Beitragvon Jens-Peter Schliemann » 10. Dezember 2001, 10:22
Hi,
vielen Dank für das Dicke Lob zu "Fire and Ice".
Wer sich für das Spiel interessiert, sollte sich direkt an www.lanlupin.de, dem deutschen Vertrieb wenden, da dieser wie bei den meisten abstrakten Spielen nicht alle Geschäfte erreicht!
Wer sich mehr für die Hintergründe zu "Fire and Ice" interessiert, findet im folgenden Text einige Aspekte:
Da Fire and Ice ein Zwei-Personen-Strategie-Spiel ist, ist es nach meiner Meinung berechtigt, sich darüber intellektuell auszulassen. Für mich verkörpert es meinen bislang besten Versuch Mathematik und Spiel miteinander zu verknüpfen. Dabei hatte ich immer die Vorstellung, dass man die Idee von mathematischen Phänomenen in strukturell angelegte Spielen verwirklicht, ohne den Spieler mit den elendigen, mathematischen Formalismen zu überfordern.
Fire and Ice basiert auf einer mathematischen Struktur, der Projektiven Ebene der Ordnung 2. Diese Struktur ist eine endliche Geometrie, die Ende des 19.Jh erfunden worden ist und von der man damals geglaubt hat, dass sie reine Theorie ist und niemals Anwendung finden wird. Heute weiß man, dass sie sehr wohl eine technische Anwendung hat, nämlich als Basistheorie für Codierungsverfahren, d.h. Algorithmen zur Verschlüsselung von Daten werden in dieser Geometrie beschrieben.
Man kann sich die Struktur wie folgt vorstellen und jeder, der das Spiel nicht vorliegen hat, sollte sie sich auf einem Blatt aufzeichnen, um dem weiteren Text zu folgen. Man zeichne ein Dreieck und setze in die drei Eckfelder ein Feld. Von jeder der drei Kanten des Dreiecks bildet man den Mittelpunkt und setzt dort auch ein Feld hin. Nun nimmt man noch den Mittelpunkt des Dreiecks und setzt dort ebenfalls ein Feld hin. Dies sind die 7 Felder der Struktur. Jetzt zeichnet man noch die 3 Höhen des Dreiecks ein, sowie einen Kreis durch die 3 Mittelpunkte der Kanten und hat so eine Darstellung der Projektiven Ebene der Ordnung 2.
Mir ist diese Struktur als Spieleautor vor etwa fünf Jahren aufgefallen, da sie mit Eigenschaften gekoppelt ist, die sich richtig eingebettet in ein Spiel spieldynamisch auswirken müssen.
Die Projektive Ebene der Ordnung 2 hat sieben Punkten (Felder bzw. Löcher) und sieben Geraden (Die Geraden sind nun das einzige, was der Spieler im formalen Sinne verstehen muß!). Geraden bestehen immer aus drei Punkten. Es gibt die drei Außenkanten des Dreiecks, die drei Höhen und den Kreis, die jeweils eine Gerade bilden oder im Sinne des Spiels eine Gewinnmenge.
Die Mathematiker haben als bildliche Darstellung für die Projektive Ebenen nie eine bessere als die gegebene gefunden. Dieses Bild suggeriert einige Symmetrien. So sind die drei Eckfelder oder die drei Felder auf dem Kreis durch Drehsymmetrie ineinander überführbar. Es gibt aber noch weitere optisch nicht sichtbare, aber formal feststellbare Symmetrien. Dies kann man sich plausibel machen, indem man feststellt, dass jedes Feld zu genau drei Gewinnmengen gehört. Formal ist es sogar so, dass unter dem Aspekt der Gewinnmengen betrachtet jedes Feld strukturgleich zu jedem anderen ist, das heißt sie im formalen Sinne ineinander überführbar sind, ohne dass die Gewinnmengen sich verändert darstellen würden.
Der Spielplan ist selbstähnlich aufgebaut. Im Kleinen bilden die sieben Punkte mit den Linien eine Projektive Ebene und im Großen bildet das gesamte Spielfeld mit sieben Dreiecken und den Linien dazwischen eine Projektive Ebene. Alle Eigenschaften der Projektiven Ebene, die für das Spiel relevant sind, lassen sich auch auf die größere, selbstähnliche Struktur, d.h. das Spielfeld, übertragen. Auch das Spielziel ist selbstähnlich definiert: Ein Dreieck ist erobert, wenn ein Spieler eine Gewinnmenge (Linie oder Kreis) mit eigenen Steckern besetzt und das Spiel ist gewonnen, wenn ein Spieler drei Dreiecke auf einer Gewinnmenge (Linie oder Kreis) erobert.
Wie oben beschrieben sind Felder in einem Dreieck formal (d.h. unter dem Aspekt der Gewinnmengen gesehen!) symmetrisch zueinander. Analog gilt dies für die Dreiecke im Großen. Verknüpft man beide Eigenschaften, so ergibt sich insgesamt, dass jedes Feld auf dem Spielfeld formal symmetrisch zu jedem anderen ist. Dies führt zu der Aussage, dass das Spielfeld keinen strategischen Rand und keine strategische Mitte besitzt, sondern jede strategische Situation an jeder Stelle gleichartig auftauchen kann. Eine strategische Situation ist auch nicht generell durch das Spielfeld gegeben, sondern ergibt sich viel stärker durch die Stellung der Stecker. So wirkt es zu Beginn des Spiels relativ beliebig, wie man spielt, was sich aber dann mit jedem weiteren Zug ändert.
Die Projektive Ebene als Spielfeld hat mit der spielerischen Aufgabe Positionen zu besetzen starke Nähe zum Tic-tac-toe mit dem 3 x 3 - Raster. Allerdings besitzt sie die interessanteren Eigenschaften.
So ist es unmöglich, dass beide Spieler eine Gewinnmenge besetzt halten. (Oder präziser: Zwei Gewinnmengen haben immer ein Feld gemeinsam!). Damit hat ein Spieler, der ein Dreieck erobert, dies eindeutig gewonnen, weil er gleichzeitig damit verhindert, dass der andere Spieler es erobern kann. Diese Struktureigenschaft führt zu einer verstärkten gegenseitigen Konkurrenz.
Auch diese Eigenschaft wirkt auf dem gesamten Spielfeld. In der mathematischen Literatur werden solche Positionsspiele Maker-Breaker-Spiele genannt. Als Spieler kann man sich sowohl in der Maker-Rolle fühlen, die versucht das Spielziel zu erreichen, als auch in der Breaker-Rolle, die versucht, das gegnerische Spielziel zu verhindern. Beide Rollen sind im strategischen Sinne identisch, weil das Erreichen einer Gewinnmenge gleichzeitig und immer nur dann jede gegnerische Gewinnmenge verhindert.
Eine weitere Eigenschaft ist besonders faszinierend und ungewöhnlich: Werden alle sieben Felder der Projektiven Ebene mit Steckern in den zwei Spielerfarben besetzt, so muß es einen Spieler geben, der eine Gewinnmenge erobert hält. Dies gilt, egal welche Steckerverteilung man wählt. Probieren Sie einfach mal aus, die Stecker so zu platzieren, dass kein Spieler eine Gewinnmenge hat, und sie werden sehen, dass sie daran scheitern müssen. Das heißt mit jedem Stecker, der mehr in eine Projektive Ebene gesetzt wird, ergibt sich zwangsläufig eine Verschärfung der Spielsituation und spätestens sobald alle Felder besetzt sind, muß es einen Spieler geben der das Dreieck erobert hat. Auch diese Eigenschaft paßt zur Selbstähnlichkeit des Spielfelds und des Spielziels. Denn spätestens, wenn alle 49 Felder des Spielfeldes mit Steckern besetzt sind, sind alle sieben Dreiecke von den beiden Spielern erobert und nach analoger Argumentation, muß es dann auch einen Spieler geben, der drei Dreiecke auf einer Gewinnmenge erobert hält und damit das Spiel gewinnt. Da der Rhythmus des Spiels so ist, dass in jedem Zug ein Stecker mehr auf das Spielfeld kommt, muß das Spiel nach spätestens 48 Zügen (ein Stecker steht schon zu Beginn des Spiels auf dem Spielfeld!) beendet sein und einen Sieger ergeben. D.h. es ist unmöglich, dass das Spiel auf unentschieden hinausläuft. Dies bedeutet, dass das Spiel von zwei strategischen Idioten lediglich nach der Regel gespielt werden kann, und diese irgendwann ein Sieger feststellen werden. Es bedeutet aber vielmehr, dass sich in jedem Zug die strategische Situation zuspitzt, weil man zwangsläufig einem Sieg immer näher kommt. Damit hat man eine stetig ansteigende Brisanzkurve, wie man sie sich für einen dynamischen Verlauf eines Spiels wünscht, die durch das Gefühl der Beliebigkeit der Züge zu Beginn des Spiels aufgrund der symmetrischen Gleichheit der Felder noch verstärkt wird.
Es war nicht möglich, das Spiel als reines Positionsspiel anzubieten, bei dem jeder Spieler abwechselnd seinen Stecker setzt, denn dafür gibt es eine leicht zu beschreibende Gewinnstrategie, die sich sogar wiederum auch im selbstähnlichen Sinne beschreiben läßt. Dies war Anlaß nach einem komplexeren Zugrhythmus zu streben, der mehr strategische Tiefe beinhaltet, auf die Auswirkungen der Struktureigenschaften Rücksicht nimmt und sie für den Spieler erlebbar macht.
Der Zugrhythmus ist so, dass man im eigenen Zug seine Konstellation durch das Versetzen eines eigenen Stecker verbessern kann und gleichzeitig dafür sorgt, wohin der Gegenspieler einen Stecker bekommt. Damit ist man mehr als in anderen Spielen darauf angewiesen, was der Gegenspieler für die eigenen Stecker tut und muß sich damit auch mehr auf den Gegenspieler einlassen. Insgesamt ist es schwerer als im reinen Positionsspiel optimale Positionen besetzt zu bekommen, so dass das Spiel im Vergleich zum reinen Positionsspiel auch mehr Züge braucht und damit engere Kopplung mit dem Brisanzphänomen „ nie unentschieden“ hat.
Die Bewegung des eigenen Steckers kann nur innerhalb der Dreiecks oder auf dieselbe Position eines anderen Dreiecks gemacht werden. Mit dieser Regel gewinnen die Positionen im Dreieck Bedeutung, denn eine Positionen in einem unbesetzten Dreieck, die man in keinem anderen Dreieck besetzt hält, kann man erst nach zwei Bewegungsschritten erreichen. Da es spieldynamisch in Positionsspielen häufig um Vorhandsituationen geht, können bestimmte Positionen das Ausnutzen der Vorhand unmöglich machen, obwohl man am Zug ist.
Das reine Positionsspiel zeigt, dass es eine Gewinnstrategie für den ersten Spieler gibt und im Allgemeinen ist es so, dass der erste Spieler in Positionsspielen einen Vorteil hat (Strategienklauargument), weil es um das Festlegen von optimalen Positionen geht und mit jeder Festlegung verhindert wird, dass der Gegner im weiteren Spielverlauf dort hin kann und damit die Frühzeitigkeit des Festlegens ein latenter Vorteil ist. In Zwei-Personen-Strategie-Spielen (ohne Zufall, mit vollständiger Information) existiert immer eine Gewinnstrategie oder Unentschiedenstrategie (unentschieden ist hier aber nicht möglich!) und es ist sehr wahrscheinlich (aber nicht sicher!), dass es in Fire and Ice eine für den ersten Spieler gibt (wie bei den meisten Positionsspielen!). Ich habe aber nach vielen Analysen und Spielpartien kein Pattern gefunden, nach dem der erste Spieler sicher gewinnen kann und darauf kommt es entscheidend an, denn von Mühle ist auch per Computeranalyse bekannt, dass es eine Gewinnstrategie für den ersten Spieler gibt. Diese ist allerdings so komplex und ohne strukturellen Bezug, dass sie für keinen Spieler nachvollziehbar und erlernbar ist und damit in der Spielpraxis keine Bedeutung besitzt.
Im Vergleich zum reinen Positionsspiel ist der Vorteil des ersten Spielers auch abgeschwächt, weil immer dann ein Vorteil für einen Spieler besteht, wenn er einen Stecker mehr als der andere auf dem Spielfeld hat. Diese Vorteilssituation ergibt sich aber dann, wenn der Gegenspieler am Zug ist. Somit unterliegt es dem Gegenspieler wie sehr er diese Tatsache zu einem Vorteil des anderen werden läßt.
Insgesamt steckt für mich sehr viel ‚Herzblut‘ in dem Spiel, da es meine zwei Leidenschaften Spiel und Mathematik auf einem nach meinem Dafürhalten attraktiven Niveau miteinander verknüpft. Meine Hoffnung ist, dass Fire and Ice für die Spieler Ideen von Eigenschaften der Projektiven Ebene sowie ein Gefühl dafür vermittelt und, falls sie später einmal auf anderer Ebene damit konfrontiert werden, leichter einen Verständniszugang dazu finden. In diesem Sinne empfinde ich Fire and Ice als etwas pädagogisch sinnvolles und damit mit einem gesellschaftlichen Wert versehen, ohne dabei außer acht zu lassen, dass es gegenüber den Spielern als herausforderndes Spiel antritt und diese Herausforderung auch besteht.
Jens-Peter Schliemann
Spieleautor