Das am 25. Mai erschienene Open-Word-Rollenspiel Biomutant spaltet aktuell die Spieler in zwei Lager: Die, die das Spiel mit sehr guten Bewertungen und Lob überschütten und jene, die es für eine der größten Enttäuschungen 2021 halten. Von den Nutzerbewertungen auf metacritic sind immerhin 59 Prozent positiv, 33 Prozent negativ und gerade einmal 8 Prozent durchschnittlich. Die Fachpresse bewertet das Spiel dagegen mehrheitlich durchschnittlich, kommt unterm Strich aber zur gleichen Bewertung wie der Durchschnitt aller Spieler. Was ist dran an der Kritik?
Ist die Charaktererstellung in Biomutant irrelevant?
Viele Kritiker und sogar die Fachpresse betrachten die Auswahl eurer Mutation, Spezies und eurer Klasse als irrelevant. Aber ist es wirklich egal, was ihr bei der recht komplexen Charaktererstellung wählt? Das Entwicklerstudio Experiment 101 wollte es euch ermöglichen auch nach der Charaktererstellung euren Waschbär noch in alle Richtungen zu entwickeln. Insgesamt können tatsächlich alle Klassen trotzdem zaubern und sämtliche Waffen tragen. Auch werden die vergebenen Wertepunkte mit steigendem Level weniger bedeutend.
Dennoch ist es möglich sich so stark zu spezialisieren, dass ihr einen Wert zu Beginn um 100 Punkte steigern könnt. Im Test hatten 100 zusätzliche Punkte mehr in Intelligenz als Psi-Freak (Magier-Klasse) einen spürbaren Einfluss. Bedenkt hier, dass ihr nach jedem Level nur 10 Punkte in einen bestimmten Wert investieren könnt. Das heißt, dass der Unterschied erst in 10 Leveln wieder aufgeholt werden kann. Bei einer maximalen Stufe von 50 könnt ihr demnach nur 500 Wertepunkte verteilen. Ihr solltet daher eure Werte durchaus mit Bedacht wählen, da sie über eine lange Spielzeit relevant sein werden.

Die Mutation eures Charakters bestimmt die Werte zum Anfang erheblich. Ihr werdet allerdings später noch die Chance haben, die Werte neu auszubalancieren.
Unterschiedliche Klassenboni
Neben verschiedenen Charakterwerten, die gleichzeitig auch eure Größe und das Gewicht bestimmen, könnt ihr außerdem aus fünf verschiedenen Klassen wählen. Eine sechste Klasse (Söldner) erhaltet ihr als Vorbesteller. Ihr habt die Auswahl zwischen den Klassen Scharfschütze, Kommando, Psi-Freak, Saboteur und Wächter. Der Scharfschütze und Kommando sind die Klassen mit Pistolen und Gewehren, der Psi-Freak ist die Zauberer-Klasse, der Saboteur und Wächter sind die Nahkampf-Klassen. Die unterschiedlichen Perks sind allerdings wirklich eher eine Starthilfe und können später noch erlernt werden.
Dennoch ist die Klasse die bedeutendste Wahl bei der Charaktererstellung, denn sie ist selbst beim Game-Plus nicht änderbar. Jede Klasse hat nämlich auch einige wenige Klassen-Perks, die speziell zu dieser Klasse gehören. Zwar teilen sich zum Teil die Klassen auch manche Perks, aber es gibt auch einzigartige, die einen großen Unterschied bedeuten können. Im Test hat eine Fähigkeit des Psi-Freaks einen so spürbaren Unterschied gemacht, dass ihr glauben könntet, ihr hättet den Schwierigkeitsgrad gerade heruntergesetzt. Mit dieser Fähigkeit erhält der Psi-Freak nämlich 20 Prozent seines Zauberschadens als Heilung zurück. Habt ihr sehr viele Punkte in Intelligenz investiert, solltet ihr in Sekunden euer Leben vollständig auffüllen können.

Bei der Erkunden stoßt ihr hin und wieder auf kleine Festungen, die nach Ausschalten der Gegner einen Fähigkeitspunkte-Kodex beinhalten. Mit Fähigkeitspunkten erlernt ihr eure Perks.
Eine Story mit klarem Ausgang
Die Story gehört zu den Hauptkritikpunkten an Biomutant. Das Setting der Postapokalypse ist alles andere als neu. Doch hier spielt ihr einen Waschbär in einer Welt, in der die Menschen bereits ausgestorben sind. Die neue Welt der Waschbären scheint jedoch nicht weniger konfliktreich zu sein. So könnt ihr euch anfangs für einen von zwei Stämmen entscheiden. Später habt ihr aber noch die Gelegenheit zu desertieren und euch einem von vier weiteren Stämmen anzuschließen. Euer Ziel kann es sein, die verschiedenen Stämme zu vereinen oder aber auszulöschen. Ebenso könnt ihr den sogenannten „Lebensbaum“ vor den Weltenfressern retten oder ihn sterben lassen. Euer Stamm entscheidet also maßgeblich über euer Spielziel und das Spielende.
Leider ist damit auch die Story im Großen und Ganzen erzählt. Eure Ziele und das Ende legt ihr am Anfang des Spiels also bereits fest und werdet hier leider auch keine größeren Überraschungen erleben. Auch die Nebenmissionen sind hauptsächlich Sammelobjekte oder für die Story irrelevante Aufgaben der Dorfbewohner. Biomutant reiht sich damit in eine Liste vieler Open-World-Rollenspiele ein, die keine packende Story erzählen, sondern vor allem die üblichen Standard-Elemente zum Strecken der Spielzeit nutzen.

Ihr entscheidet: Wollt ihr den Lebensbaum retten oder ihn sterben lassen?
Erzähler als häufigster Kritikpunkt in Biomutant
Der Erzähler, der euch durch die Welt von Biomutant begleitet, ist wohl der mit Abstand am häufigsten genannte Kritikpunkt. Nicht etwa, weil der Synchronsprecher seine Aufgabe nicht gut gemacht hätte, sondern eher, weil die Texte sehr belanglos und langatmig sind. Die Bewohner sprechen mit euch eine unverständliche Fantasiesprache, die der Erzähler für euch übersetzt. Zuerst hört ihr also den Dialog in der Fremdsprache und erst danach den Erzähler in eurer gewählten Sprache. Das streckt die ohnehin sehr langen und unbedeutenden Dialoge weiter in die Länge. Inhaltlich versuchen euch die Hauptcharaktere immer wieder Binsenweisheiten einzuflößen, die auch aus einem Glückskeks stammen könnten. Zudem sind einige Dialoge auch völlig identisch. Unter anderem bei den 25 auf der Karte verteilten gefangenen Pilgern, teilweise aber auch Dialoge der Hauptmissionen, in denen ihr identische Fragen und Antworten findet.
Eure Antwortmöglichkeiten passen zum Teil nicht einmal genau auf die Frage. Andersherum stellt auch ihr den NPCs häufiger Fragen, die er dann aber gar nicht konkret beantwortet. Oft habt ihr zwei oder drei Fragen zur Auswahl, könnt aber hinterher die verbleibenden Fragen nicht mehr stellen. Durch die inhaltsleeren und langatmigen Dialoge ist die ohnehin schon wenig kreative Story so auch noch uninteressant erzählt. Gerade im Tutorial, welches ungefähr die erste Spielstunde einnimmt, haben so viele Spieler die Lust verloren. Das eigentliche Spiel beginnt erst, nachdem ihr euch für einen Stamm entschieden habt. Bleibt also geduldig, um euch ein Urteil vom Gameplay bilden zu können.
Eine Fülle an Missionen und Sammelobjekten
Quantitativ kann man dem Spiel allerdings nicht vorwerfen, euch zu wenig zu bieten. Es gibt wirklich eine hohe Zahl an Nebenmissionen und Sammelobjekten. Das Spiel zeigt euch auch, ob ihr noch wichtige Truhen oder Objekte in eurem aktuellen Bereich sammeln könnt oder alles Wichtige gefunden habt. Nicht selten werdet ihr zur Komplettierung eine ganze Weile suchen müssen. Die recht bunte und schön gestaltete Welt zu erkunden, kann durchaus eine entspannende Beschäftigung sein und Spaß machen. Es kommt hier sehr darauf an, wie sehr ihr die typischen sich wiederholenden „Open-World-Elemente“ mögt.
Häufig begegnen euch bei eurer Erkundungstouren verschiedene Rätsel, bei denen ihr meist die orangen und weißen Punkte verbinden müsst. Mal müsst ihr eine Mikrowelle öffnen, mal Kabel neu verlegen oder eine Gitarre neu stimmen. Das Prinzip ist jedoch bei allen Rätseln nahezu das Gleiche. Dabei hängt die Zahl der Versuche bis zum Neustart des Puzzles von euren Intelligenzpunkten ab. Schwierig sind die Rätsel allerdings nicht und ihr werdet sie in aller Regel im ersten Durchgang ohne Probleme lösen können.

Die Rätsel folgen fast alle dem gleichen Muster, jedoch sind sie optisch sehr abwechslungsreich gestaltet.
Biomutant ist „einsteigerfreundlich“
Wer ein leichtes Spiel für den Feierabend zum Herunterkommen sucht, könnte mit Biomutant durchaus Spaß haben. Große Herausforderungen bietet es euch allerdings selbst auf der höchsten von den drei Schwierigkeitsstufen nicht. Grundsätzlich spricht natürlich nichts dagegen ein Spiel einsteigerfreundlich zu gestalten, aber wenn es schon Schwierigkeitsstufen gibt, sollte die schwerste Stufe euch etwas häufiger ins Schwitzen kommen lassen. Zögert also keineswegs, das Spiel auf „schwer“ zu stellen, damit zumindest hin und wieder eine Herausforderung auf euch wartet. Hier wäre ein besseres Balancing wünschenswert gewesen. Auch ein vierter oder gar fünfter Schwierigkeitsgrad hätte Abhilfe schaffen können.
Das Kampfsystem ist recht simpel gestaltet und leider ebenfalls nicht sehr ausgeglichen. Ihr habt es im Fernkampf, also mit Pistolen, Gewehren oder Magie in den meisten Fällen deutlich leichter. Es gibt zwar auch Gegner, dessen Panzer ihr nicht mit Kugeln zerstören könnt, aber stattdessen mit Magie. Somit kommt ihr theoretisch auch ohne Nahkampf sehr gut aus und kassiert natürlich weniger Schaden als wenn ihr direkt vor euren Gegnern stehen müsstet. Wer die Herausforderung also steigern möchte, sollte in jedem Fall eine Nahkampfklasse spielen. Bis auf die Weltenfresser höchstpersönlich und einige anstürmende Minibosse wird euch hingegen als Fernkampfklasse kaum etwas gefährlich werden.

In den Gefahrenzonen benötigt ihr bestimmte Resistenzen und findet dort allerlei Ausrüstung und kleine Minibosse.
200 Millionen mögliche Waffenkombinationen
Das Crafting-System von Biomutant erscheint auf den ersten Blick etwas wirr, ist grundsätzlich aber recht simpel gestaltet: Ihr habt zunächst immer eine Basis-Waffe, die vorgibt, was für einen speziellen Waffentyp ihr herstellt. Der höchste Schadenswert wird hierbei vom Basis-Teil bestimmt, welches dann durch weitere Waffenteile ergänzt werden kann. Die vielen unterschiedlichen Kombinationen können zu sehr witzigen Waffenmodellen führen. So habt ihr beispielsweise eine Banane als Griff oder Klobürste als Basis-Waffe, so wie ihr es sicher auch von postapokalyptischen Waschbären erwartet habt. Die Zusatzteile erhöhen den Schaden allerdings nur noch marginal. Positiv ist, dass ihr jederzeit alles austauschen und so stetig eure Waffe mit besseren Teilen versorgen könnt.
Leider ist es nicht möglich die entsprechenden Bauteile nach verursachtem Schaden zu sortieren. Stattdessen könnt ihr jedoch auf den Verkaufswert achten und euch einfach die zwei bis drei wertvollsten Teile anschauen und vergleichen. So erspart ihr euch das einzelne Vergleichen der unzähligen Mods. Da ihr so gut wie nie fertige Waffen finden werdet, seid ihr bei euren Waffen auf das eigene Herstellen stark angewiesen. Bei eurer Kleidung seid ihr allerdings vollständig von Händlern und Zufallsfunden abhängig, da ihr diese nicht selbst herstellen könnt. Zusätzlich könnt ihr die Qualität und die Stufe eurer Waffen und eurer Ausrüstung an einer Verbesserungswerkbank geringfügig gegen eine Hand voll Ressourcen aufwerten.

Die scheinbar unendlichen Kombinationsmöglichkeiten lassen Raum für sehr witzige Kombinationen.
Aura-System ohne größere Konsequenzen
Viele unter euch haben sich vielleicht auch auf das Aura-System gefreut, welches euch je nach Entscheidung gute oder negative Karma-Punkte einbringen soll. In Biomutant gibt es die helle und dunkle Seite, die je nach Entscheidung Punkte erhält. Beispielsweise könnt ihr Tiere fangen und habt die Wahl zwischen streicheln und freilassen, nur freilassen oder den Hals umdrehen. Man könnte auch sagen: Hell, neutral und dunkel. Insgesamt zeigt euch das Spiel innerhalb der Dialoge immer sehr offensichtlich, was ihr für hell bzw. dunkel wählen müsst. Je nachdem welche Aura mehr Punkte hat, erhaltet ihr dann in jeweils zwei unterschiedlichen Abstufungen eine Aura-Bewertung. Diese beeinflusst unter anderem, welche Stämme euch aufnehmen würden und welche nicht.
Die Punktzahl – unabhängig von der Verteilung – schaltet außerdem nach und nach verschiedene Fähigkeiten frei. In der Spitze benötigt ihr hier 30 Punkte auf heller Seite bzw. auf dunkler Seite. Es ist also möglich alle Fähigkeiten zu erlernen, egal ob ihr als „maximal hell“ oder „maximal dunkel“ eingestuft seid. Das Aura-System hat demnach durchaus eine Relevanz, allerdings behandelt euch die Umgebung nur selten anders, egal ob hell oder dunkel. Hier hätten sich viele Spieler deutlich mehr Tiefgang gewünscht.

Die personifizierte helle und dunkle Seite sind die einzigen weiteren Sprechrollen neben dem Erzähler.
Fazit
Biomutant war für viele der Hoffnungsstern der Open-World-Rollenspiele 2021. Doch die sehr hohen Erwartungen konnte das noch junge Entwicklerstudio Experiment 101 nicht erfüllen. Dennoch gibt es viele, die auch viel Spaß in der Waschbären-Postapokalypse haben und über die Nachteile hinwegsehen können. Insgesamt hätten sich viele eine packende Story und sehr viel mehr Tiefe in den einzelnen Spielelementen gewünscht. Zwar bietet Biomutant sehr viel an, jedoch hätten stärker ausgearbeitete Elemente das Spiel interessanter gemacht als nur quantitativ das größtmögliche Spektrum abzudecken.
Wenn ihr hohe Erwartungen an die Story bei einem Open-World-Spiel habt, wie ihr sie von Witcher 3 oder Skyrim kennt, ist Biomutant vermutlich die falsche Wahl. Habt ihr allerdings viel Freude an einem schön gestalteten, unverbrauchtem Setting mit den gängigen Open-World-Elementen kann Biomutant eine schöne Abwechslung darstellen und viele Abende mit Leben füllen. Ihr könnt Biomutant aktuell für den PC, die PlayStation 4 und Xbox One erwerben.
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Transparenzhinweis: Das Spiel „Biomutant“ für den PC wurde für diesen Test von THQ Nordic zur Verfügung gestellt.