Beitragvon Johannes Ackva » 4. Januar 2007, 10:56
Hallo,
sehr interessiert habe ich die Diskussion verfolgt, auch, da ich gerade an einem Spiel arbeite, in dem die Asymmetrie ziemlich extrem sein wird (die Unausgewogenheit hoffentlich nicht).
Ein paar Gedanken von mir zum Thema Unausgewogenheit:
Objektive Unausgewogenheit oder Unausgewogenheit innerhalb einer Spielgruppe:
Wenn alle Spieler nur würfeln und Wege unterschiedlich lang sind, kann man wohl ohne Zweifel von einer objektiven Unausgeglichenheit sprechen, die auch – aus meiner Sicht – auf jeden Fall ein Design-Fehler ist, sogar ein ziemlich gravierender. Geht man aber von einem komplexeren Spiel aus, bei dem es z.B. unterschiedliche Startpositionen oder Siegstrategien gibt, kann sich auch innerhalb einer Gruppe eine ziemlich starke Unausgewogenheit entwickeln, einfach deshalb, weil eine bestimmte innerhalb der Spielgruppe vorherrschende Wahrnehmung zu Verhalten führt, dass an sich nicht benachteiligte Optionen, Spielsituationen eines Spielers oder auch Startpositionen enorm benachteiligt. Ein Beispiel: Wird innerhalb der Spielgruppe eine besondere Strategie als bevorzugt angesehen, die einfacher von einem Spieler mit einer bestimmten Startposition erreicht werden kann (z.B. vom Startspieler oder einem Spieler, der ansonsten einen Vorteil hat), so werden die anderen Spieler diese Tatsache tendenziell überkompensieren, indem sie (wenn das Spiel es zulässt) diesen Spieler bevorzugt schädigen werden (etwas ähnliches wurde oben als „group thinking“ diskutiert).
Da ich nicht so viele Spiele wie die meisten hier kenne, greife ich für ein konkreteres Beispiel auf mein eigenes Spiel (Das Ende des Triumvirats) zurück, auch weil ich daher diese Problematik am intensivsten kenne (also bitte nicht als eine Eigenwerbung für das eigene Spiel missverstehen, habe oben erläutert, warum ich nicht auf ein anderes Spiel Bezug nehme(n kann)):
In der Testphase hatten wir zunächst deutsche Tester, dann plötzlich eine niederländische Spielgruppe. Das Feedback von dieser war ganz anders als von den deutschen. Warum? Weil die Spielgruppe, viel mehr durch amerikanische Cosims geprägt als unsere deutschen Testgruppen, das Spiel viel mehr als „Wargame“ wahrnahm und somit eine ganz andere Spielweise an den Tag legte. Unter diesen Umständen waren ganz andere Verhaltensweisen sinnvoll und auch – wenn man es auf die Asymmetrie der Spieler bezieht – andere Spieler im Vorteil.
Worauf ich hinaus will: Wenn in einem Spiel Asymmetrie vorliegt, wird es so etwas wie objektive und totale Ausgeglichenheit nie geben, da die Unterschiede zwischen den Spielern innerhalb jeder Spielgruppe anders bewertet werden können. Viel entscheidender ist stattdessen – aus meiner Sicht – folgendes: Die Tatsache, dass alle Spieler zu Beginn des Spieles der Meinung sind, dass sie gleiche Chancen (ob das wirklich notwendig ist, s.u.) auf den Spielsieg haben. Denn absolute Ausgewogenheit ist, so scheint mir, sowieso nicht erreichbar.
Um zumindest diese Ausgewogenheit innerhalb einer Spielgruppe zu erreichen, könnten folgende Mechanismen hilfreich sind:
1.) Vor dem Spiel – bevor die Spieler wissen, welchen Spieler sie spielen – einigen sich die Spieler auf gewisse Modifikationen der Asymmetrie zwischen den Spielern, um in ihren Augen Ausgewogenheit herzustellen. Danach wird den Spielern ein Spieler zufällig zugeteilt.
2.) Vor dem Spiel – das geht nur bei zwei Spielern – modifiziert ein Spieler die Asymmetrie so, dass sie ihm ausgeglichen erscheint. Das er darauf abzielt, wird dadurch sicher gestellt, dass der andere Spieler den Spieler wählt. Ein Prinzip, das man ja auch außerhalb des Spielens oft benutzt („Du teilst den Kuchen, ich suche mir die Hälfte aus!“).
Müssen alle Spieler gleiche Chancen haben?
Geht man davon aus, dass der Wert/Nutzen eines Spielsieges immer gleich groß ist, ist es wohl sinnvoll, wenn die Siegchancen für alle Spieler gleich sind. Es ist aber auch denkbar, dass man es als besondere Herausforderung sieht, aus einer scheinbar schlechteren Position das Spiel zu gewinnen. Ein solcher Sieg wird dann üblicherweise ja auch mehr gewürdigt, als das bei einem Sieg der Fall wäre, der aus der bevorteilten Position heraus erzielt wird. Also könnte eine geringere Wahrscheinlichkeit auf den Spielsieg trotzdem in Ordnung sein (wenn alle Beteiligten sich über diese Unausgewogenheit einig sind), wenn dann der seltenere Sieg des Benachteiligten auch als besonderer wahrgenommen wird (mir geht es hier nicht um Prestigemaximierung durch Spielsiege, ich möchte nur darstellen, dass der Nutzen/Wert eines Spielsieges nicht unbedingt gleich sein muss). Bei Axis&Allies sagt man ja z.B., dass die Achsenmächte benachteiligt sind. Gewinnen sie trotzdem, waren sie also besonders gut und können sich darüber freuen, selbst aus einer benachteiligten Position gewonnen zu haben. Auch bei Schach: Wenn man mit Schwarz trotzdem gewinnt, ist das wertvoller als mit Weiß. Zumindest kann man das so wahrnehmen.
Analogie Goldgräber – Spielsieg
Der entscheidende Unterschied zwischen Realität und Spiel ist ja, dass es „Sinn“ eines Spieles ist, zu gewinnen (das muss nicht heißen, dass dies auch der primäre Sinn des Spielens sein muss). D.h. man definiert seinen eigenen Nutzen durch den Vergleich mit den Mitspielern. Der Nutzen des zweiten Goldgräbers, ist aber von dem des ersten Goldgräbers unabhängig. Er kann sein weniger an Gold auch genießen, obwohl ein anderer vielleicht noch mehr haben mag. D.h. die Analogie lässt sich so imo schlecht ziehen.
Asymmetrie der Attraktivität
Das ist ein neuer Aspekt, der mir im Zusammenhang mit Unausgewogenheit einfällt (wenn es hier nicht passt, werde ich die Diskussion dazu vielleicht noch mal als eigenen Thread eröffnen): Bisher wurde die Unausgewogenheit hauptsächlich in Bezug auf Siegchancen diskutiert. Allerdings kann es ja auch Asymmetrie bezüglich der Attraktivität des Spielens eines bestimmten Spielers geben: So kann es z.B. auch sein, das ein Spieler zwar nicht benachteiligt ist, jedoch aufgrund seiner Situation viel „langweiligere“ Spielzüge ausführen muss als die anderen Spieler. Habt ihr dazu irgendwelche Erfahrungswerte oder Ideen? Das würde mich sehr interessieren, auch – wir sind ja hier im Autorenforum – da es ein Problem in dem Spiel sein könnte, was ich gerade entwickle.
Ich hoffe, ich habe nicht allzu viel unsinniges und bereits erwähntes geschrieben. Da meine Internet-Anbindung hier nicht so optimal ist, war ich leider nicht in der Lage, den Thread so genau zu lesen, wie ich das gerne getan hätte (was nicht heißt, dass ich ihn nicht gelesen hätte).
Viele Grüße aus Delhi,
Johannes