Beitragvon Marten Holst » 3. April 2002, 14:24
Moinle Steffi,
> Also was ich Suche: Eine Genaue Definition von real und
> irreal im Spiel.
Umgeschrieben auf das, was das Xuntheitle geschrieben hat, würde ich annehmen, dass es keine großen Unterschiede zwischen Brett- und Computerspielen gibt (vielleicht mit der Ausnahme, dass "abstrakte" Computerspiele, also solche ohne Thema/Hintergrundgeschichte wohl fast nur als Umsetzungen eben solcher Brett- bzw. Gesellschaftsspiele existieren dürften (Patiencen, etc.). Wenn ich ein "Fürsten von Florenz" erstmalig spiele, dann ist für mich in der ersten Partie die Spielwelt (wenn sie zumindest einigermaßen stimmig ist, wie im obigen Beispiel) "real wahrnehmbar" - ich sehe den Mathematiker vor mir, der durch meinen aufgebauten Park wandert und dabei im Geiste Verkehrsgleichungen von Jacksonnetzen durchackert (nett wäre, wenn er mir die Ergebnisse verriete... ;-)[i][/i]), ich stelle mir die Gebäude vor. Mit zunehmender Spielezahl abstrahiere ich mehr und mehr von der Geschichte auf die Mechanismen.
Was m.E. ein wichtiger Unterschied von Brett- und Computerspielen diesbezüglich ist, ist das Spielmaterial, das bei Brettspielen vorhanden ist - bei Computerspielen nicht. Brettspiele mit nettem Material laden zum freien Spielen ein, seien es Kartenhäuser oder sonst etwas. Wer hat nicht schon diverse Runden erlebt, in der beim Regelerklären die Stäbchen, Plättchen, Karten zur "Quengelware" wurden, und vernünftige, ausgewachsene Menschen rumgealbert haben, Männchen mit anderen Männchen umgeschnippt u.s.w.
Ansonsten hat der Computer sich auf die Brettspielewelt wohl auch dergestalt ausgewirkt, dass er Ansprüche gerade im Bereich "Komplexität" gesteigert hat. Das alte Brettspiel Civilisation war ein Riesenwust an Organisation und Nachhaltearbeit, das Computerspiel stellt es bei weitem in den Schatten, denn am Computer ist es kein Aufwand, für 100 Städte 93 verschiedene Wertzahlen nachzuhalten und ständig zu aktualisieren. Eine menschliche Spielrunde wäre hierzu wohl weder in der Lage noch motiviert. Und da der Computer nun diese Komplexität erst einmal ermöglicht hatte, musste das Brettspiel - im Rahmen seiner Möglichkeiten - nachziehen, was sich in einem deutlichen Qualitätsquantensprung in Mechanismen u.ä. zeigte.
> Sowohl im normalen Spiel, als auch im
> Computerspiel. Denn im Computerspiel wird von einem
> Realitätsverlust gesprochen.
Ein Problem im Computerspiel ist natürlich, wie schon erwähnt, die Möglichkeit der "ausführlichen Bebilderung" von Gewaltthemen. In den in einem anderen Posting erwähnten Cosims nimmt man eben nur Pappplättchen vom Tisch oder dreht sie um, ab Computer kann dargestellt werden, was passierte, wenn es real wäre - ein sterbender Mensch. Und das ist schon etwas anderes, als nur ein Plättchen mit einem "lebenden Männchen" durch eines mit einem "toten Männchen" zu ersetzen.
Interessant in diesem Zusammenhang finde ich allerdings, dass der Realitätsverlust meistens nur auf den Aspekt "Gewalt gegen Menschen" verkürzt wird, dass Kinder/Jugendliche/Erwachsene, die in Quake fünfzig "Frags" (?) erzielt haben, nachher marodierend durch die Straße ziehen. Spiele, die ethisch relevante Themen durchaus auf die Schippe nehmen, werden hingegen nicht als "realitätsverlustfördernd" empfunden. Natürlich kann man im Brett- wie im Computerspiel ein Mafiaboss sein, der auch mal Polizisten mit Geld oder Messern besticht, so lange es eben ein "strategisches" und kein "Actionspiel" ist.
> Auch, da das Computerspiel zum
> größten Teil Aspekte der "Gewalt" beinhaltet, spricht man in
> der Wissenschaft davon, das Versuchsspieler im Anschluss an
> virtuelle Kämpfe weniger Mitgefühl zeigten. sprich, die
> Aggressionen steigern würden. Was aber ist wenn unsere Kinder
> ganz "normale" Spiele wie Cowyboy und Indianer.. oder mit
> Zinnsoldaten spielen?
Das müsste schon jemand selber untersuchen. Ebenso, wie mir oben nicht klar ist, ob nun die Spieler von Gewaltspielen weniger mitfühlend sind, als Nichtspieler, oder die, die gerade gequaket haben brutaler als die, die heute noch nicht?
Ansonsten glaube ich nicht, dass Cowboy- und Indianerspiele durch "Rollenspiele" gleich welcher Art am Computer ersetzt werden können. Wenn ich in einem Computerspiel einen Indianer durch die Prärie schleichen lasse, dann ist es einfach wesentlich abstrakter (und zwar hoffentlich auch für Jugendliche erkennbar), als wenn ich mir selber einen Schild bastele und von Tante Karin ein paar Federn geschenkt bekomme und so durch den Wald laufe, bis es regnet. Hier haben Computerspiele meiner Meinung nach nur in sofern eine "Substitutsfunktion", als sie eben am selben Zeitkonto knabbern und daher das "Rausgehen" seltener wird.
> Inwieweit verlieren die Kinder und
> Jugendlichen den Bezug zur Realität?
Erste Frage: was ist überhaupt die Realität? Ist der Krieg in Afghanistan für mich "real" - oder eben doch nur abstrakt, denn ich lebe dort nicht, kenne niemand Involvierten, und es würde mich sehr wundern, wenn mich das alles irgendwie persönlich beträfe (bitte das jetzt nicht falsch verstehen).
Danach: ja, ich denke, Kinder und Jugendliche verlieren den Bezug zur Realität, je mehr Erlebnisse aus "zweiter Hand" kommen - wer sich selbst schon einmal ein Glas Milch von der Produzentin gezapft hat, der weiß eben, dass Kühe nicht alle lila sein müssen (waren es 30% Vorschulkinder, die das glaubten? Irgend eine Untersuchung gab es da mal). Wer Kühe nur im Fernsehen konsumiert, der weiß es eben vielleicht nicht besser, gerade wenn Eltern sich dann auch nicht weiter darum kümmern. Und hier sehe ich tatsächlich einen "Negativeffekt" des Computerspiels: es gibt viel mehr Möglichkeiten, zu "konsumieren", Bilder zu betrachten, als in einem Spiel, sei es ein "persönliches" Cowboy und Indianer oder ein Brettspiel, bei dem jede Veränderung selbst herbeigeführt wird (durch "tot umfallen", durch umlegen von Plättchen), wodurch vieles weniger erlebt denn konsumiert wird.
> Desweiteren interessiert
> mich wie sich unsere "normalen" Spiele verändert haben, mit
> der Einführung des Computers.
s.o.
> Warum haben Eltern und
> Pädagogen keine Sorge, wenn Kinder Plastikwaffen haben?
Oh doch, das haben sie - allerdings kann man auch aus pädagogisch wertvollen Holzklötzen Städte bauen und die dann "Bumm knall peng" rufend mit Tennisbällen umwerfen, wie ich es früher mit größtem Vergnügen getan habe.
> Was unterscheidet das
> Virtuelle ERLEBEN und SPIELEN von dem Realen ERLEBEN und
> SPIELEN?
Puh. Ein Netzwerkspiel "Quake" scheint mir (mich reizen diese Spiele leider so gar nicht) bei den Spielern keine großen Unterschiede zu all den Waldgeländespielen, die man früher bei den Pfadfindern gespielt hat und jetzt als Jugendgruppenleiter immer noch spielt :-)), zu besitzen - es bilden sich Hierarchien (weniger Dauerhaft als kurzfristig changierend), Untergruppen, schnell entworfene Pläne. Von daher ist der spielerische Aspekt sehr ähnlich.
Ein Unterschied im Spiel (Computer- wie auch Brettspiel) zum "realen" Geländespiel ist sicherlich der, dass persönliche Schwächen und Stärken (der kleine dicke mit der Brille) ausgeglichen werden können, was sowohl positiv (Chancengleichheit, Erfolgserlebnisse) als auch negativ (eben wieder ein "Realitätsverlust", eigene Eigenschaften ignorieren, statt mit ihnen zu leben) sein kann.
Subjektiv würde ich denken, je "begreiflicher" ein Spiel ist (zuerst das "selber spielen" in Wald und Flur, dann Brett-, dann Computerspiele), desto weniger abstrahiert man das Thema vom "Mechanismus" des Spieles, desto mehr "arbeitet" man gedanklich mit und "erlebt" das Spiel - hinterfragt aber auch mehr. Hier, zum Abschluss meiner Meinungssammlung, dann doch noch ein Vorurteil: Computer-shoot'em'up-Spieler dürften zwar meines Erachtens grundsätzlich nicht die Gewalt in ihren Spielen sehen, sondern eben den Mechanismus und die Reaktionstest (sowie auch die Planung des "Lösens" eines Levels), trauen sich aber nicht, den Hintergrund zu hinterfragen, weswegen ihre Reaktionen auf entsprechende Anfragen oft recht "heftig" in dem Sinne ausfallen, dass andere Gedankenen überhaupt nicht als Argumente angenommen werden.
Sonnentägliche Grüße
Marten (der sich fragt, ob der gute Björn L. in diesem Forum mitliest, hallo Björn, falls Du da bist, sag doch mal bitte was qualifiziertes zur Ehrenrettung von Euch Pädagogen ;-)[i][/i])