Vorneweg: Ich bin mir nicht sicher ob ich im Autorenforum richtig bin, es schien mir allerdings auch nicht richtig, mich zwischen die Regelfragen im Spielerforum einzureihen.
Liebe Spiele-Gemeinde,
ich hatte vor einiger Zeit in der Autorensektion des spielbox-Forums nach Anregungen für eine Spieleerfinderwerkstatt mit Kindern gefragt und es hat sich herausgestellt, dass ein breites Interesse an diesem Thema besteht. Daher habe ich beschlossen einen kleinen Bericht über unsere Aktion der "Spieleerfinderwoche" zu schreiben. Ich tue dies in erster Linie um Leute, die über ähnliche Projekte nachdenken zu ermutigen, an unsere Erfahrungen anzuknüpfen. Das Projekt fand im Sommer 2012 statt, ich komme leider erst jetzt dazu, das Ganze noch einmal aufzuarbeiten.
DER RAHMEN
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Die Erfinderwerkstatt fand statt im Rahmen einer Hortbetreuung für Kinder im Grundschulalter während der Sommerferien. Träger ist die Eltern-Kind-Initiative Müllheim (www.eki-muellheim.de). Das Betreuungsteam bestand aus 6 Leuten, wobei wir alle Studenten Mitte 20 sind, 3 Männer und 3 Frauen. In dieser Woche hatten wir 42 Kinder. Die Betreungszeit ist von morgens 8 Uhr bis mittags 14 Uhr. Allgemein kann man sagen, dass die Eltern die Anmeldung ihrer Kinder nicht vom Thema der Woche abhängig machen. An Räumlichkeiten stand uns ein beeindruckend eingerichteter Kinderhort mit 3 Räumen, einer großen Werkstatt, einer Küche, großem Garten und einer kleinen angegliederten Turnhalle zur Verfügung. Auftrag bzw. Selbstverständnis der Freizeit ist Bespaßung, entsprechend wollen wir keine schulischen Arbeitsaufträge geben.
DAS MATERIAL
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Dem Material kommt in diesem Konzept natürlich eine zentrale Rolle zu. Es sollte neben der eigenen Fantasie die Quelle an Inspiration sein. Daher wollten wir eine möglichst breite Auswahl anbieten. Um dieses Material zu sammeln haben wir Secondhand-Kaufhäuser mit gemeinnützigem Träger der Umgebung abgeklappert. Spiele sind bei diesen eher Ladenhüter, da sie nicht die Möglichkeit haben Vollständigkeit zu garantieren. Daher hat man uns nach Schilderung der Aktion bereitwillig stapelweise Spiele überlassen. Auf diese Weise haben wir mehr als 50 Spiele ausgeschlachtet. Hinzu kamen nach einem Aufruf in der Kleinanzeigensektion von spielbox.de vier sehr großzügige Spenden von Spielesammlern. Diesen sei an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich für ihre Großzügigkeit und ihre Mühen gedankt! Spielmaterial, das nur zusammen Sinn macht wurde in einen Zipbeutel gepackt, alles andere wurde nach Typ in große Kisten sortiert.
DAS METASPIEL
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Teile des Teams haben Erfahrungen mit offenen Werkstattkonzepten im kunstpädagogischen Bereich und haben eindringlich davor gewarnt, dass Kinder - konfrontiert mit einer tollen und riesigen Materialauswahl - zum Horten neigen. Da wir das auf jeden Fall vermeiden wollten, entschieden wir uns ein Metaspiel über die Woche einzuführen. Alles Material bis auf die Spielpläne wurde in einem Zimmer des Kinderhorts in einem Kaufladen aufgebaut. Jedes Kind hat zu Beginn der Woche einen Geldbeutel (Ziptüte) mit 8 Stein (Acryl auf Kiesel) bekommen und hatte jeder Zeit die Möglichkeit im Kaufladen Spielmaterial einzukaufen. Die Preisspanne ging dabei von 1 Stein für 5 Pöppel/Holzsteine bis hin zu 10 Steine für ein tolles Gimmick (z.B. die große Inkognito-Maske). Dieses System wurde von den Kindern erstaunlich gut angenommen und hat zu maß- und respektvollem Umgang mit dem Material geführt. Zudem konnten wir die Entwicklung des Kapitalismus vom Tauschhandel bis zur Spekulationsblase binnen einer Stunde beobachten...
Da viele Kinder am Ende des ersten Tages darüber geklagt haben, dass sie pleite seien und es ja nicht unser Ziel war ihnen den Zugang zum Material zu verwehren, mussten wir Montag mittag darüber beraten wie wir optimal neues Geld ins System bringen. Wir haben das Problem mit ein wenig Impro-Theater gelöst. Am Dienstag Morgen wurde der Besuch des großen Investors Mr. Able Topay aus Amerika angekündigt, der dann in großkapitalistischer Manier auftrat. So hatten die Kinder den ganzen Dienstag die Möglichkeit ihn von ihren Konzepten und Ideen zu überzeugen und neues Geld aus seiner reichlich gefüllten Börse bekommen. Damit war nicht nur für neues Geld gesorgt, sondern auch gleich ein Mindestmaß an Testspielen erzwungen.
Ich war sehr überrascht davon, wie die Kinder diese Theaternummer angenommen haben. Die jüngeren Kinder haben den (eigentlich spärlich verkleideten) Betreuer durch den veränderten Habitus teils gar nicht erkannt, auch die älteren waren sich nicht ganz sicher. Also beschlossen wir auch weiterhin über solche Auftritte die Kinder zu beeinflussen. So kam es am Donnerstag zum Auftritt von Herr Nörgel vom Spieleplaneten, der ausgewandert war weil er alle Spiele doof findet. Er hat so gut wie jeden Satz mit "find ich doof" angefangen und war allgemein ein sehr mies gelaunter Zeitgenosse. Die Kinder waren dann aufgefordert Herr Nörgel zu helfen und ihm endlich ein Spiel zu zeigen, das ihm gefällt. Warum das alles? Im Laufe der Woche war klar geworden, dass die Kinder kaum in der Lage sind Feedback von anderen in ihren kreativen Prozess einzubauen. Die Auseinandersetzung mit dem fürchterlich überzeichneten Herr Nörgel der ihnen offen ins Gesicht sagt was er an ihrem Spiel alles doof findet sollte sie ein wenig zum Nachdenken anregen gleichzeitig aber eben auch nicht beleidigen, das sie ja wissen dass der immer so ist. Es ist schwierig zu sagen ob dieses Ziel erreicht wurde, die Kinder hatten auf jeden Fall viel Spaß mit Herr Nörgel und haben stundenlang darauf geachtet ob er nicht doch die Mundwinkel zu so etwas wie einem Lächeln hochgezogen hat...
Eine weitere Rolle, die wir noch angedacht, aber nicht eingesetzt hatten, war der Würfelsammler. Er ist bereit horrende Summen für Würfel zu bezahlen, ohne die die Kinder dann aber halt auskommen müssen. Diese Rolle hat offensichtlich (neben Geldausschüttung) den Sinn Roll-and-Move-Spiele einzuschränken.
DER WOCHENABLAUF
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Montag:
Diesen Tag werde ich ausführlich schildern, da ihm eine zentrale Rolle zukommt:
Da wir ein wenig Sorge hatten dass einige Kinder - gerade die Jüngeren - mit der vielleicht doch etwas abstrakt anmutenden Aufgabe "Erfinde ein Brettspiel" überfordert sein könnten, haben wir am Montag morgen mit einer "Einführungsstunde" begonnen. Hierzu wurde die Gruppe in zwei Gruppen aufgeteilt, so dass ein Gespräch im Stuhlkreis möglich ist. Ziele dieses relativ freien Gesprächs waren:
- Spiele haben einen Erfinder, so wie Bücher Autoren haben!
- Was für Arten von Spielen gibt es?
- Was muss man beachten, wenn man ein Spiel erfindet? Spielregel, Spielende, etc.
Danach sollte jede Gruppe als Grundinspiration einen Spielplan bekommen. Um die Verteilungssituation zu regeln haben wir die etwa 50 verfügbaren Spielpläne in der Turnhalle ausgelegt und die Kinder etwa 15 Minuten diese besichtigen lassen. Dann sollte jede Gruppe bei dem Spielplan stehenbleiben, den sie gerne will. Etwaige Konflikte wurden dann im Würfelspiel gelöst. Dieses Verfahren lief tränenfrei ab. Sowie die Kinder ausgewählt hatten, bekamen sie ihren "Geldbeutel" ausgehändigt und konnten in den Kaufladen gehen. Außerdem haben die Kinder bereits jetzt ihre Spieleschachteln bekommen: Wir haben hierfür die häufig bei Blumenhändlern umsonst erhältlichen halb offenen, faltbaren Pappkartons verwendet. Diese wurden mit Namen des Spiel und der Kinder beschriftet. Zum mit nach Hause nehmen kann ein zweiter solcher Karton als Deckel über den Karton gestülpt werden.
Dienstag bis Donnerstag:
Einer dieser Tage war Schwimmbadtag, an den anderen wurde an den Spielen weitergearbeitet. Wie bereits beim Metaspiel beschrieben, haben wir dort mit den Gastauftritten versucht das Geschehen zu lenken. Ansonsten wurde das Dogma "Testen, testen, testen" gepredigt. Der Kaufladen war zudem stets besetzt, so dass zusätzliches Material nachgekauft werden konnte. Wir hatten auf diese Weise geschäftige, entspannte Tage mit den Kindern. Diese wurden ab und zu aufgelockert durch zum Thema passende kleine Angebote wie "Fangspiele erfinden" o.ä. (Austoben muss sein)
Freitag:
Am Freitag haben wir eine Abschlusspräsentation gemacht. Dies war zum einen üblich (wurde in allen Wochen der Betreuung gemacht) zum anderen sollten die entstandenen Spiele noch einmal in ihrer Gesamtheit betrachtet und vor allem GESPIELT werden. Dazu haben wir alle Spiele in der Turnhalle aufgebaut. Dann haben wir die Halle in zwei Hälften geteilt und jeweils die eine Hälfte auf "Besuch" in die andere Hälfte geschickt. Dort haben dann die Autoren eines Spiels ihr Spiel erklärt und daraufhin gemeinsam gespielt. Nach etwa 10-20 Minuten kam es zum Gegenbesuch. Das haben wir mehrfach wiederholt (Halle anders teilen etc.). Die Eltern wurden etwas vor der üblichen Abholzeit eingeladen sich die entstandenen Spiele ebenfalls anzuschauen.
FAZIT
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Die Woche war aus Sicht der Kinder mit Sicherheit ein Erfolg. Aus Sicht des Spielenarrs (also mir) war es ein wenig enttäuschend, wie vorgefertigt die Bilder im Kopf der Kinder beim Schlagwort "Brettspiel" doch sind. Allen Bemühungen Rollandmove Spiele zu verhindern zum Trotz, hatten wir am Ende einen Haufen davon. Die "Schuld" dafür liegt allerdings denke ich weder bei uns (die immer im Hinterkopf hatten das zu verhindern), noch bei den Kindern, sondern eher bei Spieleverlagen und Familien, die dieses strikte Bild im Kopf der Kinder etabliert haben. Allerdings denke ich inzwischen, dass es um einiges wichtiger ist, dass die Kinder begeistert von ihrem Spiel sind und sich damit identifizieren. Und das war definitiv der Fall.
BILDER
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Hier ein paar Eindrücke:
Die Spielplanvergabe
http://postimg.org/image/ctnq1rlur/
Der Kaufladen
http://postimg.org/image/tswoh0x2b/
http://postimg.org/image/cuxnv6noj/
Ein Beispielspiel
http://postimg.org/image/a9nhtx8wz/
WIE GEHT ES WEITER?
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Naturgemäß haben wir sehr viel Material übrig. Es handelt sich ziemlich genau um 3 (kleine) Umzugskisten. Ich möchte dieses Material gerne an jemanden weitergeben, der eine ähnliche Aktion machen will. Als "Bedingungen" stelle ich die Versprechen
- nach der Aktion einen kleinen Bericht darüber wie es lief zu schreiben (muss ja nicht so lang sein wie der hier)
- das Material danach auch nicht wegzuwerfen, sondern einem Zweck zuzuführen
- mir die Versandkosten zu erstatten (circa 30 Euro, muss ich mich aber nochmal genau informieren)
Ihr könnt mich unter dominic.r.kempf AT gmail PUNKT com erreichen, auch gerne mit weiteren Fragen, Kommentaren etc. Sollte es mehrere Interessenten für das Material geben, gebe ich demjenigen, der seine Aktion früher durchführen kann, den Zuschlag. Ich würde mich zudem freuen, wenn ein gewisser Austausch über "Spielewerkstatt" als pädagogisches Konzept zustande kommt (ich bin allerdings selbst kein Pädagoge :D).