Beitragvon Matthias Staber » 27. November 2006, 17:17
Battlelore (Days of Wonder): Eindrücke nach ein paar Partien mit dem ersten Szenario (Agincourt)
Ein Vertriebsmitarbeiter von Pro Ludo (sorry, ich habe deinen Namen vergessen) hatte in Willingen ein paar knusperfrische Exemplare von Battlelore dabei und erlaubte uns netterweise, eins zu öffnen und probezuspielen.
Der Einstieg gestaltete sich unproblematisch: Spieler die andere Titel der Commands & Colors-Reihe von Richard Borg kennen (Battlecry (Avalon Hill), Memoir 44 (Days of Wonder), vor allem aber: Commands & Colors Ancients (GMT Games)) können nach kurzer Zeit dank des hervorragenden Regelhefts von Battlelore mit dem Einstiegsszenario „Agincourt“ loslegen. Inklusive Auspöppeln: Alle Miniaturen des Spiels kommen spielfertig daher und müssen nicht erst aus Gittern gelöst werden. Bei uns verging zwischen Aufreißen der Folie und erstem Kampfwürfeln rund eine halbe Stunde.
*Meine ersten Eindrücke:*
*Auf welcher Grundlage entstanden diese Eindrücke?*
Insgesamt zwei Partien. Ich habe das Spiel zweimal erklärt und einmal selbst mitgespielt. Diese limitierte Erfahrung mit dem Spiel muss berücksichtigen, wer die Verwertbarkeit meiner Ersteindrücke von Battlelore für sich beurteilen möchte. Und: Ich habe selbst noch kein Exemplar des Spiels und schreibe dies alles aus dem Kopf!
Das Regelheft ist modular aufgebaut: Nach Vorschlag des Heftes wird man die Schlachten des Szenarienheftes der Reihe nach durchspielen. Dies soll einen didaktischen Effekt haben: Jede Schlacht fügt weitere Regelelemente hinzu, bis die Spieler nach erstmaligem Durchlauf durch das Szenarienheft alle Regeln kennen. Ich hatte mich dazu entschieden, zwar mit dem Einstiegsszenario „Agincourt“ loszulegen, aber bereits alle Kampfregeln zu verwenden: Wir hatten also schon Regeln für Moral, Boden gewinnen, Rückschlag usw. am Start. Magie haben wir weggelassen. Damit beziehen sich meine Eindrücke auf ein Spielsystem, das man „Commands & Colors: Medieval“ nennen könnte.
*Wie kompliziert ist Battlelore im Vergleich zu den anderen Spielen der C & C-Reihe?*
Battlelore ist etwas komplizierter als Battlecry und Memoir 44, ohne Magie jedoch deutlich unkomplizierter als Commands & Colors Ancients. Vom Spielgefühl her ist es am ehesten mit Ancients zu vergleichen, was thematisch auch nahe liegt. Wem also C & C Ancients zu kompliziert ist, der findet, die Magie außen vor lassend, in Battlelore so etwas wie einen kleinen Bruder des GMT-Spiels.
Es gibt weniger Truppentypen, die sich regelmechanisch verschieden verhalten. Es gibt keine Anführer (, was schade ist). Es gibt kein Ausweichen schnellerer Truppen gegenüber langsameren. Es gibt insgesamt weniger Ausnahmen zu grundsätzlichen Regeln. Dazu ein Beispiel durch direkten Regelvergleich eines wesentlichen Konzepts beider Spiele, dem Vorrücken nach einem Nahkampfangriff:
In beiden Spielen können Einheiten, die per Nahkampf-Angriff ein Feld leer räumen, nachrücken. Reiterei darf anschließend noch ein weiteres Feld vorrücken („Verfolgung aufnehmen“). Reiterei darf danach noch einmal zuschlagen.
Bei Battlelore: Punkt. Und wer sich’s nicht merken kann, der findet alles noch einmal hervorragend strukturiert auf Übersichtskarten gelistet. Für obigen Fall blicken wir dabei auf zwei Karten: Diejenige für „Mittelalterliche Kampftaktiken“, wo die Konzepte „Boden gewinnen“ und „Verfolgung aufnehmen“ aufgeführt sind, und diejenige für Reiterei, wo deren Eigentümlichkeiten mit einem Blick erfasst werden können. Das Konzept ist genial: Die Übersichten sind Spielkartengroß, kein Din-A-4-Monster, und vor jeder Schlacht suche ich mir diejenigen Karten heraus, welche diejenigen Konzepte listen, die ich für die gespielte Schlacht tatsächlich benötige. Die Übersichtlichkeit ist somit perfekt. Besonders toll: Alle Karten gibt es zwei Mal, beide Spieler werden bedient.
Bei C & C Ancients steht jetzt hier kein Punkt, sondern ein großes „aber“. Infanterie kann normalerweise nicht noch einmal zuschlagen, nachdem sie Boden gewonnen hat, aber: Sie kann es aber tun, wenn ihr ein Anführer zugeordnet ist, oder wenn es sich um eine Krieger-Einheit handelt, welches eine spezielle Unterkategorie der mittleren Infanterie ist. Die Übersicht dazu kommt als großes Blatt daher, das wesentlich unübersichtlicher ist als die Karten von Battlelore und dessen Lektüre zunächst einmal eingeübt werden will.
So gibt es bei C & C Ancients zu jeder Regel stets die Ausnahme, was zwar unterm Strich nicht allzu kompliziert ist, aber Einsteiger verwirrt. Auf der anderen Seite macht dieser zusätzliche Komplexitätsgrad das Kampfsystem von Ancients interessant. Zu diesem Punkt mein vorläufiges Fazit: Wer ein lockeres Kampfsystem mit Schwertern und Pferden ohne Magie-Schnickschnack sucht, wird mit C & C Ancients besser bedient als mit Battlelore. Die Stärke von Battlelore wird wohl eher in der Mischung von historischer Kriegsführung mit Fantasy-Elementen liegen als im reinen Kampfsystem. Anders formuliert: Battlelore macht C & C Ancients nicht überflüssig, und wer sich für Fantasy interessiert, kann sich Battlelore genauer anschauen, obwohl er C & C Ancients bereits besitzt. Beide Spiele können in der gleichen Sammlung Platz haben. Wer jedoch eine mittelalterliche Kampfsimulation sucht, wird von Battlelore enttäuscht werden. (Manch einer wird einwerfen wollen, ob nicht auch enttäuscht werde, wer bei C & C Ancients die Simulation antiken Schlachtengeschehens sucht. Denn als Simulation ist keines der C & C-Spiele gedacht. Es handelt sich um Würfelspiele mit historischem Thema.)
*Ich interessiere mich nicht für Fantasy? Brauche ich Battlelore?*
Damit aus Battlelore ein für Magie-Skeptiker auf Dauer zufriedenstellendes Kampfwürfel-Spiel mit historischem Hintergrund wird, muss Days of Wonder noch nachlegen. Und dies hat der Verlag angekündigt: Die Erweiterungen sollen prinzipiell in zwei Richtungen gehen, für Abenteuer-Magie-Fantasy-Freunde einerseits, für Freunde mittelalterlicher Kriegsführung andererseits. Doch wer nur das Grundspiel in Augenschein nimmt, muss wohl feststellen, dass mit C & C Ancients besser bedient wird, wer den reinen historischen Kampf sucht.
Das muss nicht so bleiben: Das Battlelore-System ist offen genug, um in Zukunft weitere Konzepte in die mittelalterliche Kriegsführung einzuführen, von Anführern (die ich schmerzlich vermisse) bis Ausweichen. Und: Weil mit dem Magie-System und unterschiedlichen Fantasy-Völkern wie Kobolde oder Zwerge, deren Eigenschaften Regeln durchbrechen, bei Battlelore eine weitere Lage Komplexität hinzugefügt wird, die bei C & C Ancients fehlt, ist es genau die richtige Entscheidung, das reine Kampfsystem des Spiels schlanker zu halten als bei C & C Ancients. Bleibt abzuwarten, welche zusätzlichen Elemente per Erweiterung ins Battlelore-Universum eingeführt werden.
Beispiel Agincourt: Die Schlachten des Hundertjährigen Krieges haben sich durch den systematischen Einsatz von Langbögen auf englischer Seite ausgezeichnet. In Battlelore wird jedoch ausschließlich mit Kurzbögen hantiert. Vom Spielgefühl sind diese Bögen nicht die verheerende Fernkampfwaffe, die historisch die Kriegsführung für immer veränderte. Die französischen Ritter preschten mit eingelegter Lanze vor. In Battlelore kämpfen die Berittenen nicht mit Lanze, sondern mit dem Langschwert. Solcherlei Eigentümlichleiten muss der Geschichts-Fan erst einmal verdauen, wenn er sich mit Battlelore in die magielose Schlacht stürzt. Hier wird kein historisches Agincourt nachgespielt, sondern es könnte sich genauso gut um die Schlacht auf den Pelennor-Feldern oder den Kampf um Narnia handeln.
Und ich? Ich finde das egal: Ich habe bisher jede Sekunde Battlelore genossen und freue mich darauf, mich mit meinem eigenen Exemplar in die Schlacht zu stürzen. Damit ihr diese Aussage für euch einordnen könnt, ein paar Takte zu meinen Spielepräferenzen: Ich mag Kampfspiele mit historischem Thema wie Hammer of the Scots, Crusader Rex, Wilderness War, Hannibal und natürlich C & C Ancients. Der Simulationsgehalt ist mir dabei jedoch allerhöchstens mittelwichtig. Ich bin jederzeit dazu bereit, die historische Genauigkeit auf dem Altar des Spielspaßes zu opfern. Ritter hatten keine Chance gegen die revolutionäre Langbogentaktik der Engländer? Schön und gut. Wenn ich aber bei Richard Bergs „Men of Iron (GMT Games)“ zweimal gesehen habe, wie meine Ritter von den Langbogenschützen chancenlos zu Schlachtvieh verarbeitet worden sind, reicht es mir. Die militärhistorische Neuerung der Langbogentaktik lese ich dann lieber in einem Buch nach, anstatt deren Auswirkungen penibel nachzustellen. „Historisch war es aber so“, sagt der Geschichtsfreak. „Lass uns lieber Ringkrieg spielen“, sage ich.
So werden wir also über den Hundertjährigen Krieg in Battlelore nichts erfahren, die Engländer hantieren mit Kurzbögen, und irgendwann stürzen sich auch noch Zwerge und Kobolde ins Getümmel. „Pfui“, sagt der militärhistorisch versierte Geschichtsfreak. „Hauptsache, es macht Spaß“, sage ich.
*Wie übersichtlich ist Battlelore?*
Alle Figuren haben bei Battlelore die gleiche Farbe: grau. Die wesentlichen Informationen über die Einheiten lesen wir aus den Bannerträgern: Jede Einheit besteht aus mehreren normalen grauen Miniaturen und einem Bannerträger, dessen Wimpel Fraktionszugehörigkeit und Bewaffnung zeigt. Das macht Battlelore etwas unübersichtlicher als alle anderen Titel der Reihe, wo stets auch unterschiedliche Farben die Fraktionszugehörigkeit der Figuren (oder Blöcke bei C & C Ancients) anzeigt. Bei unseren Testspielen ist es mehrfach vorgekommen, dass jemand einer gegnerischen Einheit einen Befehl erteilen wollte.
*Fazit?*
Klasse. Von den Spielen, die ich in Willingen kennen lernen durfte, haben mich Graenaland (Czech Board Games) und Battlelore am meisten beeindruckt (Das tolle Imperial (Eggert Spiele) kannte ich schon vorher, und bei Canalmania (Ragnar Brothers) bin ich mir noch nicht sicher, wie ich’s finde) Als Fan der C & C-Reihe ist Battlelore für mich ein Pflichtkauf.
Um es klarzustellen: Auch C & C Ancients ist kein kompliziertes Spiel. Während meines Urlaubs habe ich das komplette Szenarienheft mit meinem elfjährigen Neffen durchgespielt. Die Einstiegshürde ist aber halt doch etwas höher als bei Battlelore ohne Magie. Beim Spielen mit Kindern würde ich deswegen Battlelore gegenüber C & C Ancients knapp den Vorzug geben.
Die Ausstattung von Battlelore großartig und bis in die Details (Regelheft, Übersichtskarten, Anzahl Würfel usw.) durchdacht. Einziger Wehrmutstropfen: Einige Miniaturen kommen leicht verzogen aus der Schachtel und müssen gerade gebogen werden.
(Einschub: Wie biege ich verbogene Plastikminiaturen gerade?
Miniatur unter heißes Wasser halten und gerade biegen. Eiskaltes Wasser darüber laufen lassen und schnell ins Gefrierfach legen. Über Nacht drin lassen. Gegebenenfalls wiederholen.)
Ich freue mich auf mein eigenes Exemplar. Und gleichzeitig freue ich mich darauf, mich mit der ersten Erweiterung von C & C Ancients, „Greeks and Eastern Kingdoms“, mit griechischen Truppen in die Schlacht zu stürzen. Beide Spiele werden in meiner Sammlung einen Ehrenplatz erhalten, keines von beiden macht das andere überflüssig. Zusammen sind sie meine Favoriten der Reihe und haben in meiner persönlichen Präferenzen-Liste Battlecry und Memoir 44 deutlich abgehängt. Mehr noch: Neben Der Ringkrieg (Nexus Editrice / Phalanx Games) ist C & C Ancients mein momentanes Lieblings-Zweipersonenspiel. Mit Battlelore wird sich demnächst ein drittes Spiel auf diesem Platz meiner privaten Hitparade tummeln.
Matthias