Beitragvon Roman Pelek » 21. Oktober 2006, 04:22
Hi B.Mark,
ach, da gab es wieder etliche Herausstellungsmerkmale:
a) Das übliche Begrüßungsritual: "Na, Du? Und?" - (Schweigen) - leicht nachdrücklich bohrend: "UND?!?" - "Und was jetzt?" - wild gestikulierend: "Na, die Highlights hier, die Hypes, die Skandale! Ist der Adlung-Stand aufgrund Ivar-Überladung explodiert? Trägt Friedemann keine grünen Haare mehr? Halt irgendwas Wissenswertes von Weltbedeutung..." funktioniert immer noch so gut wie jedes Jahr zuvor.
b) Die Gehwege waren an diesem Freitag (->Schulferien in NRW) frei passierbar, einige Tagträumer wurden dennoch von marodierenden Kindern gerammt, es enstanden aber keine ernsthaften Personenschäden auf beiden Seiten. Bemerkenswert war das erstaunlich pragmatische Konzept, Kindern die Handynummer ihrer Eltern per Kuli auf den Unterarm zu schreiben, falls sie beim Pokemon-Spielen verloren gehen sollten. Funktionierte nach meinem Dafürhalten hervorragend, war eigentlich die innovativste Idee der Messe und sollte in Deutschland Schule machen. Ich nenne das mal "Unverlorenheitsgarantie Plus".
c) Spieltische waren trotz b) dennoch knapp, da das beliebte deutsche "Handtuch-Prinzip" (Plätze per Kleidungsstückablage reservieren, am besten nie wieder hergeben, egal ob man grade anwesend ist oder nicht) im Urlaub wie auf Messen immer noch en vogue ist. Entschärft wurde dies jedoch entscheidend durch die Bereitschaft, bei freien Plätzen auf Nachfrage auch wildfremden Menschen Spielanteilnahme zu gewähren. Und wieder wurde endlich hartnäckig nicht gesiezt, es wurden sogar Leute dabei beobachtet, ungesundes Naschwerk miteinander zu teilen. Solche Leute gehören wegen Schändung der Gesamtgesundheit unseres Humankapitals grade mal verklagt.
d) Die Stimmung war also insgesamt von sehr friedlicher Art, sofern man die allseits beliebte Gegenüberbeschimpfung im oder abseits des Spiels als eine Bekundung des gegenseitigen Respekts durchgehen lässt. Umso größer war an manchen Stellen die Verwunderung über die vormessetechnische Aggressivitätszunahme in nicht näher benannten Foren. Aber jetzt gibbet ja erstmal wieder genug [RFs] zu klären, und sobald sich dann die ersten fundierten Strategiediskussionen anbahnen, finden die ein natürliches Ende im ersten Posting mit dem Titel: "Was kommt eigentlich Gutes zu Nürnberg 'raus?"
e) Es wurde allumfassend (Verfasser dieser Zeilen wider besseres Wissen inklusive) aufgrund der Zeitnot wiederholt der klassische Fehler des hektischen "Drive-by-rule-learnings" praktiziert, was die Diversifikation der Geschmäcker erneut enorm potenziert hat. Böse Zungen behaupten, dies könne z. B. die starken Meinungsverschiedenheiten über Spiele wie "Kabale & Hiebe" erklären, welches mit einer nicht unerheblichen Menge von Sondereigenschaften aufwartet.
f) Die "Taluva"-Regel beinhaltet selbst nach sehr gewissentlichem Studium durch fünf unabhängige Personen die bis dato verklausulierteste Formulierung des Gebots, dass ein drei Hexfelder umfassendes Plättchen mindestens zwei andere Plättchen überdecken und zeitgleich Kongruenz in der Landschaftsart eines bestimmten Feldes aufweisen muss. Was an sich eine ganz einfache Regel ist, wenn man sie mal kapiert hat und deshalb den Gesamteindruck, dass hier an sich ein sehr hübsches taktisches Spielchen vorliegt, zum Glück nicht trüben konnte.
g) Angesichts all der pflichtbewussten und fleißen Arbeiter und Baumeister, die in Spielen wie "Caylus", "Baumeister von Arkadia", "Maestro Leonardo" und "Säulen der Erde" vorkommen, hegten schon die ersten Kulturkritiker die Befürchtung, es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis der erste in der Szene mit den Worten "Alles gut und schön, wirklich tolle Spiele, astreine Autorenarbeit, aber ich kann Eure verfluchten, verf... arbeitsamen Männchen einfach nicht mehr sehen, l... mich grade einfach mal am Allerwertesten damit" ausrastet. Eine durchaus begründerte Sorge, wie ich meine, soweit muss es aber auch gar nicht erst kommen. Mein Vorschlag wäre, einfach auf jedes solchgeartete Spiel ein Warnungsbäpperli zu kleben: "Sollten sie bereits ein oder mehrere Spiel besitzen, welches Arbeiter, Baumeister, Sklaven, Kolonisten oder Kolonistenartige involviert, und sollten Sie oder einige Ihrer Mitspieler auf ein oder mehrere dieser Spielmechanismen mittlerweile allergisch reagieren, ist das hier längt nix mehr für Sie. Hauen sie ab, gehen sie fort, gründen sie ihre Familie anderswo."
Soweit von Woodstock '69, welches dieses Jahr komischerweise kaum Schlamm und noch weniger freie Liebe aufwies. Beides vermisse ich zwar sehr, aber in diesen harten Zeiten gebe ich mich ja schon zufrieden damit, dass man einfach auf Leute zugehen kann und sagen: "Haste Bock?" - "Und wie, ich hab' gleich drei gekauft."
Ciao,
Roman (Deutsch für an diesem Land Verzweifelnde, Teil 1: Die Unwahrheit. Exakte Definition: "Eine Unwahrheit stellt eine Lüge mit absichtlich verminderter Schuldzuweisungsmöglichkeit dar. In grenzwertigen Fällen kann die Lüge sogar soweit verstümmelt sein, dass der Urheber der ganzen Misere selbst durch forensische Exzellenz nicht mehr ermittelbar ist.")