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[PEEP] BIOS Megafauna

Kritiken und Rezensionen: Wie ist Spiel XY?
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ravn

[PEEP] BIOS Megafauna

Beitragvon ravn » 8. März 2013, 03:24

Braucht es 1 1/2 Jahre nach der Erstveröffentlichung zur SPIEL 2012 in Essen überhaupt noch einen persönlichen Ersteindruck? Wer sich für die Spiele von Phil Eklund interessiert, der wird längst zugegriffen haben und wer hingegen noch nie etwas von BIOS Megafauna gehört oder gelesen hat, der ist sowieso nicht die Zielgruppe - so könnte man meinen.

Mit Blick auf die sehr speziellen (aber ebenso sehr empfehlenswerten) Spiele wie High Frontier und Origins, die bisher von Sierra Madre Games veröffentlicht wurden, könnte man da sogar recht haben. Aber BIOS Megafauna ist weniger ein Freak-Spiel für Hardcore-Gamer mit abendfüllender Spieldauer, sondern könnte sogar den ein oder anderen von Eurogames verwöhnten Vielspieler durchaus gefallen.

Worum geht es? Wir starten mit als unspezialisierter Vorläufer der Dinosaurier oder Säugetiere und versuchen zu überleben, uns zu entwickeln und vor allem auszubreiten. Die schematische Landkarte von Nordamerika bietet dazu viel Raum. Doch halt, die dort abgebildeten Land- und Wassermassen mit Flüssen und Berge sind (fast) rein dekorativ. Das Spielgeschehen spielt sich auf dem darüber liegenden Raster von 26 Habitaten ab. Ob sich dort Land oder Wasser befinden, das entscheiden die anfangs ausgelegten Plättchen, die ökologischen Zonen darstellen. Im Folgenden nenne ich sie einfach Biotope.

Klingt kompliziert? Ist es anfangs auch, weil die 12-seitige Spielanleitung eine so enorme Informationsdichte aufweist, dass jeder Halbsatz wichtig scheint und auch ist. Darüber hinaus muss man sich noch durch die ganzen Fachbegriffe wie "Dentition Code", "Dietary DNA Codes" oder auch "Orogeny Biome" kämpfen, bei denen das typische Schulenglisch gnadenlos versagt.

Zwar kann man BIOS Megafauna auch mit der Regelversion von August 2011 aus der Spieleschachtel spielen, einfacher klappt es allerdings mit den aktuellen Living Rules zum Selbstausdruck, da dort etliche Unklarheiten präzisiert sind und zudem neue Aktions-Optionen dazugekommen sind, die das Spielgeschehen steuerbarer machen.

Einige Hardcore-Gamer auf BGG meinen allerdings, dass damit BIOS Megafauna weichgespült und auch der herausfordernden Ecken und Kanten beraubt wurde, aber für den Spieleinstieg kann uns das nur recht sein. Ansonsten könnte man nämlich Pech haben und sich eine Startaufstellung zusammenbasteln, die zwar durchaus realitätsnah den "Kampf ums Überleben" vermittelt, aber ebenso spaßbefreit verlaufen kann, weil man von Naturkatastrophe zu Naturkatastrophe dahin siecht.

Die durchaus vorhandene Einstiegshürde des Regelwerkes muss man aber erst mal nehmen - auch mit den Living Rules. Viele Details werden da auf 12 Seiten erklärt, bevor man überhaupt das Gesamtbild des Spiels erfassen kann. Das hat bei mir mehrere Anläufe gebraucht, bis ich überhaupt den richtigen Spielaufbau verstanden habe. Begreift man aber schließlich, dass sich hinter der ganzen thematischen Einkleidung ein eigentlich recht einfaches Spielkonstrukt versteckt, wird auch klar, warum die durchschnittliche Spielzeit nur zwei Stunden beträgt.

Im Kern ist BIOS Megafauna ein Landnahmespiel mit Übereinstimmungs-Merkmalen zwischen Gelände und eigenen Einheiten, die man in Einklang bringen sollte, um nicht nur zu überleben, sondern auch Mitspieler-Einheiten verdrängen zu können. Im Spielverlauf kommt es dabei zu Zufallsereignissen, so dass sich der Lebensraum ständig ändert. Nach jedem der vier Spielabschnitte wird zudem abgerechnet, wer noch die meisten Einheiten auf dem Spielplan besitzt und Punkte verteilt. Am Ende gewinnt der Spieler mit der höchsten Gesamtpunktzahl.

Auf dieses Eurogame-Niveau thematisch entkleidet, ist BIOS Megafauna spielerisch überschaubar und greifbar geworden. Aber erst durch die Thematik der "Evolution im Zeitraffer", schließlich ist jeder Spielzug eine Million Jahre, bekommt das Spiel seine ganz eigene Atmosphäre, die Spiele von Phil Eklund zu einer Erlebnisreise werden lassen. Also bleiben wir lieber im Thema, um uns diese Faszination nicht zu zerstören.

Wir starten mit einer kleinen Holzminiatur eines niedlichen Proto-Dinosauriers auf unserem Heimat-Biotop. Um uns herum gibt es diverse andere Biotope, auf die wir uns gerne ausbreiten wollen. Um dort allerdings zu überleben, braucht es gewisse genetische Voraussetzungen, die wir in Form einer Auswahl von fünf ausliegenden DNA-Karten kaufen können. Die begrenzte Währung dafür sind Plastik-Chips, die Gene darstellen sollen.

In unserem Spielerzug könnten wir jetzt eine solche DNA-Karte für unsere Proto-Dinosaurier-Spezies kaufen. Wollen wir nicht die am weitesten links liegende Karte, so kostet jede übersprungene DNA-Karte einen unserer wenigen Gen-Chips. Da könnte zum Beispiel eine "Ameisenbär-Zunge" liegen, die uns die Fähigkeit verleiht, wirbellose Kleinstlebewesen zu essen und das gleich doppelt so gut.

Allerdings darf damit unsere Spezies nicht die Größen-Stufe 2 von 100 kg überschreiten, sonst sind wir unsere "Ameisenbär-Zunge" wieder los. Da (grob gesagt) aber unsere Größen-Stufe zeitgleich auch bestimmt, wie viele der Biotop-Felder des Spielplans wir bei unserer Ausbreitung überspringen können, könnte unsere geringe Größe ein echter Evolutions-Nachteil sein.

So sammeln wir DNA-Karten, spezialisieren uns damit, um auf erreichbare Biotope überleben zu können und machen andere Biotope unbetretbar für uns. Nachgezogene DNA-Karten, um die Auslage wieder auf fünf Karten zu ergänzen, lösen zudem Ereignisse aus. Mal entstehen neue Biotope, mal wandern mit uns konkurrierende Nicht-Spieler-Kreaturen ein, mal kann es aber auch zu einer globalen Erwärmung kommen, die ganze Biotop-Verschiebungen auslöst und andere Naturkatastrophen lassen zu spezialisierte Spezies mit zu vielen DNA-Eigenschaften einfach komplett aussterben. Da muss man dann schon mal Nehmer-Qualitäten zeigen.

Mit der ersten Naturkatastrophe entsteht zudem der Atlantische Ozean, der Urkontinent teilt sich und trennt damit einzelne Biotope voneinander ab. Wir versuchen weiterhin zu überleben und uns auszubreiten. Dabei können wir auch gezielt zu drei weiteren Spezies mutieren, die wieder für sich DNA-Karten sammeln, ihre Größen-Stufe verändern und sich auf ganz andere Biotope spezialisieren - zum Beispiel als riesiger, in der Tiefsee lebender, Planktonfresser.

Oder wir werden zum Fleischfresser und ernähren uns von anderen Spezies, sofern wir denen in bestimmten DNA-Werten überlegen sind. Diese sterben dabei zum Glück nicht aus, so dass wir auch gut und gerne Nahrung in unseren drei anderen Spezies finden können. Der Kreislauf des Lebens war damals eben noch im Gleichgewicht.

So ein Biotop kann aber immer nur einen Pflanzenfresser sowie deren Fleischfresser-Raubtier aufnehmen. Ausnahmen bilden Habitate mit Platz für einen zusätzlichen Nuss- und Wurzelfresser und damit einen weiteren Fleischfresser. Aber das sind Details am Rande, von denen es allerdings so einige gibt.

Bei einer Überbevölkerung muss eine Spezies weichen oder stirbt dort aus. Spielerisch wird das durch diverse Spezialisierungs-Vergleiche entschieden, die für Pflanzen- und Fleischfresser unterschiedlich und natürlich ebenso wieder thematisch eingebettet sind. Kulturelle Entwicklungen, die man über Kombinationen von DNA-Karten erzielen kann, helfen zusätzlich, das Überleben einfacher zu gestalten oder gewisse Evolutions-Hürden zu überwinden.

BIOS Megafauna erzählt von klimatischen Veränderungen, Naturkatastrophen und der Evolution. Wir sind dabei mittendrin und versuchen, stets das Beste aus der sich verändernden Situation zu machen. Der Detail- wie auch der thematische Reichtum ist dabei enorm, zunächst vom Regelwerk abschreckend und dann beeindruckend, welche spielerischen Möglichkeiten mit eigentlich recht wenig Regeln und Aktionen entstehen können.

Sicher kein für Familien taugliches Brettspiel, aber Vielspieler mit einem Hang zu thematisch verankerten Simulationen finden damit eine wahre Spieleperle mit überschaubarer Spieldauer. Empfehlenswert!

Soweit mein Ersteindruck, der länger niederzuschreiben gebraucht hat, als eine Spielpartie dauert. Ein Ersteindruck, entstanden nach mehreren simulierten Mehrspieler-Partien, um BIOS Megafauna in seiner ganzen Pracht begreifen und regelkonform spielen zu können.

Cu / Ralf

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Braz
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Re: [PEEP] BIOS Megafauna

Beitragvon Braz » 8. März 2013, 08:21

Besten Dank für den PEEP.

Auch ich finde das Spiel wirklich sehr gut. Die ersten Partien können noch sehr frustreich sien, einfach weil man einige Aspekte nicht berücksichtigt hat und man sich so etwas "gespielt" vorkommt, aber hat man ein paar Partien hinter sich, so kann man immer mehr das Spiel steuern und wird immer weniger von Schicksalsschlägen gebeutelt.

Ein wirklich sehr gutes Spiel mit einer steilen Lernkurve!

Gruß
Braz


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