Beitragvon Marten Holst » 25. Oktober 2006, 11:40
Moin Stefan,
ein entscheidender Unterschied, der hier auf keinen Fall verwischt werden sollte, ist aber, dass bei dem Begriff "Zensur" häufig auf den Begriff der "Meinungsfreiheit", der ihr entgegen stehe, bezug genommen wird. Beides ergibt aber nur im Kontext des Umgangs des Staates mit seinen Bürgern Sinn. Fängt man an (und ja, es wird im allgemeinen Sprachgebrauch angefangen), das eine zu verallgemeinern, so ergibt sich hier ein steter Quell der Freude über falsche Grundrechtsverletzungsanschuldigungen, denn die werden hier nicht beschnitten.
"Zensur" im Sinne von "aktive Hinderung eines Bürgers durch den Staat an der Veröffentlichung seiner Meinung" ist in Deutschland im Prinzip verboten - es sei denn, andere Rechte werden dabei beeinträchtigt, dann muss abgewogen werden.
Die Weigerung eines Internetforenbetreibers, irgendwelche Themen in seinen Foren nicht haben zu wollen, hat damit nichts zu tun und ist vollständig legitim.
Zwar ist es richtig, dass Sprache lebt, und man irgendwann einsehen muss, dass die Gegenwehr sinnlos ist, weil Leute etwas inzwischen anders verstehen. Andererseits muss man auch nicht gleich auf jeden "Gebrauchsmodetrend" aufspringen, wenn er, wie hier, unpraktisch ist. Denn die Ausdehnung des Begriffes Zensur von "aktive Hinderung durch den Staat" auf "passive Hinderung (durch Nichthilfe) durch irgendwen" lässt glauben, dass das prinzipielle Zensurverbot sich auch hierauf erstreckt. Der Gedanke ist falsch, und etwas Sprachpräzision hier daher sehr nützlich :-)
Tschüß
Marten
> Der neben mir liegende Duden setzt die Wortbedeutung
> "Zensurieren" im österreichischen und schweizerischen
> Sprachgebrauch gleich dem "Zensieren" im Deutschen. Mag
> sein, dass Dir bessere Quellen zur Verfügung stehen als der
> Duden, denn der ist ja beileibe nicht frei von
> Widersprüchlichkeiten.
>
> So findet man darin - zumindest in meiner Ausgabe - unter
> "Zensur" u. a. die Angabe: "Behördliche Prüfung und
> gegebenenfalls Verbot von Büchern, Theaterstücken u. ä."
> und später weiter: "Verwerfung einer theologischen
> Lehrmeinung (kath. Kirchenrecht)".
>
> Während also bei der Beschreibung der Sprachbedeutung für
> "Zensieren" nur die Rede von einer "Bewertung", "Prüfung",
> "Schätzung" ist - wie von Dir, lieber Gustav, gemäß Duden
> korrekt wiedergegeben -, umfasst die Sprachbedeutung für
> "Zensur" auch das Aussprechen eines Verbots und darüber
> hinaus die Verwerfung, also ein aktives Einschreiten.
> Beides wird zwar in einen eingrenzenden Zusammenhang
> (behördlich und kath. Kirchenrecht) gestellt, aber müsste
> sich das "Zensieren", also das Ausüben der Zensur, dann
> nicht konsequenterweise auch hierauf erstrecken?
>
> Wie auch immer: Sprache lebt in der Gegenwart und
> Wortbedeutungen ändern sich genauso wie unsere Umwelt.
> Meine Duden-Ausgabe entstammt einem Veröffentlichungsjahr,
> als das Internet noch jung war und öffentliche Foren noch
> nicht durch Admins auf rechtlich und moralisch
> unbedenkliche Inhalte geprüft (zensiert) werden mussten.
> Heute müssen sie das und damit obliegt ihnen die gleiche
> Aufgabe wie einer "behördlichen Prüfung". Die Verwerfung
> (Löschung) von Beiträgen findet ebenfalls statt. Eine
> Erweiterung des Sprachgebrauchs "Zensur" und deren
> Ausübung "Zensieren" hat in unserer Gesellschaft also
> längst stattgefunden. Die Reduzierung der sprachlichen
> Anwendung auf die lateinische Bedeutung ist nicht mehr
> zeitgemäß. Aber selbstverständlich ist es von großem
> Nutzen, die Herkunft und die ursprüngliche Bedeutung des
> Wortes zu kennen.
>
> My2Cents
>
> Stefan