Beitragvon Rolf MIhm » 1. Dezember 2005, 11:03
Kai Borschinsky schrieb:
> Ich finde es immer wieder erschreckend, wie unsauber und
> inflationär von einigen Leuten mit politischen Begriffen wie
> "Zensur" umgegangen wird.
Damit hast du sicher nicht unrecht, aber du legst den Begriff Zensur als nur politischen Begriff m.E. dennoch viel zu eng aus, die gesellschaftliche Realität, das Allgemeinverständnis des Begriffes ist nun mal ein ganz anderes.Einerseits kann man natürlich nicht jedes Geschrei "ZENSUR" ernst nehmen, andererseits kann man aber auch nicht davon ausgehen, daß nur derjenige "ZENSUR" schreien darf, der den Begriff in der exakten wissenschaftlichen Definition benutzt und diese auch kennt.
> Zensur geht immer von einem staatlichen oder zumindest
> öffentlich-rechtlichen oder halbstaatlichen Organ aus. Es
> dient der generellen, nicht der punktuellen Unterdrückung von
> unliebsamen Meinungsäußerungen.
Wie gesagt, du legst den Begriff Zensur als nur polititschen m.E. zu eng aus, es gibt auch eine Art "wirtschaftpolitischer" Zensur bzw. so etwas wie "vorauseilenden Gehorsam". Vor einiger Zeit gab es einen solchen Fall - die Mitarbeiterin einer kleineren Zeitung wollte über eine große Handelskette berichten, und das in einem Ton journalistischer Sorgfaltspflicht - also auch Mißstände und Kritikpunkte z.B. bezüglich der Mitarbeiterführung der betreffenden Handelskette anführend (was übrigens auch von Verdi schon des öfteren kritisiert wurde). Da die betreffende Handelskette jedoch regelmäßig großformatige Werbeseiten in der relativ kleinen Zeitung schaltet, wurde der Beitrag meiner Erinnerung nach erst gar nicht gebracht und die Journalistin erhielt eine Kündigung, die allerdings arbeitsrechtlich keinen Bestand hat. Soweit also, wie mir der Fall in Erinnerung ist - im weiteren wurde dann auch überregional darüber berichtet und diskutiert, was denn überhaupt zu der Unterdrückung des Berichtes bzw. der Kündigung der Journalistin geführt hat; vielleicht hat ja jemand aus der Redaktion die Handelskette vorab über den geplanten Bericht informiert und von dort wurde dann Druck auf die Redaktion ausgeübt, oder es war ein Fall von vorauseilendem Gehorsam, beiße nie die Hand, die dich füttert. Was auch immer die tatsächlichen Gründe waren - ich würde das schon in gewissen Sinne als Zensur bezeichnen.
Oder ein anderer Fall, auch hier ist eine Zeitung involviert, diesmal allerdings eine überregionale. Die betreffende Zeitung brachte einen wohl nicht eben schmeichelhaften Bericht über eine Fluggesellschaft. Nun war es so, daß die Zeitung von der Fluggesellschaft schon längere Zeit im Abo als Bordlektüre geordert wurde. Just zu dem Zeitpunkt, nachdem der Bericht gedruckt wurde, wurde auch das Abo gekündigt. Zufall? Klar, kann sein, auch die Fluggesellschaften müssen sparen, die Konkurrenz ist groß - und natürlich war auch genau dies das von der Fluggesellschaft benutzte Argument. Wie auch immer das Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse zu bewerten ist, wenn denn ein ursächlicher Zusammenhang besteht (was ich ja gar nicht behaupte) würde ich auch das als einen Akt der Zensur bezeichnen.
Bei beiden Fällen geht es ja noch gar nicht mal so sehr darum, daß eine Meinung tatsächlich unterdrückt wird (im ersten Fall mehr, im zweiten Fall eben weniger), sondern daß wirtschaftlicher Druck dazu führt, bestimmte Artikel oder Meinungsäußerungen erst gar nicht zu bringen. Das ist dann m.E. die von dir bestrittene "punktuelle Zensur". Die Nachricht an sich läßt sich natürlich nicht unterdrücken, da ja andere Medien den Fall aufnehmen und darüber berichten können. Ob man das nun als Zensur bezeichnet oder nicht, ist nun aber keine Frage der Definition eines wissenschaftlichen Begriffes, sondern ein Meinungsbegriff.
Im weiteren halte ich es übrigens auch zumindest teilweise für einen Akt der Zensur, wenn von staatlichen Organen bewußt falsche Informationen in Umlauf gebracht werden, um die "echten" unliebsamen Nachrichten zu unterdrücken.
"Zensur" nur als politischen Begriff zu deuten, ist deshalb m.E. viel zu eng gedacht. Ich glaube viel eher, daß gerade auch auf staatlicher Ebene der Begriff überhaupt nicht mehr in diesem engen Rahmen benutzt werden kann, da findet m.E. eine Vermischung statt, nenne es meinetwegen Propaganda, Verbreitung von Falschinfomationen oder eben Zensur oder was auch immer - die Übergänge sind fließend. Ich möchte mal so sagen - ich glaube eigentlich sogar, daß sich ein "wichtiger" Staat es sich kaum noch leistet, plumpe politische Zensur zu üben (ich behaupte nicht, daß nicht auch das noch geschieht), aber die Möglichkeiten sind m.E. subtiler als einfach nur die Kontrolle der Nachrichten und Meinungen der Leute allgemein bzw. deren Unterdrückung. Sieh dir doch mal an, was nach dem 11.9. in den USA los war - kritische Fragen waren nicht erwünscht, wurden in den Redaktionen der großen Tageszeitungen aber auch im Fernsehen kaum mal aufgegriffen oder zur Kenntnis genommen. Wer sie dennoch zu stellen wagte, der war gleich ein Antiamerikaner oder eben ein Nestbeschmutzer; wenn jemand eine private negative Meinung über die Umstände der Attentate oder den Krieg in Afghanistan oder den (damals noch) bevorstehenden Krieg im Irak zu äußern wagte, mußte er damit rechnen, von staatlicher Seite kontaktiert zu werden (um es mal wertneutral auszudrücken) - all das geschah in einem Klima der Angst und im Namen der nationalen Sicherheit und überhaupt im Namen der freien Welt usw. usw. Worauf ich hinaus will - auch die Unterdrückung der eigenen Meinung durch mich selbst aus Angst vor Repressalien oder auch nur den schiefen Blicken der Nachbarn und Freunde ist zumindest eine Art Zensur, eben Selbstzensur. Deshalb gibt es ja bei Orwell auch die Gedankenpolizei zur Kontrolle selbst der intimsten Regungen der Bevölkerung - die Gedanken der Menschen kann man (noch nicht) kontrollieren, die Äußerung ihrer Gedanken aber kann aber steuern...