Hallo Brettspiel-Freunde,
am Mittwochabend hatte ich die Gelegenheit, das neue Queen Games Spiel "Lost Legends" mitspielen zu dürfen. Wir waren eine Viererrunde aus erfahrenen Brettspielern, die sich zusammen das Spiel mit Hilfe der Anleitung erarbeitet haben. Diese Anleitung versprach dann auch 70 Minuten Spielzeit, die wir aber locker verdoppelt haben.
Das Grundspielprinzip von "Lost Legends" ist recht einfach gehalten: Wir sind Abenteurer, rüsten uns aus und schnetzeln dann Monster nieder. Das wiederholt sich drei Mal und wer am Ende die meisten Legendenpunkte gesammelt hat, der hat gewonnen. Wir spielen also konfrontativ gegeneinander um den Spielsieg, wobei leider die direkte Interaktion bis auf ein paar wenige Ausrüstungsgegenstände schlicht nicht gegeben ist. Eher ist es ein Nebeneinanderher-Kampf gegen das Monsterdeck, ein Wettlauf um Siegpunkte.
Jeder bekommt eine eigene Helden-Ablage, wobei sich die einzelnen Helden doch stark voneinander unterscheiden. Der Eine hat mehr Lebenspunkte, der Andere mehr Manapunkte und ein Dritter von allen weniger, aber ein Geld zu Beginn mehr. Zusätzlich hat man noch zwei unterschiedliche Grundfähigkeiten, die sich auf Kampfarten wie u.a. Klingenwaffen oder Bogen oder Magie beziehen.
Hier zeigt sich das erste Problem: So unterschiedlich die Helden sind, so unausgewogen wirken die auf Erstspieler. Ein Held mit mehr Lebenspunkten, erlaubt ein glückloseres Spiel als ein Held, der mal eben nur die Hälfte davon aufweist. Später dazu mehr.
Dann wird auch schon direkt jedem Spieler sein persönliches Monster zugelost, das er ganz alleine bekämpfen soll. Damit das auch klappt, gibt es Ausrüstung, die nach dem 7-Wonders-Prinzip unter den Spielern verteilt wird und auch bezahlt werden will. Die hilft beim Angriff oder wehrt Monsterangriffe ab, verschafft eine Steigerung von Lebenspunkten oder Mana oder bringt ein- wie auch mehrmalige Vorteile bei Angriff oder Verteidigung in den diversen Kampfarten.
Hier zeigt sich das zweite Problem: Bestimmte Gegenstände sind für bestimmte Helden besser geeignet als andere Gegenstände. Wer mit wenig Lebenspunkten startet, aber als scheinbaren Ausgleich ein Geld mehr hat, der sollte Gegenstände kaufen, um die eigenen Lebenspunkte anheben zu können. Bekommt man die aber nicht auf die Hand, weil die Mitspieler die selbst für sich nutzen oder schlicht als Zwischenfinanzierung für andere Ausrüstungskarten abwerfen, hat man als Held mit wenig Lebenspunkten einen Startnachteil. Später auch dazu mehr.
Danach kommt es zum Kampf gegen das vor einem liegende Monster. Während man das erste Monste noch kennt, bevor man seine Ausrüstung gewählt hat und es somit hoffentlich auch bekämpfen kann, ist das in den Folgezügen nicht mehr der Fall. Neue Monster werden per Zufall gezogen, wobei man als aktiver Spieler noch die Wahl zwischen einer offenen und einer verdeckten Monsterkarte hat. Ebenso kann es aber auch passieren, dass man als monsterloser Spieler, ein Monster von einem Mitspieler zugeteilt bekommt.
Hier zeigt sich das dritte Problem: Legendenpunkte bekommt man für bestimmte Kombinationen von vier Monsterarten, die man besiegt hat. Ob man die Monster sich passend zuteilen kann oder die zugeteilt bekommt, entscheidet allerdings der Zufall der Kartenauslage oder die Mitspieler, die noch weniger mit einer Monsterart anfangen können und es deshalb weiterschieben. Hat man doppeltes Pech, so bekommt man Monster zu bekämpfen, von denen man schlicht beim ersten Blick erkennt, dass man die nicht besiegen kann und dabei sterben wird.
Da man in der Kampfphase keinerlei Ausrüstung mehr dazu bekommt, hängt es alleinig von der passenden Kombination Ausrüstung zu Monster ab, ob man es besiegen kann. Dazu können Monstereffekt von anderen Spielern einen zusätzlich treffen und umbringen. Wer mit wenig Lebenspunkten startet, der ist da besonders betroffen. Ich schreibe da aus leidvoller Erfahrung.
Hier zeigt sich das vierte Problem: Wer stirbt, der schaut bis zur nächsten Ausrüstungsphase zu. Eben bis die Mitspieler alle Monster der aktuellen Phase besiegt haben und dabei Geld und Levelaufstiege und Legendenpunkte einsammeln konnten. Solch einen Rückstand in der ersten Spielphase kann man kaum noch aufholen und spielt in den dann noch folgenden zwei Dritteln des Spiels um die letzten Plätze weiter mit. Das erfordert Sitzfleisch.
Nach drei aufeinanderfolgenden Ausrüstungs- und Kampfphasen ist "Lost Legends" schliesslich zu Ende. Wer schon frühzeitig per Zufallspech gepaart mit Unerfahrenheit gestoben ist, wird diesem Spielende entgegensehnen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass man nochmals stirbt, da man schlicht zu wenig Geld sammeln konnte für bessere Ausrüstung, ist durchaus gegeben. Damit ist dann auch leider gegeben, dass man noch mehr Spielanteile das Spielgeschehen nur passiv verfolgen darf, während die Mitspieler weiter Geld und Legendenpunkte anhäufen.
Da zeigt sich das fünfte Problem: Wenn es blöd läuft im Spiel und das kann selbst ohne eigenes schlechtes Spiel durchaus passieren, eben weil man Pech hat, dann schaut man mehr zu, als dass man aktiv mitspielt. Weichgespült ist "Lost Legend" hier gewiss nicht, aber Spass macht solch eine vom Zufall aufgezwungene Zuschauerrolle auch nicht. Besonders wenn eine Erstpartie eher 140 statt 70 Minuten dauert.
Mein Fazit: "Lost Legends" hat für mich interessante Ansätze, versagt aber dann im fehlenden Balancing der Helden und zu hohen Zufallsfaktoren an zu spielentscheidenen Stellen. Bei einem "7 Wonders" ist es mir egal, wenn ich einen benötigten Baustoff nicht bekommen kann, weil die Partie ist in 30 Minuten durch und eine Revanche nicht fern. Aber wenn ich bei einem Mehrstundenspiel als Erstspieler auch ohne eigene Schuld direkt rausgekickt werden kann, aber trotzdem noch den Rest als Beobachter mitertragen muss, ist das für mich schlicht schlechtes Spieldesign.
Schade, weil zu einer Folgepartie werde ich mich wohl nicht wirklich durchringen können, denn dafür gibt es für die Zeitspanne einer "Lost Legend"-Partie einfach zu viele bessere Spiele, die interaktiver sind, die fairer sind, die mir mehr Spielspass machen. Auch weil alle anderen Erstspieler eine ebensolch blöde Partie erleben können und das möchte ich denen echt nicht zumuten wollen.
Dieses Phänomen, dass es bei "Lost Legend" gehörig danebenlaufen kann, wird aktuell auch gerade intensiv auf BGG diskutiert - inklusive diverser Lösungsvorschläge. Genau die hätte aber der Verlag mit ein wenig mehr redaktioneller Arbeit vor der Veröffentlichung auslosten sollen. Spiele, die erst beim Endkunden nachreifen müssen, brauche ich nicht. Für eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne rechte es aber allemal. Was gut aussieht, muss sich nicht zwangsläufig auch gut spielen!
Soweit mein ganz persönlicher Ersteindruck.
Cu / Ralf
PS: In der ersten Kampfphase bin ich mit meinem Bogenschützen-Magier nach meinem ersten Monster durch ein Mitspieler-Zufalls-Ereignis gestorben, das ich nicht mehr abwehren konnte. In der zweiten Kampfphase hat mich das dritte Monster erlegt und in der dritten Kampfphase war ich bestens auf das erste ausliegende Monster vorbereitet, aber dann kam ein Lich-Zufallsmonster, das mich direkt ausradiert hat, weil es gegen all meine Waffen immun war. Im ganzen Spiel habe ich nur vier Monster getötet, davon kein wirklich passendes für Trophäenplättchen, in Folge nur den Levelaufstieg bei 3 und 6 Legendenpunkten erlebt und am Ende hatte ich ganze 8 Siegpunkte, während der Sieger weit über 60 hatte. Von den ganzen Kampfphasen habe ich mehr als die Hälfte der Zeit nur zuschauen können und die dauern besonders in Erstspielerrunde länger, eben weil jeder seine Ausrüstung ständig neu durchrechnen muss.