Spielzeugmuseum Nürnberg – Hat das Zeug zum Spielen

Das Spielzeugmuseum Nürnberg wird im Jahre 2021 tatsächlich schon 50 Jahre alt. Innerhalb dieser Jahrzehnte haben sich die Erwartungen und Ziele an ein modernes Museum entscheidend verändert. Wie werden die nächsten 50 Jahre aussehen?

Als das Spielzeugmuseum in Nürnberg im Jahre 1971 eröffnete, war die Grundlage der Ausstellung die Privatsammlung von Lydia Bayer. Und es gab zwei, Mutter (1897-1961) und Tochter Dr. Lydia Bayer jun. (1929-2000). Die Mutter fing in den 1920ern an, vor allem Puppen und Puppenhäuser in Antiquariaten zu erstehen und zu sammeln, wo die Tochter sich schon interessiert in das Thema einarbeitete. Zum spielwissschaftlichen Thema „Das europäische Puppenhaus“ promovierte sie 1962 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Aber die Promotion sollte nicht nur für Würzburg ein theoretischer Ausflug sein. Schon bevor Lydia Bayer ihre Promotion schrieb, plante die Familie seit den 50ern die Errichtung eines Spielzeugmuseums in Würzburg, weil sie dort lebte und arbeitete. Der Vater, Paul Bayer, war Diplom-Ingenieur und Leiter der Stadtwerke Würzburg.

Erstes Spielzeugmuseum in Würzburg

Die Sammelleidenschaft der beiden Lydias führte dazu, dass es eine ausreichende Anzahl an Ausstellungsstücken für ein Museum gab. Deshalb wurde kurz nach dem Tod der Mutter am Ende des Jahre 1962 in der Würzburger Innenstadt das Spielzeugmuseum „Lydia Bayer“ eröffnet. Der Betrieb eines Musuems ist jedoch nicht unbedingt ein florierendes Geschäftsmodell.

Nürnberg hat das Zeug zum Spielen. Seit Jahrhunderten wurde in Nürnberg Spielzeug produziert und mit Spielmitteln Handeln getrieben. Nach dem zweiten Weltkrieg stellte sich die Frage für die deutsche Spielwarenindustrie, wo sie jährlich eine Messe veranstalten könnte. Der bisherige Messestandort Leipzig lag nach der deuschten Teilung im schlecht zugänglichen Osten der neuen DDR. So fand in Nürnberg im März 1950 die erste Spielwarenmesse statt. Vor Jahr zu Jahr wurde die Messe erfolgreicher und Ende der 60er kamen Vertreter der Stadt Nürnberg auf die Idee, mit der Familie Bayer über ihre Privatsammlung in Verhandlung zu treten.

Spielzeugmuseum Nürnberg

Ein eigenes städtisches Spielzeugmuseum Nürnberg sollte die traditionelle Spielzeugstadt schmücken. Nicht nur die neuen Möglichkeiten für eine bessere Präsentation der Exponate, wohl auch die Verlockungen einer Festanstellung als neue Museumsleiterin haben Frau Dr. Lydia Bayer jun. bewogen, ihre Sammlung über 100 Kilometer Richtung Süd-Ost zu verlagern. Im Jahre 1971 war es soweit, das neue Spielzeugmuseum Nürnberg wurde eröffnet. Bis zu ihrer Pensionierung 1994 war sie die Leiterin über die Ausstellung von historischen Puppen, Eisenbahnen, Spielzeugautos, Zinnsoldaten, Teddys und natürlich Puppenhäuser. Ihr Nachfolger wird Dr. Helmut Schwarz.

Helmut Schwarz geht mit 61 Jahren 2013 in den (Un)Ruhestand

Der Nachfolger von Dr. Lydia Bayer als Leiter des Spielzeugmuseums Nürnberg geht dann im Alter von 61 Jahren nach einer 19-jährigen Tätigkeit 2013 in den Ruhestand. Zu seinem offiziellen Abschied erscheint am 19. November auf der Website „mittelbayerische.de“ der Artikel „Den Niedergang aufgehalten„.

Helmut Schwarz 2013, Mittelbayerische

Screenshot Mittelbayerische vom 19. Oktober 2013, Helmut Schwarz: „Den Niedergang aufgehalten“

Der eigentlich beginnende Ruhestand für Helmut Schwarz war wohl eher ein Unruhestand. Er und die ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin Marion Faber arbeiteten an seinem Buch. Sein Ziel: Innerhalb von zwei Jahren sollte ein umfassendes Werk zu Ehren von Lydia Bayer und von dem Spielzeugmussum erscheinen. Die unfassbare Menge an Material, Objekten und Geschichten ließ das Buch allerdings dann doch sechs Jahre entstehen und reifen.

Spielzeuggeschichte

Am 26. Juni 2019 erschien das inhaltlich und vor allem grafisch sehr imposante Buch mit seinen prall gefüllten 396 Seiten und beeindruckenden 678 Farbabbildungen im Michael Imhof Verlag, der ansonsten sehr anspruchsvolle und künstlerische Ausstellungskataloge produziert. Der Titel des Buches: „Spielräume. Von der Sammlung Bayer zum Spielzeugmuseum Nürnberg“.

Buch Spielräume, Spielzeugmuseum Nürnberg

Kunstvoll bedruckter Buchrand: „Spielräume“, Spielzeugmuseum Nürnberg, 2019

Wie bei Ausstellungskatalogen üblich, ist wohl auch dieses exklusive Buch in einer nur sehr geringen Auflagenzahl erschienen. So erscheint es aus spielwissenschaftlicher Sicht fast tragisch, dass der jahrelange Erstellungsaufwand für ein so wichtiges Werk der Spielzeuggeschichte nur einem kleinen Kreise an Menschen zugänglich ist. Die Inhalte sind leider nicht sofort frei zugänglich digital im Internet abrufbar und durchsuchbar. Außerdem stellt sich die Finanzierungsfrage für ein so aufwendig produziertes Buch. Es ist als 18. Band der städtischen Schriftenreihe erschienen. Hat die Stadt Nürnberg sämtliche Kosten übernommen? Und warum ist dann keine Digitalisierung mit angedacht worden?

Spielzeug wurde vor der industriellen Massenproduktion zumeist handwerlich sehr geschickt und liebevoll von Einzelpersonen im Familienverbund prodziert. Oft war Holz das Grundmaterial. Dies ist der Grund, weshalb leider viele Spielzeuge aus dem Mittelalter nicht mehr erhalten sind. Obwohl Holz stabil wirkt, verrottet es mit der Zeit.

Spielzeug wird zum Sammlerobjekt

Doch zum Inhalt: Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begannen gut betuchte, ältere Menschen, Spielzeug zu sammeln, obwohl ihre Kindheit schon ein paar Tage vergangen war. Inzwischen wurden in der Produktion länger anhaltende Materialien verwendet. Erste theorieorientierte Fachbücher zu spielwissenschaftlichen Themen erschienen sowie Fachbücher zu Spielen und Spielzeug. Im 20. Jahrhundert wurde dann das Sammeln von Kindheitsträumen besonders ab den 70ern ein Massenphänomen. Käthe-Kruse-Puppen, Märklin-Eisenbahnen oder Elastolin-Soldaten fingen an, astronomische Sammlerpreise zu erzielen. Die Autoren Helmut Schwarz und Marion Faber zeigen detailliert die Zusammenhänge und Entwicklungsprozesse sowie die Geschichte der Familie Bayer, Spielwarenindustrie und des Spielzeugmusems Nürnberg auf.

Bemerkenswerte Lücke

Auffallend ist allerdings schon bei dem Buch ein wohl sehr persönlicher Umstand. Das Autorenteam benötigt sechs Jahre lang die Objekte und das Archiv des Spielzeugsmuseums für die Bucherstellung. Darüber hinaus sind sicherlich sehr umfängliche Personalressourcen des Spielzeugmuseums für das Heraussuchen, die Recherche, die Fotografien etc. aufgewendet worden. Der ehemalige Leiter des Spielzeugmuseums schafft es jedoch nicht, seine Nachfolgerin, Frau Dr. Karin Falkenberg, auch nur einmal im Buch zu erwähnen oder gar ihr zu danken. Dabei unterstütze sie sein Ruhestandsprojekt sechs Jahre lang von 2014-2019.

50 Jahre Spielzeugmuseum Nürnberg in 2021 – und dann?

Kommen wir zur Einstiegsfrage zurück. Wie sollte ein zukünftiges Spielzeugmuseum aussehen? Die wissenschaftlich korrekt aufgearbeitete Darstellung von Sammlungsgobjekten und deren Präsentation in Ausstellungsvitrinen wird wohl kein alleiniges, tragfähiges Konzept für die Zunkuft sein. So ließe sich ein absehbarer „Niedergang“ bei den Besucherzahlen nicht aufhalten. Das einzig Konstante im Leben und in der Natur ist die Veränderung. So beschreibt sodann der ICOM (International Councils of Museums) mit seiner Definition die Aufgaben von Museen. Sie sind „eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“ (ICOM, 2010)

Museen dürfen (oder sollten) auch Erlebnisse sein. Dazu gehören Emotionen. Spielzeug ist unsere ganze Welt im Kleinen. Es sind Objekte, mit Aufforderungscharakter. So lässt sich „Spielzeug“ auf die einfache Formel reduzieren: Objekt + Phantasie = Spielzeug. Menschen erschaffen sich mit Spielzeug Geschichten. Was liegt da näher, ein Teil dieser weltbewegenden Geschichten in einem emotionalen Weltmuseum erspürbar und erlebbar zu machen.

Karin Falkenberg, Leiterin Spielzeugmuseum Nürnberg

Karin Falkenberg, Leiterin Spielzeugmuseum Nürnberg seit 2014

In einem ausführlichen Interview zwischen Karin Falkenberg (Leiterin Spielzeugmuseum Nürnberg seit 2014) und Jens Junge (Direktor des Instituts für Ludologie) schimmert das neue Konzept des Museums schon durch. Es lässt auf die so dringend anstehende Veränderung hoffen: Interview vom 8. Juni 2020. Das Spielen sollte in seinen zahlreichen Fascetten viel ernster genommen werden, damit besser verstanden werden. Es ist viel mehr als Kinderkram oder eine Zeitschwendung.

Interview mit Karin Falkenberg zum Spielzeugmusem Nürnberg für Frankenfernsehen.tv
„Mit einer Sanierung zurück zum alten Glanz?“

Karin Falkenberg vom Spielzeugmuseum Nürnberg

Karin Falkenberg vom Spielzeugmuseum Nürnberg in der Sendung vom 19.06.2020

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Spielzeugmuseum Nürnberg (städtische Website der Museen)
Öffnungszeiten: Di.-Fr., 10-17 Uhr, Sa.+So. 10-18 Uhr, Mo. geschlossen.
Telefon: 0911-2313164
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Video-Interview aus dem Jahre 2019 auf Youtube, spielen.de im Gespräch mit Karin Falkenberg zum Spielzeugmuseum Nürnberg und die Ausstellung „Nürnberg hat das Zeug zum Spielen“: Teil 1 und Teil 2.