Beitragvon kleinerpoet » 29. Oktober 2010, 12:31
Hallo, Manuel!
Ich finde es gut, daß Du Fragen stellst - nur so kommst Du weiter, und dadurch, daß Du Deine Erkenntnisse kreativ einarbeitest.
Markt bedeutet prinzipiell Handel, und nun ist es natürlich wichtig, zu wissen, wie das funktioniert: wenn Spieler miteinander als Personen handeln (populärstes Beispiel: Siedler von Catan), dann sind sie direkt als Personen involviert.
Meine Erfahrung bei solchen Märkten und gegenseitigem Handel, bei dem Personen real miteinander zu tun haben: das lässt sich nur schlecht simulieren und muß real getestet werden.
Dann gibt es eine Reihe von Spielen, in denen indirekt über die Spielfiguren, Karten, etc. gehandelt wird. Auch hier haben die Personen als Spieler miteinander zu tun, aber im Gegensatz zu der "Real-Handel"-Variante (wie bei Siedler von Catan) geht es nicht konkret darum, ein Szenario auszuprobieren, das auf das Frage-Antwort-Spiel "Gibst Du mir das, geb ich Dir das" hinausläuft.
Auf dieser Ebene lässt sich einiges allein testen (Abläufe und Grundanlage einzelner Spielstrategien), wichtig ist vor aber vor allem eines: wohin will man?
Du schreibst, "zu der Funktion (des Marktes) habe ich mehrere Ideen. Jetzt müsste ich sie ja alle Testen."
Grundsätzlich würde ich diese Ideen aufschreiben, nebeneinander legen und erstmal alleine anspielen.
In einem komplexen Spiel lässt sich das gut mit einem / mehreren Flussdiagrammen machen. (Beispiele dafür gibt es in der Dokumentation "Spiele entwickeln 2010", S. 45, und bei der Behandlung des Candamir-Spieles in der Catan-Encyclopädie. Link schicke ich Dir, wenn ich ihn wieder herausgefunden habe, sofern nicht ein anderer vor mir schneller war).
Was meine ich mit "erstmal anspielen?"
Vieles kann man theoretisch machen bei Spielen, im Kopf oder auf dem Papier, doch ich bevorzuge die Verknüpfung mit der Praxis:
1.) Deine Diagramme / Abläufe von Spielzügen liegen am Tisch neben dem Spielplan.
2.) Du simulierst mit der zunächst für dieses besondere Spiel optimalen Spielerzahl (z.B. vier Spieler) Variante A.
3.) Noch während der Simulation wird Dir im Optimalfall Vor- und Nachteil der ersten Variante klar.
4.) Manche Spieler dokumentieren dies gleich, andere behalten das Ergebnis im Kopf und dokumentieren erst, wenn sie weitere Varianten erprobt haben... das ist natürlich individuell verschieden.
5.) Nun simulierst Du Variante B und dokumentierst auch das bzw. dokumentierst die Vergleiche diverser Spielvarianten.
Mit diesem Ansatz hast Du folgenden Vorteil:
Du selbst gewinnst einen Überblick durch die Varianten, die Du im Kopf / am Papier erarbeitet hast, durch einfaches Anspielen (sofern möglich).
Um Dir selbst und den zukünftigen Testgruppen das Leben leichter zu machen (und den Prozess des Spielentwickelns zu optimieren), ist es wichtig, daß Du Entscheidungen triffst. UND DIE WICHTIGSTEN ENTSCHEIDUNGEN BEIM SPIELENTWICKELN SIND IMMER AUSSCHLUSSENTSCHEIDUNGEN. Das heisst, am Anfang hat man eine Welt und am Schluß das Detail.
Was bedeutet das nun wieder in der Praxis?
Je konkreter Du den Prototypen für einen Test vorbereiten kannst, desto besser wird das Ergebnis des Testrücklaufs für Dich sein. - Warum? Du selbst bist mit Deinem Spiel schon vor dem Test bestmöglich vertraut... bis eben zu jenem Punkt, wo ein Spiel danach schreit, von realen Personen gespielt zu werden.
Nun musst Du, das kann Dir keiner ersparen, Dich für eine Deiner Varianten entscheiden, und sie einer Testgruppe vorlegen. (Sehr wohl ist es möglich, Variante A und Variante B mit verschiedenen Gruppen zu testen, doch oft erledigen sich Varianten durch reale Testergebnisse von selbst).
Vor dem Testen überleg Dir aber folgendes: was will ich von meinen Testern wissen? Was sind die Schwachstellen des Spiels, wo sind sie optimierbar, und wie können mir meine Testspieler dabei helfen?
Dadurch, daß man sich möglichst optimal auf die Test- und Frage-Antwort-Situation vorbereitet, kann man die Tester bestmöglichst einbinden.
Dazu gehört auch:
- Spiele ich selbst mit oder erkläre ich nur?
- Lasse ich die Tester zunächst nur schriftliches Feedback geben oder sollen sie mündlich Feedback geben?
- Soll die Diskussion über das Spiel offen und ungeordnet sein (jeder spricht, wann er will) oder strukturierst Du die Redebeiträge, z.B. reihum?
- Wieviel Zeit lasse ich zwischen den einzelnen Tests? (Das hängt einerseits von der Komplexität des Spiels ab, zum anderen ein bisschen von der Erfahrung mit Spieletests. Wenn man noch nicht so vertraut mit dem Procedere ist, würde ich auf jeden Fall einen Theorie - Praxis - Theorie - Praxis - Rhythmus empfehlen: das heisst, immer wieder nach Tests zurück an den Arbeitstisch gehen, das Spiel neu betrachten und überlegen, wie man Testergebnisse optimal einarbeiten kann).
Wenn Du häufiger testest, kommen einige neue Fragen hinzu:
- Benutze ich Fragebögen? (Finde ich persönlich bei komplexen Spielen sinnvoll, muß aber nicht für jedes Spiel notwendig sein)
- Wie wähle ich meine Testgruppen aus? Wenigspieler? Vielspieler? Kinder? (Richtet sich natürlich nach der späteren Zielgruppe, aber es hilft einem auch selbst, ein Spiel einordnen zu können, bei dem man noch nicht weiß, für wen es ist. Ich persönlich mische relativ gerne, soweit das möglich ist, lasse also auch Vielspieler einfache Spiele spielen und umgekehrt; damit weisst Du auch relativ bald, für wen Dein Spiel ist, und für wen nicht).
- Etwas, was man kaum theoretisch ansprechen kann, aber praktisch sehr wichtig ist: wie gewichte ich die Meinungen der Testspieler?
So, das war jetzt wesentlich ausführlicher, als ich mir meine Antwort zunächst vorgestellt habe. Aber es ist einfach wichtig, dieses Thema gründlich zu durchdenken. Mir fällt grad noch ein Lesehinweis ein. In der Dokumentation der Weilburger Spielautorentage von 2008 oder 2009 (musst nachschauen, exakt hab ich das Jahr nicht im Kopf) gibt es einen Beitrag von Jens-Peter Schliemann über das Testen von Spielen.
Den kann ich Dir sehr ans Herz legen, denn Jens-Peter ist ein absoluter Profi und hat große Erfahrung mit Spieletests.
Ähnlich wie bei meinem Beitrag im Kinderspielforum zu Testsituationen schreibe ich auch dies hier öffentlich und nicht in einer privaten Mail, da es durchaus Autoren geben kann, die irgendwo draußen im Land sitzen und mit derselben Problematik zu kämpfen haben.
Grüsse und gutes Gelingen wünscht Ralf