bleibt er bis zum Ende dort stehen. Entscheidungen über Entscheidungen – eine kniffliger als die andere. Klaus Zoch hat das Spiel sehr gut ausbalanciert, ohne es zu "neutralisieren": Jede Entscheidung kann weitreichende Folgen haben.
Interessanterweise mag ich „Auktionen“ an sich nicht soo gern als Spielmechanismus, sie kommen mir oft aufgesetzt vor und eher den Spielfluss bremsend. Hier aber ist die Hitze der dauernden Versteigerungen und die (oft überraschende) Wahl der zu versteigernden Teile durch die Mitspieler derart packend, dass „Neue Heimat“ zur Zeit mein "Hot Game" ist – im Familienkreis oder anderswo. Gespannt bin ich auf mein erstes "Spiel in mehreren Runden", wobei das Geld nicht jedesmal neu verteilt wird ...
Fazit:
Dringende Empfehlung – kurzweiliges Zockerspiel mit hohem Spaßfaktor und trotz Zufallselementen niedrigem Glücksanteil.
Wie sich das Spiel zu zweit spielt, kann ich mir noch nicht richtig vorstellen - Versuch folgt demnächst – zu dritt bis fünft dürfte es vor allem immer enger und damit tougher werden.
Mehr Bilder etc.:
http://www.boardgamegeek.com/game/32944
Zu bestellen (bislang sonst nur auf Messen erhältlich) unter:
http://www.chili-spiele.de/