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Landnahmespiele: Aufkommende Aggressionen und mehr...

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ralf

Landnahmespiele: Aufkommende Aggressionen und mehr...

Beitragvon ralf » 10. April 2000, 02:01

Hallo!
Heute habe ich mal wieder "Zeitalter der Renaissance" gespielt. Nach gut 6 Spielstunden haben wir das Spiel dann aus Zeitgruenden abgebrochen, was auch eine gute Entscheidung war, weil die Atmosphaere doch schon in der Anfangsphase arg vergiftet war und sich das auch im Laufe des Spiels nicht gebessert hat.
Es fing alles damit an, dass ein Mitspieler (Genua) direkt in der zweiten Runde 3 starke Aktionskarten gegen einen anderen Mitspieler (Venedig) ausgespielt hat, um ihn an der Expansion zu hindern und so weit zurueckzuwerfen, dass der Weg ueber Italien nach Sueden frei war. Spaeter wurde dann noch Krieg gegen ihn gespielt und er verlor weiter 3 Staedte und hat bis zum Schluss nie mehr den Anschluss gefunden.
Ab der Mitte der Partie war klar abzusehen, dass Venedig oder Paris das Spiel gewinnen wird. Genua war eh abgeschlagen und Barcelona duemmelte im unbedeutenden Mitteldfeld so vor sich her ohne jemals in greifbare Naehe des Sieges zu kommen. An Buendnisse gegen den Fuehrenden war nicht zu denken, da man sonst den Anderen zum Sieger gepushed haette. Und beide Fuehrenden kleinhalten bis es wieder ausgeglichen war, schien unmoeglich, da sich die Fuehrenden bei solchen Aktionen sofort gegen den Aggressor gespielt haben...
Eigentlich spiele ich wirklich gerne Brettspiele, aber bei dieser Partie hat sich leider gezeigt, dass es in dieser Spielerzusammensetzung einigen unmoeglich war, das Geschehen auf das Brett zu begrenzen. Von einer entspannten Spielatmosphaere kann ueberhaupt keine Rede sein, weil jede Aktion, die sich gegen ein Spieler gerichtet hat, sofort persoenlich genommen wurde und dann auch gerne verbal nachgetreten wurde!
Hetze und Aggression zeigten sich offen und am liebsten gegen Gegner, die durch ihre Spielsituation kaum Chancen hatten noch viel am Spielgeschehen zu bewegen. Nach dem Motto "Expandier da hin, da schadest du ihm am Meisten!" / "Wenn du es so machst, dann kannst du ihn ganz rauskicken!".
Hat schon jemand vergleichbare Erfahrungen gemacht und weiss auch Rat, wie man solche Konfliktspiele im spielerischen Rahmen halten kann - schliesslich sollen ja alle noch Spass an der Sache haben!
thx/bye/ralf
PS: Die letzte Partie mit anderen Leuten zu dritt war voellig ohne diese hetzerischen Untertoene, also kann das Spiel an sich nicht schuldig sein, oder?

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Gustav der Bär

Ein Spiel als solches kann ohnehin nicht ...

Beitragvon Gustav der Bär » 10. April 2000, 05:47

... die Schuld an den Stimmungen der Mitspieler tragen, weil die ihre Laune und ihre Verhaltensweisen ja schon von zu Hause mitgebracht haben.
Im Großen und Ganzen schilderst du ja auf dem Spielbrett ziemlich genau, wie es im politischen Leben zwischen den mächtigen und den schwachen Nationen zugeht: Es ist also allem Anschein nach ein gelungenes Simulationsspiel. Sollte ich mir zulegen.
Wenn die Kleinen aufgrund interner Querelen kein Bündnis gegen einen von den Großen auf die Beine bringen: Selbst schuld! Dass die Großen sich gegen einen vereinzelten Angriff nachdrücklich zur Wehr setzen: Nur vernünftig.
Dass das Spiel sich negativ auf die Laune der Mitspieler auswirkt: Völlig unbegreiflich - aber trotzdem manchmal die Wahrheit. Ich hab´ das selbst zum Glück nur einmal erlebt, bei einer Partie des eher uninteressanten "Rheingold".
Normalerweise gehört kämpferisches Verhalten auf dem Brett zu jeder Art von historischer, politischer und wirtschaftlicher Simulation ... und für die, die das nicht vertragen, hat der liebe Gott in den Gehirnen der Sozialpädagogen die Idee des Kooperativen Spiels entstehen lassen.

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Blacky

Re: Ein Spiel als solches kann ohnehin nicht ...

Beitragvon Blacky » 10. April 2000, 11:41

...hier scheint ja wirklich jemand auf Krieg zu stehen...???

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cristinus

Re: Ein Spiel als solches kann ohnehin nicht ...

Beitragvon cristinus » 10. April 2000, 13:18

Liebe Leute,
ich kann Gustav dem Bären nur voll und ganz zustimmen. Ein Spiel als solches ist unschuldig, es sind immer die Menschen, also die Mitspieler, die etwas negatives bzw. positives daraus schaffen. Übrigens, liebe Sozialpädagogen-Fraktion: Aggression gehört nun einmal zum menschlichen Wesen, ich würde sogar sagen, ohne gewisse Elemente der Aggressivität in unserem Charakter wären wir keine "ganzheitlichen" Menschen.
Spielerische Grüße an alle Ludopathen Christian

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Moritz Eggert

Re: Ein Spiel als solches kann ohnehin nicht ...

Beitragvon Moritz Eggert » 11. April 2000, 12:57

Die Diskussionen über Aggressionspotential der Menschen beiseite: Die am Anfang beschriebenen Aggressionen entstehen ja durch ein häufiges Manko von "Landnahmespielen" (die ich übrigens gerne und oft spiele), nämlich durch das "Kingmaker"-Syndrom (so nennen wir's in unserem Spielekreis. D.h. oft ist es an einem Spieler (der meistens nicht mehr gewinnen kann, in obigem Beispiel wohl Genua) durch eine aggressive Aktion (oder deren Unterlassen) den Sieger zu bestimmen. Dies endet oft in unbefriedigenden Spielsituationen, denn die Entscheidung über den Angriff/Nichtangriff wird meist eher von zwischenmenschlichen Aspekten als von spieltechnischen bestimmt, auch wenn die Spiele und deren Mechaniken Spaß machen (und Age of Renaissance ist sicherlich ein großartiges Spiel).Versteht jemand, was ich meine? Und was meint ihr? Moritz

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cristinus

Re: Ein Spiel als solches kann ohnehin nicht ...

Beitragvon cristinus » 11. April 2000, 15:29

Lieber Moritz,
mit der Beschreibung des "Kingmaker-Syndroms" hast Du sicherlich recht, aber dies ist meiner Ansicht nach unvermeidlich bei "Landnahmespielen" (übrigens, ein schöner Euphemismus für die Gattung Kriegsspiel. Vermeidbar ist dies nur bei 2-Mann Spielen á la "Hannibal" oder "We the people", hier bist mit Dir und Deinem Gegner allein, und kannst im Spielverlauf nichts auf einen Dritten oder Vierten schieben. Eingeschränkt gilt dies noch, IMHO, für "Titan", wo Du Dich nicht wirklich effektiv genug gegen den "Leader" zusammenschließen kannst. Dieser "Leader-Effekt" existiert nun einmal bei Konfliktspielen für mehrere Personen.
Meine eigenen Erfahrungen, was dies betrifft, sind die, daß in fast allen Spielen dieser Art, jeder mindestens einmal, wenn er vorher klug gespielt hat sogar noch weitere male, die Chance hat das Spiel zu gewinnen. Und diesen Moment oder Gelegenheit wahrzunehmen und seine Chance zu realisieren oder eben auch nicht, das ist der Kick am Ganzen.
Was die Streiterei oder das Übelnehmen für einen Spielverlauf betrifft, so bin ich in der glücklichen Lage eine Spielgruppe zu haben in der wir uns während dem Spiel richtig schön "fetzen", und glaubt mir, liebe Sozialpädagogen/Lehrer/Psychologen, es macht jedem tierisch Spaß und wir sind nach dem Spiel trotzdem noch dicke Kumpels. Allerdings muss man dafür halt die richtigen Leute beisamen haben, aber das ist ja überall im Leben so......
Ludopathische Grüße Christian

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beat

Re: Ein Spiel als solches kann ohnehin nicht ...

Beitragvon beat » 11. April 2000, 15:40

tja moritz, ich verstehe was du meinst, würde dir aber nicht 100% zustimmen.agressionen entstehen doch auch in nicht-landnahmespielen. wie die stimmung in einer runde ist, hängt doch immer von der einstellung der mitspieler ab. wenn jemand einfach nicht verlieren kann oder mies drauf ist können agressionen auch in einem ra, robo-rallye oder sonst einem spiel enstehen. leider, wie ich sagen muss, denn spielen soll doch was schönes sein - das wusste vor einigen jahren schon loriot (spielen sie skat?).
beat

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Michael Andersch

Kingmaker-Syndrom / Die richtigen Leute

Beitragvon Michael Andersch » 11. April 2000, 15:59

Ich gebe Dir völlig recht: mit den richtigen Leuten kann man sich's richtig "fies" geben, und es macht auch allen Spaß, da jeder mal einstecken muß und normalerweise auch die Gelegenheit hat mal auszuteilen.
Was das Kingmaker-Syndrom anbetrifft, so gilt bei uns die Devise: Immer auf den jeweils Führenden, sofern er noch einholbar ist. Andernfalls ist der jeweils vor einem liegende natürlich das bevorzugte Ziel, und aus dem Kampf um die Spitze hält man sich weitestgehend raus (es sei denn, man hat noch ein Hühnchen mit jemandem zu rupfen :-)
Gruß, Micha

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Volker L.

Re: Ein Spiel als solches kann ohnehin nicht ...

Beitragvon Volker L. » 11. April 2000, 16:59

Beide Effekte, sowohl das "Koenigsmacher-Syndrom" als auch das heftige Uebelnehmen von gegnerischen Aktionen durch ungeeignete Mitspieler (permanent ungeeignet aufgrund charakterlicher Eigenschaften oder temporaer ungeeignet weil an diesem Tag schlecht gelaunt), beschraenken sich nicht auf "Landnahmespiele", sondern koennen bei jedem Spiel auftreten, in dem ein Spieler die Moeglichkeit hat, anderen durch seine Aktionen zu schaden. Das kann beispielsweise genausogut ein reines Wirtschaftsspiel sein, in dem ich durch Ausspielen einer Aktionskarte den Aktienkurs einer Gesellschaft, in die ein anderer Spieler viel Geld investiert hat, drastisch fallen lasse.
Natuerlich kommt es auch vor, dass ein Spieler besonders - und unnoetig - aggressiv vorgeht (bei AoR z.B. lieber dem anderen 3 Laender wegnehmen als 5 herrenlose zu besetzen) und damit auch eher friedliche Mitspieler veraergert. Solche Zeitgenossen sollte man vielleicht mal durch eine Partie Junta zur Raison bringen... Gruss, Volker

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Michael Maschke

Re: SozialarbeiterInnen sind auch Menschen

Beitragvon Michael Maschke » 11. April 2000, 19:51

He, ich bin Sozialarbeiter und spiele recht emotional und dazu gehören auch mal Agressionen. Im Übrigen meide ich bis auf wenige Außnahmen kooperative Spiele (schnarch!) und bevorzuge eher Spiele mit viel Action und Gemeinheiten zwischen den SpielerInnen. Also bitte nicht verallgemeinern, so von wegen SozialarbeiterInnen und -pädagogInnen, gell ;-)
Ci@o, Michael

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Moritz Eggert

Re: Kingmaker-Syndrom / Die richtigen Leute

Beitragvon Moritz Eggert » 12. April 2000, 12:29

Ich bin ganz Deiner Meinung, Micha, der Führende ist das logische und auch akzeptable Ziel von Aggression. Daher ist es ja in vielen dieser Spiele (Ganz besonders History of the World und Civilization) eher die bessere Taktik,
bis kurz vor Schluß extra an zweiter oder dritter Stelle zu bleiben. Ich erlebe aber oft, daß die 3. oder 4.platzierten nicht auf den Leader, sondern auf den zweitstärksten eindreschen, aus persönlichen Gründen ("Wenn ich schon nicht gewinne, dann DER/DIE auch nicht"), oder auch einfach, weil sie gegen den Leader überhaupt keine Chance der Einwirkung haben.Umgekehrt sieht man auch oft, daß der Leader auf die Schwächsten eindrischt, um diese endgültig fertigzumachen, wogegen es doch logisch wäre, sich vor allem gegen den Zweitstärksten zu wenden, der ja die größere Gefahr ist (jetzt mal von den Spielen abgesehen, die man durch Herausschmeißen des Schwächsten beendet, und damit gewinnt). Irgendwie sind das immer sehr unbefriedigende Momente, und manchmal wünscht man sich eine Art "Player's code of conduct", wie es ihn ja in klassischen Spielen wie Schach oder Bridge gibt. Wie gesagt: Nichts gegen Aggressionen - Ich denke, das Spiele das beste Mittel sind, diese auf im Grunde friedliche weil rein kommunikative Weise loszuwerden - aber vielleicht könnte man doch irgendeinen Begriff von Fairness bei Multiplayer-Landnahme-Spielen definieren. Zumindest hätte ich gerne ein paar Argumente gegen einen gewissen Spieler in unserer Runde...:-) Moritz

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Michael Andersch

Re: Kingmaker-Syndrom / Die richtigen Leute

Beitragvon Michael Andersch » 12. April 2000, 13:37

Hmm, Spieler wie "der gewisse aus Deiner Runde" sind mir/uns zum Glück nicht oft begegnet. Falls doch, dann waren es eigentlich meistens Leute, die nur gelegentlich spielen, und die waren eigentlich mit der von Dir beschriebenen Argumentation immer recht schnell und einfach zu überzeugen (da dieses Verhalten ja eigentlich auch logisch ist). Der von Dir beschriebene "harte Fall" würde - falls Worte nicht helfen - bei uns vermutlich eine "Sonderbehandlung" dergestalt bekommen, dass er auch mal ein, zwei Spiele das Opfer ist, egal an welcher Position er sich befindet. Wer dann nicht kapiert, dass so ein Verhalten irgendwie wenig spassig ist, ist meiner Meinung nach in einer Spielerunde irgendwie deplatziert.
Eine Ausnahme gibt es allerdings, und das sind Turniere (z.B. dt. Brettspielmeisterschaft), wo es auf jede Position ankommt, da es dafür Mannschaftspunkte gibt: Sobald ich dort erkenne, dass ich nicht mehr gewinnen kann lasse ich lieber den Führenden ziehen und versuche mir die Gegner vorzunehmen, die noch "in Reichweite" sind bzw. bekämpfe u. U. auch den hintenliegenden wenn die Gefahr besteht, daß er mir gefährlich werden könnte.
Gruß, Micha

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Mario

Re: Landnahmespiele: Aufkommende Aggressionen und mehr...

Beitragvon Mario » 12. April 2000, 23:25

Es ist ein Dilemma: Für Venedig war es sicherlich grauenhaft sechs Stunden ohne jede Chance mitspielen zu müssen. Andererseits sind Spiele, bei denen der Gewinner bis zum Schluß nicht feststeht in der Regel zufallsbestimmt.
Vielleicht sollte man bei solchem Spielverlauf auch einmal den Mut haben, ein Spiel abzubrechen, wenn es der Hälfte der Leute keinen Spaß mehr macht. Auch dem "Getretenen" würde ich das Recht zubilligen, aus dem Spiel auszusteigen.
Ich denke, dass auch das Spiel etwas dafür kann. Bei Vinci z.B. läuft die Sache für den Einzelnen in mehreren Phasen ab. Das heißt, man fängt einfach noch einmal an, wenn man nicht mehr zu retten ist.
Aus Erfahrung besonders verhasst sind mir Spieler, die schon fast zu Beginn meinen, sie könnten nicht mehr gewinnen und ppielen gegen den Letzten, um sicher Vorletzter zu werden, anstatt zu versuchen, noch etwas gegen den Führenden zu tun.

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cristinus

Re: SozialarbeiterInnen sind auch Menschen

Beitragvon cristinus » 13. April 2000, 13:15

Hi Michael,
Natürlich habe ich nichts gegen Sozialarbeiter und vergleichbare Berufsbilder, im Gegenteil, ich denke daß die Arbeit dieser Leute gesellschaftlich nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Meine etwas polemische Bemerkung zielte auf einen bestimmten Typus, der, vieleicht ist das ja auch subjektiv empfunden, innerhalb der genannten Gruppen relativ häufig anzutreffen ist.
Beispiel: Vor ein paar Tagen wurde ich von einem Bekannten - er ist Lehrer - als Militarist bezeichnet, als ich erzählte, daß eines meiner Hobbys Brettspiel, genauer gesagt "Landnahmespiele" (herrlich, dieses Wort) sei. Ich glaube, unter uns Spielern müssen wir über das hanebüchene diese Aussage kein Wort verlieren, oder?
Also, nix für ungut, Herr Sozialarbeiter.
Ludopathische Grüße Christian

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Gustav der Bär

Wir können statt "Landnahme" ...

Beitragvon Gustav der Bär » 13. April 2000, 19:54

... in Zukunft ja "Territorialer Imperativ" sagen.
Und falls jemand misstrauisch fragen sollte, worum es dabei geht, sagen wir ganz unschuldig: "Um nonkonformistische Migrationsbewegungen der Bevölkerungsbasis im Widerstand gegen exterritorriale Beschränkungsmaßnahmen."
Das kommt bei Intellektuellen gleich doppelt so gut an, aber die Spiele machen uns trotzdem genau so viel Spaß wie damals, als es noch Kriegsspiele waren, findet ... ... Gustav der Bär

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cristinus

Re: Territorialer Imperativ/Kosims

Beitragvon cristinus » 14. April 2000, 00:53

Hi Gustav,
Deinen Bonmot "Territorialer Imperativ" finde ich sehr gelungen, wie übrigens den derzeitigen Thread über die
Moralität, Tiefenpsychologie und Aggressionspotenzialen
beim Kriegspielen, äh, entschuldigung, Anwenden des territorialen Imperativs.
Ludopathische Grüße Christian


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