Beitragvon Ralf Arnemann » 15. September 2006, 11:44
PEEP: Tempus
von Martin Wallace (Verlag: Pro Ludo)
3-5 Spieler, ab 12 Jahren
Flotter Fortschritt für bekannte Mechanismen
Sehnsüchtig erwartet, endlich eingetroffen. Selten ist ein Spiel schon im Vorfeld so diskutiert worden. Das liegt am Autor, der sich einen Namen mit originellen Spielen gemacht hat. Und an der kolportierten Aussage, hier wäre das legendäre „Civilization“ in eine schnell spielbare Form gebracht worden.
Ja, etwas „Civ“ spürt man noch bei „Tempus“. Und auch etwas „Goa“. Vor allem aber, doch etwas überraschend, sehr viel „Big Kini“.
Originell ist also „Tempus“ nicht so sehr wegen der Spielmechanismen. Die hat man alle schon mal irgendwo gesehen. Wohl aber ist es originell beim Zusammenbau. Die greifen gut und ausgewogen ineinander, das ist sehr professionell gemacht.
Und natürlich: Alle Spiele sind ein bißchen wie „Siedler“. Was hier heißt, man baut sich zum Start eine Karte mit den bekannten fünf Landschaften.
Das Material ist gut gemacht, mit kleinen Schwächen (Karten leicht durchgebogen, einige Stanzteile nicht sauber), das wurde hier schon diskutiert. Insgesamt aber eine ordentliche Kollektion aus Holz und stabiler Pappe, alles nach heute üblichem Standard.
Die Graphik gefällt mir sehr gut, insbesondere bei der Städte-Gestaltung. Die Symbole sind gut verständlich und erleichtern einen intuitiven Einstieg ins Spiel.
Ausnahme: Die Spielhilfekärtchen für jeden Spieler sind so schlecht, denen widme ich nachher eine eigene Diskussion hier im Forum.
Aber für die Spielhilfen gilt wie für das zusätzlich beigegebene Material: Wenn man das Spiel nach der im Prinzip sehr guten Regel verstehen will, können einen die unerklärlichen Zusatzteile und die Fehler auf der Spielhilfe zum Wahnsinn treiben.
Wenn man aber gewarnt ist, kann man Spielhilfen und Zusatzmaterial einfach ignorieren - und schon ist alles perfekt.
Neben der Karte finden wir auf dem Spielbrett das zweite wesentliche Spielelement: Die Fortschrittstabelle. Mit fortschreitender Spielzeit verbessern hier die Spieler wie bei „Goa“ ihre Möglichkeiten: Größere Bewegungsreichweite, mehr Vermehrung, mehr Aktionen usw.
Der entscheidende Punkt ist aber: Alle Spieler benutzen dieselbe Tabelle, rücken nach jeder Runde auf den gleichen Fortschrittsstand auf, und es geht „nur“ darum, in der nächsten Runde dem Feld einen Schritt voraus zu sein und dadurch neue Vorteile als erster und für eine Runde alleine nutzen zu können.
Das mag wenig erscheinen. Aber generell geht es bei „Tempus“ darum, kleine Vorteile zu sammeln und damit insgesamt sein Reich stärker ausweiten zu können als die der Mitspieler.
Die Runden selber gehen flott von der Hand. Reihum spielt Jeder seine je nach Spielstand 3 bis 6 Aktionen. Und hier ist die Parallele zu „Big Kini“ wirklich sehr deutlich - wobei m. W. die beiden Spiele völlig unabhängig voneinander entstanden sind.
Die Aktionen sind ganz schlicht und schnell. Man hat Vermehrung, Bewegung, Kampf, und Kartenziehen zur Auswahl. Im Unterschied zu „Big Kini“ sind die Aktionen nicht begrenzt, jeder Spieler kann im Rahmen seiner Gesamtzahl eine Aktion beliebig oft machen. Und dann gibt es die Aktion Städtebau. Da blitzt noch einmal etwas „Civ“ auf, wenn die vorher gestapelten Pöppel durch eine Stadt gleicher Stärke ersetzt werden.
Und um die Städte geht es letztlich: Sie bringen den größten Teil der Siegpunkte, wenn nach 10 Runden abgerechnet wird.
Und um die nötige Anzahl Städte zu bauen, braucht man ein ordentliches Stück Territorium auf dem Spielbrett. Das entwickelt sich, wegen der geringen Bewegungsweiten recht zusammenhängend, aus dem Gebiet, daß man sich anfangs mit seinen drei Startpöppeln als Kern gesichert hat.
Diese Anfangsposition ist wohl ganz kritisch für den Spielgewinn. Wer sich da ein vernünftiges Hinterland sichern kann, hat beste Aussichten. Wer hingegen zu viele Streitpunkte mit anderen Spielern vorfindet, wird das schwer ausgleichen können.
Denn die Kämpfe sind zwar schlicht und nicht sehr verlustreich (vor allem für den Angreifer), aber sie kosten wertvolle Aktionen. Wer ungestört bleibt und seine Aktionen auf Vermehren, Bewegen, Städtebau konzentrieren kann, kann auf viele Siegpunkte hoffen - wenn er sich ein ausreichendes Territorium gesichert hat.
Wer dagegen kämpft, verliert Tempo, und gewinnt direkt wenig, höchstens den Zugang zu etwas mehr Platz bzw. er schadet dem angegriffenen Mitspieler.
Der Spielablauf wird modifiziert durch die Aktionskarten. Mit denen kann man die diversen Aktionen verbessern, in Kämpfen mehr Stärke gewinnen oder beim Fortschritt in die nächste Epoche die Nase vorne haben. Sie geben viele zusätzliche taktische Möglichkeiten.
Wie überhaupt „Tempus“ ein vorwiegend taktisches Spiel ist, man optimiert jede Runde seine Möglichkeiten je nach aktueller Lage.
Da alle Spieler gleichermaßen beim Fortschritt partizipieren, gibt es keine strategischen Festlegungen außer eben der Wahl der Startposition und die Frage, in Richtung welcher Spieler man sich ausbreitet oder gar Kämpfe führt.
„Tempus“ ist ein gut konstruiertes, flottes Spiel. Ein bis eineinhalb Stunden sollten je nach Spielerzahl das Übliche sein. Es ist aber nicht abzusehen, ob es auch langfristig seinen Spielreiz behält, da wird es wohl auch mehr als sonst auf die Mitspieler und deren Spielphilosophie ankommen.