Beitragvon Roman » 18. Januar 2008, 23:36
Hallo Frank,
in der von Karl Valentin schon früh prophezeiten Lokik jedes Internetforums "Es ist schon alles gesagt - nur nicht von allen" möchte ich auch noch was beisteuern, um den Thread zu verlängern:
> Ich würde hier gerne einmal darüber diskutieren, ob es sich
> denn wirklich nicht mehr lohnt, Spiele für anspruchsvolle
> Spieler (Bitte, keine Streitereien über diesen Begriff!) zu
> machen.
Ich denke wie einige andere, dass aktuell ein großes Angebot an guten bis sehr guten komplexen Spielen existiert (man nehme aktuell mal Cuba, Hamburgum, Im Jahr des Drachen, Agricola, Tribun und andere) und auch für anspruchsvolle Spieler genügend Vielfalt vorhanden sein dürfte, um sich die Zeit zu vertreiben.
Was sich in meinen Augen verschoben hat, sind die Verlage, die solche Spiele veröffentlichen, denn die Tendenz geht hier klar zu Kleinverlagen. Was aber für den ambitionierten Spieler kein Manko darstellt, da sich auch Kleinverlage mittlerweile, was zum einen die redaktionelle Arbeit als auch den für ihre Zielgruppe relevanten Vertrieb anbelangt, so gut positioniert/professionalisiert haben wie selten zuvor. Du bekommst ein Cuba mit Menzel-Grafik, und die meisten Kleinverlagshighlights sind abgesehen von zwischenzeitlichen Lieferengpässen aufgrund des (angesichts der Zielgruppe) großen Ansturms nur einen Mausklick und ein bis drei Tage DHL entfernt.
Eigentlich ist das m. E. ein Schlaraffenland für Spieler. Sicher, auch ich bin skeptisch, welche Kleinverlage sich wie lange halten werden - einige werden je nach Engagement der Verleger auch schnell wieder weg sein, andere dafür kommen. Aber das ist Kaffeesatzleserei.
>
> Halloooo!
> Ich rufe hilfesuchend in die Welt: Gibt es denn keine Chancen
> mehr für den anspruchsvollen Markt?
Angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der Spieleveröffentlichungen und Verlage derzeit eher steigt als fällt und darunter sehr vieles - und vor allen Dingen auch qualitativ Anständiges, wenn auch nicht jedesmal Weltveränderndes - für anspruchsvolle Spieler zu finden ist, sehe ich keinen Grund für Untergangsstimmung.
Wovon man sich allerdings in der Tat verabschieden sollte, ist die Illusion, dass einer der derzeit großen Verlage mit entsprechender Manpower, die alle allzu verständlicherweise für ihren Job bezahlt werden wollen, sich Experimente, die in Verkaufszahlen zwischen 3000 und 5000 enden, leisten mag. Dafür haben sie in der jüngsten Vergangenheit wohl zuviel Lehrgeld bezahlen müssen.
> In meinen Augen steht ein Verlag wie eggertspiele derzeit
> ziemlich alleine da.
Tut er m. E. sicher nicht, aber er ist ein gutes Beispiel dafür, wie man auch als Kleinverlag professionelle Redaktionsarbeit und gutes Marketing bis hin zum clever inszenierten Vorhype im Internet im Hinblick auf die angepeilte Zielgruppe leisten kann. Mag sein, dass die Konkurrenz da vielleicht nicht so schnell war wie eggert, dafür holen sie mehr als nur auf. Die Cuba-Menzel-Zigarrenkistennummer hat jeder gesehen - nächstes Jahr kann man die nicht mehr bringen, da muss was Neues her :-D
> und all die anderen) anstossen, ob ich denn wirklich nur alle
> paar Jahre auf einen wirklichen Knaller oder zumindest ein
> paar richtig anspruchsvolle Spiele hoffen darf? Traut
Dazu fällt mir nur ein, dass gute Spiele gleich welcher Komplexität nicht an Bäumen wachsen. Egal wie professionell die Arbeit ist - manchmal gibt es Ideen, die sind der Knaller, und manchmal kommt keiner drauf. Gute Spiele zu entwickeln ist vielleicht zu 90% harte Arbeit, aber für die fehlenden 10% brauchst Du vielleicht den berühmten Geniestreich unter der Dusche. Somit gibt's halt nicht jedes Jahr ein Siedler, ein Carcassonne oder Puerto Rico. Aber ich finde, auch mit den vermeintlichen "Dürreperioden" lässt sich derzeit ziemlich gut leben.
> Was
> sagen die ganzen Spieleerfinder, insbesondere die noch etwas
> Neueren? Habt Ihr schon beim Entwickeln den Absatzmarkt im
> Auge? Müsst Ihr familientauglich erfinden, damit Ihr
> überhaupt einen Verlag findet?
Für komplexe Spiele würde ich derzeit eher mit Kleinverlagen Kontakt aufnehmen, für Spiele mit Familientauglichkeit eher mit den größeren. Ich denke, es gibt für jeden Anspruch aktuell genügend Ansprechpartner.
Nur wer als Autor auf große Absatzzahlen schielt, sollte sein Design an den Bedürfnissen der Großverlage ausrichten. Dass jemand als Autor, der gerne anspruchsvolle Strategiespiele designt, sich notwendigerweise verbiegen muss, sehe ich nicht. Und reich werden konnte man nach meinen Informationen damit im Brettspielbereich noch nie.
Nur früher wurden "richtige Spiele für richtige Spieler" von der Tochter des Verlegers in einer kreativen Wochenendsession mit Wachsmalkreise illustriert, heute kriegste Menzel. So what?
Autoren, die jammern, sie bekämen ihre komplexen Spiele nicht mehr unter und machen deswegen keine mehr, obwohl sie so gerne wollen, sollten sich m. E. andere Ansprechpartner suchen. Denn die Ansprechpartner haben sich möglicherweise verändert, aber sie sind existent. Möglicherweise ist der Ansprechpartner dann halt nimmer der Heinz, den man seit 20 Jahren kennt uns schätzt, sondern der Dieter, den man auf der Messe Essen jüngst aus Versehen mal umgerempelt hat, naja.
> Auf eine rege Beteiligung hofft trotzdem
Eine so rege wie fundierte Beteiligung hatte wohl schon lange kein Thread mehr hier. Für mich der lesenswerteste Thread seit der Reaktion auf Wolfgang Kramers sb-Artikel.
Ehrliches Danke,
Roman