Beitragvon Rolf Mihm » 10. Juli 2003, 02:01
Hallo Günter,
Günter Cornett schrieb:
> > Aha, daher weht der Wind... :-D
>
> Nun, das war der Ausgangspunkt dieser Diskussion(soweit es
> meine Beiträge betrifft) und von mir immer wieder betont.
>
> Wer mich kennt, weiss, dass ich keinesfalls auch nur
> entfernter Anhänger der ZJ bin. Aber antimilitaristische
> Einstellungen sind mir durchaus sympathisch.
Nein, hatte ich auch nicht angenommen, daß du Anhänger der Zeugen Jehovas bist, sicher nicht; und was die antimilitaristische Einstellung betrifft, die kann ich dir jederzeit und ohne Einschränkungen zugute halten, so wie ich deine auch schon früheren Postings gelesen habe. Was den Wind betrifft - der war ja nur ein Lüftchen von mir. :-))
> *Du kannst nur wählen, welche Diebe, dich bestehlen,
> welche Mörder dir befehlen ...* (Ton, Steine, Scherben)
So gut kenn ich mich mit den Texten der Scherben nicht aus, aber jetzt muß ich sie wohl doch mal hervorholen, gute Gelegenheit.
> Wenn man keine dieser Regierungsformen gutheisst, heisst das
> noch lange nicht, dass man sie gleichsetzt. Trau den Zeugen
> Jehovas ruhig zu, zu unterscheiden zwischen einer Regierung,
> die sie ins KZ steckt und einer, bei der sie offizielle
> Anerkennung als Religion beantragt.
Natürlich sind die Zeugen Jehovas keine "Dummköpfe" und können diferenzieren, auch wenn viele von ihnen durch ihr heutiges Auftreten in der Öffentlichkeit doch eher belächelt werden. Den anderen Punkt sehe ich allerdings ähnlich wie mit der Scientology-Church - die Regierungsform zwar ablehnen, aber auf legalem Wege so viele Zugeständnisse von dieser zu bekommen, wie nur möglich. Das halte ich nun nicht unbedingt für einen ehrlichen Umgang auch mit dem eigenen vorgelebten Glauben.
Aber ich sollte vielleicht an dieser Stelle auch mal sagen, daß ich durchaus Achtung vor dem Schicksal der Zeugen Jehovas im Dritten Reich habe und dem Leid, das auch sie erdulden mußten - und dabei ist es unerheblich, ob es sich um Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Juden, Behinderte, Sinti und Roma oder auch tatsächlich Schwerverbrecher gehandelt haben sollte. In einem solchen Punkt läßt sich halt nur schwer mit moralischen Begriffen argumentieren, weil eine solche Moral alleine schon durch die Umstände negiert wird - Leid, Ungerechtigkeit und Willkür kann man nicht mit anderen Begriffen umschreiben als eben Leid, Ungerechtigkeit und Willkür.
> 'Demokratische' Regierungen führen genauso ungerechte Kriege
> wie undemokratische Regierungen. Wenn demokratische
> Cluster-Bomben afghanische oder jugoslawische Kinder in die
> Luft sprengen, ist das abzulehnen. Und das System, dass das
> so ganz einfach ermöglicht, ebenfalls abzulehnenn, erscheint
> mir nicht so verwerflich.
Ja, vollkommen richtig - jedoch ist es ein Unterschied, ob es sich dabei um das System an sich, also in diesem Fall die Demokratie, handelt, oder eben um Regierungen als im Endeffekt ausführende Organe. Wenn die Demokratie als System Regierungen dazu befähigt, ungerechte Kriege zu führen, heißt das nicht, daß deshalb das System der Demokratie selbst abzulehnen ist. Allerdings - irgendjemand muß diese Regierungen ja gewählt haben (oder wie im Falle G. W. Bush eben auch nicht so richtig gewählt), aber daß deshalb sozusagen die Demokratie Schaden nimmt, wage ich zu bezweifeln.
Im Grunde nimmt doch jede Regierung für sich in Anspruch, im Namen der Regierten zu handeln - wie oft das tatsächlich der Fall ist, muß jeder für sich selbst entscheiden. Wodurch meiner Meinung nach ein System wie die Demokratie aber tatsächlich Schaden erleiden kann, ist die Befürchtung, daß sich leider viel zu wenige Menschen für Fragen interessieren, die das eigene regiert werden betreffen.
> Der Weg der ZJ ist ganz sicher nicht mein Weg, aber von
> Toleranz gegenüber Andersgläubigen gezeichnet,
> antimiltaristisch und antirassistisch. Und auch dafür sind
> sie ins KZ gegangen oder haben unter großen Schwierigkeiten
> den Kriegsdienst verweigert.
Wird von mir nicht widersprochen und habe ich schon vorher und auch hier weiter oben bereits kommentiert. Nur eine Frage noch - Toleranz gegenüber Andersgläubigen sollte sich doch wohl auch darin äußern dürfen, daß Andersgläubige nicht nur als konturloses Gegenüber wahrgenommen werden, sondern auch als Chance, sich selbst zu hinterfragen, was bei den Zeugen Jehovas ja wohl eindeutig nicht der Fall ist. Da gibt es keine Selbstkritik - auf mich wirken solche Leute, und hier meine ich jetzt gar nicht mal in erster Linie die Zeugen, sondern z.B. auch sich selbst als "Berufene" verstehenden Menschen, immer so, als lassen sie deshalb keine Selbstkritik zu, weil sie damit ja eingestehen würden, sich an einem ganz bestimmten Punkt ihres Weges geirrt haben zu können, womit ihr gesamtes Weltbild und auch ihr Glaube im Grunde mit nur einem Gedanken in den Grundfesten erschüttert werden würde; das heißt sie selbst wären "erschüttert", ihr Weg, ihr Glaube negiert - deshalb konsequent keine Selbstkritik, um nicht in diese Falle zu geraten.
> > Die sogenannten "Mitläufer" im Dritten Reich nehmen z.B. für
> > sich größtenteils in Anspruch, sich deshalb nicht gegen das
> > Regime engagiert zu haben, weil sie keinen Sinn darin gesehen
> > haben, ihr eigenes Leben für das anderer aufs Spiel zu setzen.
>
> Kann ich verstehen. Ich weiss nicht, wie ich gehandelt hätte.
> Aber es haben viele gejubelt - solange der Krieg zugunsten
> Deutschlands lief.
Ganz ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht - es ist leicht aus einem gewissen zeitlichen Abstand über Dinge zu urteilen, die bekannt sind. Aber wie man in der gleichen Situation tatsächlich selbst gehandelt hätte, das kann doch wohl niemand wirklich für sich selbst offen und ehrlich beantworten. Der größte Moralapostel hätte vielleicht ganz anders gehandelt, hätte er sich selbst zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in einer ganz bestimmten Situation befunden. Ich erinnere hier nur mal an diese seltsamen psychologischen Experimente in den USA, bei denen sich ganz normale Leute fast schon zu KZ-Aufsehern entwickelt haben, wenn ihnen nur ein klein wenig Macht gestattet wurde, oder die sich tatsächlich auch zu Bestrafungen per Elektroschock haben ermutigen lassen, solange sie nicht wußten, wer ihr Opfer ist und sie dieses auch nicht gesehen haben.
> Ein Teil der ZJ hat sich durchaus mit dem Regime arrangiert,
> hat auch Militärdienst geleistet, ebenso wie viele andere
> sich nicht arrangiert haben. Es kommt immer auf den Einzelnen
> an. Natürlich habe ich mehr Respekt vor denen, die es
> schaffen gegen zu halten, aber d.h.keinesfalls, dass ich die
> verachte, die sich wegducken oder widerwillig mitmachen. Wenn
> man nicht in der Zeit gelebt hat, sollte man es sich nicht so
> leicht machen, Menschen zu verurteilen, die aus Not gehandelt
> haben.
Hmm, ich wollt nun wahrlich nicht den Eindruck einer Verurteilung erwecken - das ist so eine Art von moralischer Begrifflichkeit, die nicht recht passen will auf diese Diskussion, bei der es aber doch eindeutig um Moral geht. Tatsächlich ist es ja wohl auch so, daß keiner von uns, der diese Zeit nur aus dem Fernsehen, Kino, der Literatur und Sachliteratur kennt, eine wie auch immer geartete gültige und vor allem auch ehrliche Aussage über die Zeit und das Verhalten bestimmter gesellschaftlicher Gruppen in dieser Zeit machen kann - aber man kann doch zumindest den Versuch unternehmen, zu verstehen, warum wer zu welchem Zeitpunkt aus welchen Gründen wie gehandelt hat. Man nennt das Diskussion. Und ich glaube eigentlich nicht, daß ich es mir mit meiner Argumentation leicht mache - mit einem "Gegner" wie dir auf der Gegengeraden. ;-)
> > Sie haben den Nationalsozialismus nicht etwa deshalb abgelehnt,
> > weil es sich dabei um den Nationalsozialismus handelte.
>
> Nicht nur deshalb. Aber ihre Gegnerschaft zum
> Nationalsozialismus ist sicher um einiges größer als ihre
> Ablehnung auch der parlamentarischen Demokratie.
Das ist doch genau der Punkt der Diskussion, der nicht eindeutig zu klären ist, solange nicht tatsächlich Aussagen zu genau diesem Punkt auch von den Zeugen Jehovas selbst zu vernehmen sind. Noch einmal - ich bin sicher mit dir der Überzeugung, daß die Zeugen Jehovas sehr gut zu unterscheiden wissen, ob sie unter einem Regime leben, daß sie aufgrund ihres Glaubens verfolgt und einem, in dem sie gewisse demokratische Freiheiten auch gerade aufgrund ihres Glaubens in Anspruch nehmen können. ICH glaube allerdings, daß die Ablehnung sowohl des Nationalsozialismus wie auch der parlamentarischen Demokratie für die Zeugen Jehovas von ihrem Glauben an die teuflische Versuchung durch alle Regierungen und Regierungsformen diktiert wird, und von daher für mich keinen strukturellen Unterschied bedeutet.
> Verabscheuungswürdig oder aus ihrer Sicht eine falsche
> Lebensweise?
Touche!
> Was ist mit den Widerstandskämpfern des 20.Juli ?
> Abzulehnen, weil sie nicht grundsätzlich gegen Hitler gewesen
> seien, sondern nur wegen des verlorenen Krieges?
Nein, meiner Meinung nach bestimmt nicht - aber auch hier ist wieder die Unterscheidung zu treffen zwischen der Tat, für die sich jemand bewußt entscheidet, und ein Hinnehmen aus Glaubensgründen in erster Linie als Prüfung der eigenen göttlichen Festigkeit zu begreifen...
> Solange man dieses als Vorteil des Wehrdienstes ansieht,
> findet da IMHO kein Umdenken statt.
Das Problem ist doch nicht, daß ich ein solches Denken nachvollziehen kann, das Problem ist, daß die Entscheidungsträger einen solchen Schritt nicht wagen. Ein Umdenken muß aber von Staat UND Gesellschaft ausgehen - vom Staat deshalb, weil erkannt werden muß, daß in diesen Bereichen Investitionen notwendig sind, und von der Gesellschaft deshalb, um zu erkennen und anzuerkennen, wie wichtig dieser Berufszweig ist, denn alt werden wir alle einmal und wollen dann die bestmögliche Versorgung für uns in Anspruch nehmen. Das Denken in diesem Punkt entspricht allerdings tatsächlich einem klassischen "Catch 22" oder auch einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Wenn man sich dagegen den Stellenwert einmal betrachtet, den soziale Berufe in der breiten Bevölkerungsschicht haben, ist von einer Verbesserung in naher Zukunft wohl kaum auszugehen. Wer sich sozial engagiert oder arbeitet, der wird doch nicht wirklich ernst genommen - nach dem Motto, der arbeitet ja mit Behinderten, Kranken, Drogenabhängigen, der kann ja selbst nicht ganz koscher sein, und dann auch noch zu einem Gehalt, das wirklich lächerlich ist. Soziales Engagement oder Arbeit im sozialen Beruf hat keine Lobby in Deutschland (und nicht nur hier) - da liegt der Hase im Pfeffer.
> Nun, wen das Geld, dass bei der Armee eingespart würde, für
> die ausgegeben würde, die es brauchen, sähe das anders aus.
Ich brauche ganz bestimmt keinen Eurofighter oder wie das Ding jetzt gerade wohl heißen mag - da befinden wir uns auf derselben Wellenlänge. Hier Geld einzusparen, um es an die wirklich Bedürftigen weiterzugeben, wäre sicher einfacher, als immer nur den guten Willen zeigen zu wollen.
Nur befinden wir uns im Augenblick aber in einer Situation, die der des Kalten Krieges nicht unähnlich ist, wenn auch mit Sicherheit nicht mit derart weitreichenden Konsequenzen. Die Frage ist nicht nur, braucht Deutschland eine Armee, die Frage ist auch, braucht Europa eine Armee, um sozusagen ein Gegengewicht zu den USA zu bilden. Über solche Dinge wird zur Zeit nachgedacht.
Um zu deinem Beispiel der ungerechten Krieges zurückzukommen, der leider auch von der Regierung eines an sich demokratischen Staates unternommen werden kann - wenn die USA einseitig immer weiter an der Rüstungsschraube dreht, kommt Europa auf dem Weg zum einheitlichen Staat Europa, so die Argumentation, wohl kaum um dem Aufbau einer gesamteuropäischen Armee herum. Ich will damit nicht sagen, daß ich dies unterstütze, aber die Weltpolitik ist doch viel zu wichtig, als daß man sie nur einem Staat überlassen darf - und dazu gehören leider auch militärische Fragen.
Vor einigen Tagen habe ich in der Frankfurter Rundschau den Leserbrief eines US-Amerikaners gelesen, der in seinem Grundtenor in der Warnung gipfelte, daß man nun nicht mehr allzu lange Geduld mit Europa und vor allem Frankreich und Deutschland aufbringen könne, um im Anschluß die Drohung zu bellen, man wäre durchaus auch in der Lage, es in Europa wieder wie nach dem Zweiten Weltkrieg aussehen zu lassen.
> Und natürlich gehe ich davon aus, dass du und Roland durchaus
> Spass verstehen und zwischen ironische Bemerkungen und
> Beleidigungen unterscheiden. :-)
Ja aber hallo, klar doch; der Unterschied war doch wohl der, wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich läßt, daß ironische Bemerkungen durchaus eine versteckte Beleidigung in sich tragen können, während eine Beleidigung durchaus auch als ironische Bemerkung durchgehen kann. :-P
Gruß, Rolf (versteht Spaß und geht jetzt schlafen)...